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Die Leistungen für Asylbewerber liegen bis zu 47% unter dem Hartz-IV-Regelsatz, also bis zu 47% unter dem Existenzminimum. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat dies nun für menschenunwürdig erklärt. Die Flüchtlinge in Deutschland leiden jedoch nicht nur an der mangelnden Versorgung - sie bekommen auch den unverhohlenen Rassismus der Gesellschaft zu spüren.
Von Michael Kraske, debattiersalon.de
Asylbewerber werden in diesem Land als Menschen zweiter Klasse behandelt, bestenfalls. Sie werden in unwürdige Sammelunterkünfte gepfercht, zum Nichtstun verdammt und mit einem Teil dessen abgespeist, was als Existenzminimum für ein menschenwürdiges Leben errechnet wurde. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die bisherige Praxis für verfassungswidrig erklärt hat und gleich auch noch einen konkreten Geldbetrag vorgeschrieben hat, damit der schwarzgelben Koalition gar nicht erst die Möglichkeit zu Trickserei und Verschleppung gegeben wird, spricht das Medienecho einhellig von einer Ohrfeige für die Politik. Das Urteil ist aber viel mehr: Es entlarvt einen staatlichen Rassismus, der Menschenwürde als teilbar erachtet. Der den Bedarf eines menschenwürdigen Lebens für Deutsche bei 336 Euro ansetzt, für schutzbedürftige Ausländer dagegen bei 224,97 Euro. Die perverse Diskrepanz ist ein Seismograph für den rassistischen Konsens der deutschen Gesellschaft.
Pogrome als Legitimation für die restriktive Asyl-Politik
Seit 1993 wurde der Satz für Asylbewerber nicht erhöht. Das hat Gründe. Die pogromartigen Angriffe auf die Asylbewerber-Unterkunft in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 hatten die drastische Verschärfung der Asylgesetzgebung zur Folge. Die zynische Begründung damals: Der Bevölkerung sind so viele Asylbewerber nicht zuzumuten. Die Grenze des Integrationswillens sei erreicht. Der Volkszorn musste besänftigt werden. So diente der unerhörte Tabubruch einer gewalttätigen, von Normalbürgern befeuerten Ausländerfeindlichkeit und einer Polizei, die tatenlos zusah und das staatliche Gewaltmonopol an den Mob abtrat, nachträglich als Legitimation für restriktive Asyl-Politik. Das Asylbewerberleistungsgesetz orientierte sich fortan nicht an Menschenwürde, sondern allein am Ziel der Abschreckung. Es sollte denen, die her kommen so schwer und unbequem wie möglich gemacht werden, damit nicht noch mehr kommen. Die Schikane hat System.
Dieser permanente Skandal ist seither Staatsräson. Auch SPD und Grüne wagten während ihrer Regierungszeit nicht, das offensichtliche Unrecht zu korrigieren. Zu groß die Angst vor dem öffentlichen Furor. Zu groß die Angst, der NPD eine Vorlage zu geben und die in der Bevölkerung schlummernde Fremdenfeindlichkeit zu wecken. Die Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung zu rechtsextremen Einstellungen belegen millionenfache Zustimmungsraten zu der Aussage, dass Ausländer nur her kommen, um die Sozialsysteme auszunutzen. Dieses Bild vom Fremden ist ein angstgespeistes Zerrbild, das in krassem Widerspruch zum christlichen Menschenbild steht, das doch angeblich so grundlegend für unser Gemeinwesen ist, wie es Vertreter der Parteien gern behaupten, die das C im Namen tragen. In der politischen Debatte wird das Christliche vor allem in Abgrenzung gegen den fremden Islam in Stellung gebracht. Zu dem eklatanten, unchristlichen Mangel an Solidarität und Mitmenschlichkeit gegenüber Migranten und zur institutionalisierten Diskriminierung schweigen die Wortführer des politischen Christentums. Im Gegenteil führen ihre Vertreter in den Kommunen den vorurteilsbeladenen Protest gegen normale Nachbarschaft mit Asylbewerbern an.
Den Wortführern fällt der eigene Rassismus nicht mal auf
Vielerorts regt sich gegen eine menschenwürdige Behandlung von Asylbewerbern Widerstand von ganz normalen Deutschen. In Leipzig soll eine miserable Sammelunterkunft geschlossen, die Menschen stattdessen dezentral in Wohnungen in verschiedenen Stadtteilen untergebracht werden. Anwohner laufen dagegen Sturm. Ein Lokalpolitiker bezeichnete die geplante Nachbarschaft von Deutschen und Asylbewerbern ein „Sozialexperiment“. Asylbewerber zu integrieren und nicht zu separieren gilt vielen als Zumutung. Die Kasernierung in abgelegenen Massenunterkünften dagegen als gerade noch tolerabler Normalzustand. Den Wortführern fällt der eigene Rassismus nicht mal auf. In Bürgerversammlungen entlädt sich die ganze Palette von Vorurteilen: Asylberwerber sind demnach drogenabhängig, mit ansteckenden Krankheiten infiziert, kriminell und vergewaltigen deutsche Frauen. Das rassistische Ressentiment wird im Gestus einer allgemein anerkannten Wahrheit vorgetragen. Der Geist von Rostock-Lichtenhagen ist allgegenwärtig, wenn über Asylbewerber gesprochen wird.
Niemand würde bestreiten, dass das Zusammenleben existentiell bedrohter, zum Teil schwer traumatisierter Menschen Konflikte birgt. Es gibt kriminelle Asylbewerber und solche, die nicht wegen Verfolgung kommen, sondern weil sie vor Armut flüchteten. Wie überall gibt es neben dem Schwarz und Weiß viele Biographien in allen denkbaren Grautönen. Eine zivilisierte Demokratie hat gute Gründe, Verfolgten Schutz zu gewähren. Das deutsche Asylrecht ist auch eine Folge des nationalsozialistischen Terror-Regimes. Das positive Bekenntnis zum Asylrecht ist kein Thema in den periodischen Asyl-Debatten. Der Karlsruher Urteilsspruch wird nun wieder auf die Frage reduziert: Was kostet uns das? Wer Menschen aber zum Kostenfaktor degradiert, zündelt an Befindlichkeiten, die Menschenfeindlichkeit in Gewalt umschlagen lässt.
Michael Kraske ist Journalist und Buchautor u.a. von "Und morgen das ganze Land - Neue Nazis, befreite Zonen und die tägliche Angst; ein Insiderbericht" (Herder) sowie Mitbegründer des Politblogs debattiersalon.de. Michael Kraske wurde mehrfach für seine Berichterstattung über Ostdeutschland und Rechtsextremismus ausgezeichnet.
Der Artikel erschien zu erst unter dem Titel "Die Asyl-Schande" auf debattiersalon.de.