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Fast drei Wochen nach einem rassistischen Angriff in einem Müchelner Imbiss und einer knappen Woche, seit der Vorfall durch Medienberichte bekannt wurde – die zuständige Polizei hatte ihn nicht für berichtenswert befunden und stattdessen als Auseinandersetzung übers Rauchverbot, vulgo „Kneipenschlägerei“ vertuscht – liegen einem die Ereignisse noch immer schwer und unverdaut im Magen.
Eine Polemik von Sebastian Striegel
Schlägt man dazu die heutige Lokalausgabe der Mitteldeutschen Zeitung auf, dann weiß man auch als lokal zuständiger Landtagsabgeordneter, dort liegen sie richtig! Denn: Man kann gar nicht soviel essen, wie man angesichts der Zustände im Saalekreis, in ganz Sachsen-Anhalt oder gern auch in Ostdeutschland und der ganzen Republik kotzen möchte.
Da gibt es den diensthabenden Notrufbeamten, der die anrufende Partnerin des Geschädigten am Telefon vermutlich genauso flapsig und inkompetent herunterputzte, wie er dies seit Jahrzehnten mit Bürgerinnen und Bürgern tut. Und zur Krönung darauf hinwies, sie solle jemand ans Telefon holen, der richtig Deutsch spreche. Eine Kompetenz, die bei ihm selbst sicher ausgeprägt vorhanden ist und die er seit einigen Tagen im Innendienst ohne Bürgerkontakt ausbauen kann.
Da gibt es die Dorfjugend, die den Angriff zum anschließenden Abfeiern ihrer bestehenden Ressentiments gegen Migrantinnen und Migranten, die Polizei, den Staat und alles was nicht genauso beschränkt und biertrinkend wie sie in der Gegend herumsteht, nutzt. Und die Chance ergreift, im Windschatten eines rassistischen Angriffs eben auch die zehn Minuten Befriedigung zu bekommen, die es bringt, wenn man mit der eigenen Tat am nächsten Tag in der Zeitung stehen kann.
Da gibt es den weinerlichen Bürgermeister, dem nun vor allem das Ansehen seiner Stadt Sorgen macht. Den Weg zu den Betroffenen hat er seit Tagen nicht gefunden. Seine Türen stünden offen, hieß es in einem früheren Artikel. Warum er selbst den Hintern nicht in der Hose und zwei gesunde Beine zum Laufen mitbringt, um ins Grillhaus zu gehen, diese Frage scheint er sich selbst nicht zu stellen. Schade.
Überhaupt ist das offiziell und semioffiziell vorgetragene Gegreine, die Angst um den eigenen Standort, den Ruf, das Image, neben den echten und massiven Konsequenzen für die Betroffenen das eigentlich Unerträgliche an jedem rechten Angriff, von denen es im Jahr 2011 wieder mindestens 132 in Sachsen-Anhalt gab. Seit über zwei Jahrzehnten kommen die rechten Angriffe – jeden zweiten bis dritten Tag einer – angeblich unerwartet, sind organisierte Neonazis, antisemitische Schläger oder rassistische Kneipenbesucher ganz ohne Vorwarnung und plötzlich im Ort sichtbar geworden. “Wir haben hier kein Problem mit Neonazis. Und auch nicht mit rechtem Gedankengut…”
Wer’s glaubt… Der Blick in die Zeitung oder noch besser in die seit Jahren zum Thema publizierten Studien lehren einen anderes: Nazis, Rassisten, Antisemiten und Co. sind mitten unter uns. Sie leben nicht am Rand, sondern als Teil der Mehrheitsgesellschaft. In Sachsen-Anhalt sind fremdenfeindliche Einstellungen bei deutlich über einem Drittel der Bevölkerung vorhanden, über 40 Prozent der Menschen stimmen hier einer Aussage zu, Deutschland sei in einem gefährlichen Maße überfremdet. Angesichts eines sachsen-anhaltischen Migrationsanteils von 1,8 Prozent mutet eine solche Einschätzung nicht nur abenteuerlich, sondern reichlich absurd an.
In Mücheln brauchte es keine organisierten Neonazis (die gibt es dort auch), um rassistische Ausfälle in einer Kneipe zu provozieren. Sie passierten, weil es dort – wie überall in unserem Land – Rassisten und Menschen mit fremdenfeindlichen Einstellungen gibt.
Das Problem heißt deshalb nicht Mücheln. Es heißt Rassismus. Und wir alle müssen es besiegen. Auch in uns. In unseren Familien und in unseren Orten. Jetzt!
Sebastian Striegel (30) ist Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt und regional zuständig für den Saalekreis. Mehr Informationen unter www.sebastian-striegel.de