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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
"In vielen Städten existiert eine Kultur des Wegschauens", so lautet das Fazit von Marion Kraske. Im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung erstellte sie einen eindringlichen Report über Rechtsextremismus in Deutschland.
Von Diana Buhe
Nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) waren Politik und Behörden gleichermaßen schockiert und beschlossen in einem fraktionsübergreifenden Antrag (Drucksache 17/7771) schnelle und umfassende Unterstützung für zivilgesellschaftliche Initiativen. Im Antrag heißt es „wir müssen gerade jetzt alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren“. Und weiter „wir werden prüfen, wo dem Hindernisse entgegenstehen.“ Viele Jahre zu spät, könnte man meinen. Denn wie sah denn der Nährboden aus, auf dem der NSU entstehen konnte? Genau dieser Frage geht der brandneue Report der Amadeu Antonio Stiftung „Das Kartell der Verharmloser. Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren“ nach.
Dabei kennt man den Begriff „Kartell“ häufig nur aus der Wirtschaft oder vielleicht noch aus Hollywood-Thrillern. Die genaue Bedeutung aber - eine abwertende Bezeichnung für organisierte Kriminalität- weist erschreckende Parallelen zur deutschen Sicherheitslandschaft auf. Denn die Autorin Marion Kraske hat bei ihrer Reise durch Deutschland skandalöse Zustände beobachtet, die einen glauben machen könnten, es gebe eine Absprache der Behörden rechte Gewalt bewusst zu verschleiern.
Denn immer wieder werden rechte Gewalttaten und Übergriffe durch die zuständigen Institutionen verharmlost und relativiert. Ergebnis dieser „Kultur des Wegschauens“ ist in vielen Gebieten inzwischen eine fest etablierte rechte Alltagskultur. „Die Opfer werden in ihrer Notsituation allein gelassen, die Täter hingegen erfahren Solidarisierung und können dadurch immer mehr gesellschaftlichen Raum besetzen“ stellt die Autorin fest.
Der Report greift beispielhaft die Situation in Thüringen und Dortmund auf: Über Jahre wurde hier der Rechtsextremismus verharmlost und von den zuständigen Ämtern kleingeredet. Rechte Gewalttaten werden bagatellisiert und oftmals noch die Opfer mitverantwortlich gemacht. Genau diesem Klima ist es geschuldet, dass bundesweit seit 1990 mehr als 180 Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen sind.
Opfer werden allein gelassen
Fast überall dort, wo sich die Zivilgesellschaft gegen Neonazis formiert und Demokratie gelebt wird, hat sie jedoch mit Gegenwind, mangelnder Unterstützung und Förderung zu kämpfen. Der Report zeigt auch die Situation des TIKO‘s, ein alternatives Zentrum in Wismar. Dieses steht unter ständiger Bedrohung durch Neonazis. Dazu gehören nächtliche Angriffe mit Wurfgeschossen, genauso wie Belagerungen vor dem Haus oder großflächige Hakenkreuzschmierereien. Hilfe von den Behörden? Fehlanzeige! So geht es vielen Initiativen und Organisationen, die einen wichtigen Beitrag zu einer demokratischen Gesellschaft leisten. Sie werden als „linke Spinner“ abgetan oder als „Nestbeschmutzer“ diffamiert. „Fakt ist: Jene, die sich Rechtsextremen in den Weg stellen, die versuchen, mit politischer Bildung, mit Veranstaltungen oder Opferberatungen dazu beizutragen, unsere Demokratie zu stärken, den demokratischen Wertekatalog zu verteidigen, werden nur allzu oft von den Verantwortlichen in Politik und Behörden allein gelassen“, so Marion Kraske. Aber auch die Opfer beklagen eine fehlende Solidarisierung durch die Städte und Gemeinden. Diese haben oftmals nur ihren guten Ruf im Blick.
Ähnlich bewertet auch Uwe Dziuballa die Problematik. Sein koscheres Restaurant in Chemnitz wurde in den vergangenen Jahren über hundert Mal angegriffen. Mal wird der Briefkasten zerstört, dann wird das Ladenschild demoliert oder Hakenkreuze an die Wand geschmiert. Auch liebevoll arrangierte Blumenkästen oder Sitzmöbel für den Außenbereich des Restaurants, alles wurde mindestens schon einmal beschädigt oder komplett zerstört. Ebenso wie die Scheiben des Lokals, regelmäßig muss Uwe Dziuballa massenhaft Scherben beseitigen und neue Scheiben einsetzen lassen. Ein drastischer Höhepunkt des Terrors: immer wieder liegen mit Hakenkreuz beschmierte, bluttriefende Schweineköpfe auf der Türschwelle des Restaurants. „Es ist unglaublich, was die Rechten hier anrichten können, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen nach sich ziehen würde“ lautet sein Fazit.
