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Mit dem geplanten Mahnmal für die Opfer der alliierten Bombenangriffe des Februars 1945 in der Busmannkapelle kurbelt die Landeshauptstadt Dresden erneut die Gebetsmühle der Erinnerung. Die Umsetzungspläne der Gedenkstätte zeigen, dass der Opferdiskurs noch lange nicht beendet ist.
Von Bernhard Jarosch
Jüngst hat der renommierte Historiker Götz Aly in der Berliner Zeitung angemerkt, dass Berlin zu einer mit „nazi-stalinistischen Gedenkfragmenten vollgestopften Rumpelkammer“ mutiere und die Bundeshauptstadt Gefahr laufe „ihre Geschichte und ihren Stolz zu verspielen.“ Dresden ist nicht Berlin, doch dass es Analogien zwischen den beiden vom Zweiten Weltkrieg besonders betroffenen Städten gibt, beweisen die Rumpelstilzchen der CDU- und FDP-Abgeordneten im Dresdner Stadtrat.
Am 18. Oktober des vergangenen Jahres wurde dem Antrag zur Errichtung des Mahnmals für die Opfer der alliierten Bombenangriffe mehrheitlich zugestimmt und so eine neue Runde der Memorialisierung der Vergangenheit eingeläutet. Merkwürdigerweise fand dieser Antrag bisher wenig Beachtung, was in Anbetracht der Umsetzungspläne erstaunt. So verblüfft es zum Beispiel, dass zur Finanzierung Gelder aus dem Topf des „Lokalen Handlungsprogramms“ abgeschöpft werden sollen. Ursprünglich richtete sich das Handlungsprogramm an „engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie Institutionen im Bereich der Extremismusbekämpfung“, wie es im Konzeptpapier der Stadt heißt. Während den zivilbürgerlichen Projekten in naher Zukunft Mittel im alltäglichen Kampf gegen Neonazismus und Rassismus fehlen könnten, freuen sich die Neonazis und die NPD über den neuen Totenkult mitten in der Landeshauptstadt.
Wie sensibel und polarisierend die Aufarbeitung der deutschen Geschichte ist, erfährt Dresden jedes Jahr am 13. Februar, dem Jahrestag der Bombardements. Seit Jahren pilgern Mitte Februar Neonazis aus ganz Europa nach Dresden, um den Getöteten der Luftangriffe zu gedenken. Der Mythos einer Stadt und deren Bewohnerinnen und Bewohner, die unschuldige Opfer einer aggressiven Alliierten Luftwaffe geworden seien, funktioniert und wirkt auch heute noch. Warum also setzen sich die konservativen Kräfte der Stadt Dresden dafür ein, diesem Tag ein weiteres Mahnmal zu setzen?
„Wir wollen den Opfern ihre Identität wieder geben“
Dem Stadtrat und den Befürwortern des Mahnmals schwebt vor, „einen zentralen Ort zu schaffen, der es Angehörigen, Dresdnerinnen und Dresdnern und Besuchern unserer Stadt möglich macht, in einer Stätte des stillen Gedenken, der Andacht und des Friedens sich der Opfer zu besinnen“. Knapp siebzig Jahre nach den Bombardements haben die Regierung und deren bürgerliche Unterstützerinnen und Unterstützer ein anhaltendes Interesse an der Re-evaluierung der Geschichte. Das Konzept des Mahnmals erlaubt Einblicke in die Umdeutungsversuche deutscher Aufarbeitungspolitik.
Die Planung des Denkmals sieht vor, die im Jahr 2008 von einer Historikerkommission erstmals identifizierten 19.000 Namen der etwa 25.000 Getöteten auf einer Gedenktafel aufzulisten, um „den Opfern ihre Identität wieder zu geben und den Hinterbliebenen einen Ort der Trauer zu bieten.“ Kaum ein Begriff wird derart oft zu Rande gezogen um Vergangenes zu legitimieren, wie der schwerwiegende Terminus „Opfer“. Der Wunsch, nun alle Getöteten, inklusive der Nazis, als „Opfer“ der alliierten Bombardements namentlich in Stein zu meißeln, muss wenigstens den Hinterbliebenen der jüdischen und anderen Verfolgten wie Hohn erscheinen. Namensauflistungen auf Gedenktafeln waren als Sprache der Denkmäler eigentlich passé, hatte man doch erkannt, dass eine abstrakte Form der Erinnerung der Unfassbarkeit des Zweiten Weltkrieges angemessener sei. Die Nivellierung und Gleichmachung aller persönlichen Hintergründe der Getöteten durch die Aneinanderreihung der Namen, ist Unrecht gegenüber denen, die tatsächlich unschuldig starben. Den Getöteten im Kollektiv das Prädikat „Opfer“ zu zuschreiben, ist weder moralisch noch faktisch richtig.
