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Es ist leider kein Einzelfall, dass Opfer rassistischer Gewalt in Deutschland zum Teil nur unzureichend Schutz durch die Polizei erfahren. Aktuell finden sich in der Presse drei Vorfälle, die Zweifel an den Ermittlungsbehörden aufkommen lassen, was ihre Bereitschaft betrifft, menschenfeindliche Übergriffe entschieden zu verfolgen.
Von Anna Brausam
Das (nicht) Vorgehen gegen menschenfeindliche Angriffe
1. Vorfall: Eine Frau aus Togo und ihre sechs Jahre alte Tochter sind in Rostock am 10. März 2012 von zwei Männern wegen ihrer Hautfarbe und Abstammung rassistisch beschimpft worden. Ein zu Hilfe eilender Mann aus Mazedonien wurde von den Tätern angegriffen und an Hand und Kopf verletzt, wie das Polizeipräsidium Rostock mitteilte. Obwohl bei beiden Männern ein Alkoholwert von knapp zwei Promille festgestellt wurde, und einer der Angreifer einen Schlagring auch gegen einen Polizeibeamten einsetzte, kamen die Täter nur kurzzeitig in Polizeigewahrsam. Später wurden sie wieder auf freien Fuß gesetzt. Jetzt fahndet die Polizei nach einem der Täter, der anscheinend untergetaucht ist. Der 25-jährige Mann ist bereits einschlägig vorbestraft.
2. Vorfall: Ein junger Äthiopier wird am Frankfurter Hauptbahnhof am 4. März 2012 von Angreifern verletzt und als "Neger" beschimpft. Frankfurter Polizisten rücken an. Doch statt Mitgefühl zu zeigen, sollen sie das Opfer verhöhnt und den Fall bagatellisiert haben. Laut einer Zeugin habe ein Polizeibeamte die Beschimpfung „Du Neger“ mit der Bemerkung abgetan, „das sei in solchen Kreisen Alltagssprache, und wenn die Täter Türken seien, wisse er nicht, was daran rassistisch sein soll“.
3. Vorfall: Ein türkischer Imbissbetreiber und seine Frau werden in Mücheln (Sachsen-Anhalt) am 25. Februar 2012 vor den Augen ihrer siebenjährigen Tochter von Neonazis angegriffen und in Todesangst versetzt. Einer der Angreifer drohte dem Mann: Wenn er seinen Laden bis zum 20. April – dem Geburtstag Adolf Hitlers – nicht zumachen würde, sei er „die 12.Person“ (eine Anspielung auf die Mordserie der rechtsextremen NSU), die in der Zeitung stünde. Erst nach mehrmaliger Alarmierung der Polizei, nahmen die zuständigen Polizisten den Hilferuf der Ehefrau am Telefon ernst und kamen sehr verspätet zum Ort des Geschehens. Obwohl der Ehemann bei der Ankunft der Polizei aus dem Ohr blutete, wurde ihm von einem Polizisten attestiert, dass ein Arzt nicht nötig sei. Vielmehr führte die Polizei bei dem Opfer einen Alkoholtest durch. Jetzt wird nicht nur gegen die Täter wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung ermittelt, nein, auch dem Opfer liegt eine Strafanzeige vor: Er soll einem der Täter ein Hämatom zugefügt haben. Hinweisen auf das eindeutig politische Motiv ging die Polizei zunächst nicht nach. In einer Pressemeldung heißt es stattdessen, es sei in dem Lokal zu einer Auseinandersetzung über das Rauchverbot gekommen. Am Dienstag hat jetzt der türkische Generalkonsul Tunca Özçuhadar den Imbissbetreiber und seine Frau in Hannover empfangen. Zu dem Treffen wurde auch der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht (CDU), eingeladen. Der Minister räumte eklatante Fehler bei dem Polizeieinsatz ein und versprach diese aufzuarbeiten. Das Verhalten der Beamten bezeichnete er als „desaströs“ und „unprofessionell“.
Ein Trauma in zweifacher Hinsicht
Alle drei Vorfälle zeigen auf erschreckende Weise, wie die Polizei gegen menschenfeindliche Angriffe (nicht) vorgeht. Die Opfer erleben auf diese Weise nicht nur ein Trauma aufgrund der Tatsache, dass sie angegriffen wurden, sondern ein weiteres, weil ihnen die Polizei oftmals nur unzureichend Glauben schenkt und damit auch kaum Schutz bietet.
Der Fall aus Mücheln schockiert vor allem vor dem Hintergrund der Aufdeckung der NSU-Mordserie. Seit die Behörden per Zufall die Verbrechen der Zwickauer Terrorzelle aufspürten, wurden Politik und Polizei nicht müde zu betonen, dass nun härter denn je gegen rechtsextreme Gewalttaten vorgegangen werde. Dass sich dieses Vorhaben als bloßes Lippenbekenntnis herauskristallisieren könnte, ist am Fall Mücheln augenscheinlich. Die Polizei steht mehr denn je in der Pflicht menschenfeindliche Übergriffe gezielt zu verfolgen, um Opfer zu schützen und ein klares Signal an die Täterinnen und Täter zu setzen, dass rassistische Gewalt und die Verherrlichung der NSU-Morde nicht geduldet werden.
Die mobile Opferberatung bittet um Spenden
Die mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt bittet jetzt um Spenden für die Betroffenen aus Mücheln und beschreibt in ihrem Aufruf auf eindringliche Weise, dass der rassistische Übergriff nicht nur extrem traumatisierend für die Kleinfamilie ist, sondern dass sie seitdem auch vor den Trümmern ihrer Existenz steht. Der Imbissbetreiber war trotz seiner massiven Ängste aufgrund finanzieller Nöte gezwungen, den Imbiss nach einwöchiger Pause wieder zu öffnen. Zwar hat die Polizei mittlerweile Maßnahmen zum Schutz des Lokals getroffen, doch die Angst vor einem erneuten Angriff bleibt.