Fehlende Positionierung der Behörden
Der eigentlichen Aufgabe des Staates, der Schutz seiner Bürger, kommt in manchen Regionen keine der zuständigen Sicherheitsbehörde nach. Die fehlende Positionierung der Behörden bei rassistischen Vorfällen ist ein Dauerproblem, Opfer von rechten Gewalttaten werden vom Staat alleine gelassen. Sprüche wie „ist doch gar nicht so schlimm“ hören die Betroffenen öfter. In einem besonders drastischen Fall in Sachsen, wurde einer bedrohten Familie seitens der Dienststelle nahegelegt, doch einfach wegzuziehen. Ein immer wiederkehrendes Muster: Die Gefährlichkeit der Täter wird negiert, Rassismus als Tatmotiv ausgeblendet, die prekäre Lage der Opfer zusätzlich erschwert. Die Diskriminierung der Opfer setzt sich auch auf institutioneller Ebene fort. Auch seit Bekanntwerden der rassistischen Mordserie durch den NSU hat sich daran nichts geändert. Katja Fiebiger, Projektleiterin der Mobilen Beratungsstelle MOBIT in Thüringen, beschreibt es so: „ Der Alltag läuft genau so weiter wie bisher. Eigentlich haben die Verantwortlichen vor Ort aus dem Fall NSU keine Lehren gezogen“. Die Absichtserklärung der Politik also in allen Ehren, aber die politische Realität sieht anders aus. Von der im Entschließungsantrag angekündigten Unterstützung ist bei den Initiativen noch nichts angekommen. Im Gegenteil -politische Hintergründe werden bei Übergriffen auch weiterhin nicht ernst genommen und so tauchen viele rechtsextreme Vorfälle in den Polizeistatistiken gar nicht erst als solche auf. Erst im Juli 2012 gab es einen gewalttätigen Übergriff durch Rechtsextreme auf eine Kunstausstellung in Erfurt. Trotz eindeutiger Indizien, wie Bekleidung der Täter mit rechten Symboliken und „Sieg Heil“- Rufen, ermittelte die Polizei anfänglich nur wegen einer Schlägerei. Erst auf Drängen der Opfer und Opferberatungen wird nun auch ein rechtsextremer Hintergrund geprüft.
„Oft reagieren die Behörden erst, wenn wir uns als Opferberatung einmischen. Der Druck von außen ist notwendig, sonst würden viele Opfer gar nicht ernst genommen“, so Christine Büttner von der Beratungsstelle ezra in Thüringen. Die mangelnde Sensibilisierung und Unterstützung auf lokaler Ebene ist somit teilverantwortlich für rechtsextreme Auswüchse.
Rechtsextremer Alltag ist ein gesamtdeutsches Problem
Die beschriebenen Zustände sind ein gesamtdeutsches Phänomen. Dabei wird vor allem im Westen des Landes die rechte Szene von der Öffentlichkeit massiv unterschätzt, obwohl es hier eine seit Jahren bestehende Struktur aus Kameradschaften und Freien Netzen gibt und diese sich im ländlichen Raum längst verfestigt hat. Seit Jahren nehmen die rechtsextremen Gewalttaten in diesen Regionen zu.
Der Report zeigt zwar auch einzelne Beispiele aus Dortmund und Mecklenburg-Vorpommern, von staatliche Bemühungen den rechtsextremen Bemühungen etwas entgegenzusetzen, aber ohne die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den vielen Engagierten in den Kommunen, und deren Beratung und Begleitung durch Beratungsteams, Stiftungen und Bündnisse, wird es keinen dauerhaften Erfolg im Kampf gegen rechte Gewalt geben. Dazu gehört nicht nur die punktuelle Auseinandersetzung mit der Problematik, wie jetzt beim Verfassungsschutz und im Innenministerium, sondern vor allem ein Bewusstsein darüber, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Dafür bedarf es einer wirklichen inhaltlichen Auseinandersetzung und einer gleichberechtigten Zusammenarbeit aller Beteiligten. An dieser Stelle ist die gesamte Bundesregierung gefordert: Sie muss einerseits Verantwortung für die Aufarbeitung der NSU- Morde übernehmen und andererseits dem Rechtsextremismus bundesweit konsequent und entschlossen die Stirn bieten. Die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, fordert daher „eine direkte Unterstützung und wirkliche Anerkennung der vielen engagierten Bürger und Initiativen, die sich täglich gegen ein rassistisches Klima wehren und für eine lebhafte Demokratie streiten“.
Hier kann man den Report herunterladen.