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"Für die Opfer eine fatale Signalwirkung"

Drei Fragen an... die Opferberatungsstelle AMAL in Görlitz. Was war ein Fortschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus 2007, was ein Rückschritt. Und was muss 2008 geschehen? AMAL ist von der Veränderungen, die sich 2007 in der Projektfinanzierung ergeben haben, besonders hart betroffen. Mangels finanzieller Unterstützung wird die Initiative derzeit abgewickelt. Sie appelliert an Bund und Länder: "Weg von dem Modellcharakter, hin zu einer Regelfinanzierung!"

Was war für Sie ein Fortschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus 2007?

Wir konnten einige Schritte hin zu einer Thematisierung und Problematisierung von Rechtsextremismus auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen erkennen, die bislang eher bagatellisiert oder mit dem Finger auf andere gezeigt haben. So haben wir feststellen können, dass sich mittlerweile mehr kommunale Verantwortungsträger mit der Thematik kritisch auseinandersetzten, als dies noch von Jahren der Fall war. Trotzdem gibt es auf dieser Ebene immer noch einigen Nachholebedarf. Ein weiterer Fortschritt war zudem die offensichtliche Verstetigung von direktem Engagement gegen rechtsextreme Großveranstaltungen, wie z. B. dem alljährlichen Aufmarsch zum 13. Februar in Dresden. So konnte mittlerweile das zweite Jahr in Folge die Route des Aufmarsches blockiert werden, so das die Rechtsextremen einen kürzeren Weg nehmen mußten. Zumindest in Dresden kann das als Erfolg betrachtet werden.

 


Was war für Sie ein Rückschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus 2007?

 

Mitte 2007 trat das neue Bundesprogramm „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus“ in Kraft. Bei vielen Projekten gab es diesbezüglich große Unklarheiten, was die Umsetzung der neuen Leitlinien betraf. In Sachsen wurden die Richtlinien durch Staatskanzelei und Sozialministerium besonders restriktiv umgesetzt, was dazu geführt hat, dass die beiden Projekte der Opferberatung – RAA e.V. und AMAL e.V. – aufgefordert wurden, zu fusionieren oder konkurrierende Anträge zu stellen. Da in der Kürze der Zeit keine Einigung möglich war, stellten beide Projekte Konkurrenzanträge. Mitte Dezember wurde uns der Ablehnungsbescheid vom Sozialminsterium bekannt gegeben. Damit war klar, das AMAL für 2008 keine Förderung mehr erhält und seine Arbeit einstellen muss. Dies ist für uns der mit Abstand deutlichste Rückschritt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus, da wir nun befürchten, dass vor allem die ländlichen Gebiete in Sachsen vom Wegfall der Beratungsstrukturen betroffen sein werden.

Auf mittlere Sicht können wir leider nicht von einem Rückgang der rechtsextremen Übergriffe in Sachsen ausgehen. So war im Jahr 2007 erneut ein Anstieg von Angriffen zu verzeichnen. Parallel dazu werden die strukturellen und vor allem finanziellen Rahmenbedingungen für sächsische Projekte nicht besser. Es gibt zudem Probleme bei der juristischen Aufarbeitung rechtsextremer Angriffe. So hat es den Anschein, dass die Justiz kaum mit den Prozessen gegen Mitglieder der rechtsextremen Kameradschaft „Sturm 34“ fertig wird. Für die Opfer hat das eine fatale Signalwirkung.

Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf für 2008?

Da nach wie vor die politischen Kräfteverhältnisse in den einzelnen Ländern die Arbeitsbedingungen für die Projekte maßgeblich beeinflussen (in positiver wie in negativer Hinsicht), müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, um weg von dem Modellcharakter, hin zu einer Regelfinanzierung zu gelangen. Obwohl die Projekte nunmehr seit fast sieben Jahren erfolgreich arbeiten und sich etabliert haben, haben sie immer noch den Status eines Modellprojektes und somit keinerlei verlässliche Planungssicherheit über das laufende Jahr hinaus.

Es müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, um die Problematik mehr im öffentlichen Bewußtsein zu verankern. Denn obwohl die Berichterstattung zu Rechtsextremismus schon sehr viel differenzierter ist als noch vor Jahren, handelt es sich nach wie vor um ein Konjunkturthema. Die Aufgabe der Opferberatungsprojekte muss daher die weitere Vermittlung der Opferperspektive in der Öffentlichkeit sein.

Weitere Antworten:

"Solange nichts passiert, gibt es Rechtsextremismus scheinbar nicht" - Bianca Klose, mbr
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"Für die Opfer eine fatale Signalwirkung" - AMAL, Sachsen >klick

"Jedem ist klar, dass ein Verbot der NPD allein nicht reicht" - Endstation Rechts Schwerin >klick

"Wir brauchen vor allem Kontinuität in der Arbeit", Zivilcourage Pirna >klick

"Die Bundesregierung hat keine klare Strategie", Patrick Gensing, npd-blog.info >klick

"Der Staat verschleißt und lähmt Engagement", Bernd Wagner von Exit >klick

"Die Ohnmacht gegen die jugendlichen „Nationalen“ ist gar nicht so groß'' , Philipp Gliesing, ABC-Pößneck >klick

 
"Know-how und Soziales Kapital gingen verloren", Reiner Schiller-Dickhut, Bündnis für Demokratie und Toleranz
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"Der Opferschutz muss dringend verbessert werden", Mario Peucker vom Europäischen Forum für Migrationsstudien >klick

"Opferberatungsstellen werden auch im Westen gebraucht", Simone Rafael, MUT-Portal >
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"Die Zivilgesellschaft geriet in Abhängigkeit von Behörden", Monika Lazar (Grüne) >klick


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