19 Namen aus 19.000
Für Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen ist „es nicht nur unsensibel NS-Täterinnen und Täter auf einer Gedenktafel als Opfer zu betiteln, sondern geschichtsrevisionistisch“. Da es im Stadtrat offensichtlich kein Bewusstsein dafür gibt, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus von Menschen verübt wurden, will die Arbeitsgruppe die Biographien der Toten kritisch untersuchen und dokumentieren. Das Projekt „19 Namen aus 19.000“ hinterfragt die persönlichen Hintergründe von neunzehn Getöteten, um die Widersprüche einer Vereinheitlichung aller Getöteten als Opfer aufzuzeigen. Die Darstellung verschiedener Biografien der Getöteten, könne darauf aufmerksam machen, dass die einzige Gemeinsamkeit der Getöteten deren Verschiedenheit sei, so Nattke.
„Kein Ort eignet sich besser als die Sophienkirche“
Auch die Wahl des Ortes an dem das Mahnmal errichtet wird ist fragwürdig. Dresden besitzt bereits verschiedene Gedenkorte, die das öffentliche Erinnern und Trauern an die Angriffe der Alliierten ermöglichen. Die wiederaufgebaute Frauenkirche als „Mahnmal gegen den Krieg“, die Gedenktafel auf dem Altmarkt zur Erinnerung an die Luftangriffe und die im Jahr 2010 eingeweihte Plastik „Trauerndes Mädchen am Tränenmeer“ auf dem Heidefriedhof, auf dem die Mehrheit der Getöteten begraben liegt. So gesehen, könnte man meinen, das Mahnmal für die Opfer der alliierten Bombenangriffe sei nur ein weiterer Mosaikstein. Doch dass die Wahl auf die Busmannkapelle, die an der Stelle der ehemaligen Sophienkirche steht, als Ort des Gedenkens fiel, beschreibt eine neue Qualität einer alten Logik. Die Sophienkirche wurde 1963 auf Anweisung Walter Ulbrichts, dem Generalsekretär der DDR, zerstört. Die christliche Religion und deren Kirchen hatten keinen Platz in der materialistischen Ideologie des Sozialistischen Systems. So schlimm die materielle Zerstörung der Kirche ist, sie ist nicht zu vergleichen mit der Geschichte des menschenverachtenden Nationalsozialismus.
Extremismus als Feindbild der lupenreinen gesellschaftlichen Mitte
Die Gleichstellung nationalsozialistischer und sozialistischer Untaten der deutschen Geschichte ist zum modus operandi, zum Motor deutscher Aufarbeitungspolitik geworden. Der Begriff des Extremismus dient als Projektionsfläche und ist dabei das erstarrte Feindbild der politischen Demokratie. Das Bild einer Gesellschaft in Hufeisenform, soll demonstrieren, dass sich an den beiden Ausläufern der Links- und Rechtsextremismus bewegt, während die Mitte als stabiler und lupenreiner Hort der Geborgenheit verklausuliert wird. So populär dieses Verständnis von Extremismus heute ist, so falsch ist dessen Botschaft. Links und Rechtsextremismus sind keine Formen, die sich vergleichen lassen. Der Versuch die Phänomene miteinander zu verweben, verschleiert die eigentlichen Inhalte und Ziele der Bewegungen. Durch diese repetitive Gleichung rückt in den Hintergrund, dass der linke Widerstand eine Reaktion auf die rassistische Ideologie des Neonazismus ist und keineswegs eine antidemokratische Strömung, im eigentlichen Sinne.
Im Mahnmalsentwurf des Dresdner Stadtrats steckt aber eben diese politische Auffassung und findet in der Ortswahl ihre plastische Verkörperung. Durch die Verknüpfung des nationalsozialistischen Terrors mit den Repressionen des sozialistischen Systems versuchen Teile der konservativen Kräfte stetig, die Singularität der NS-Geschichte aufzuweichen. Im Angesicht der DDR-Diktatur, so die Idee, werde auch der Nationalsozialismus als ein historischer Ausrutscher greifbar.
„Die Setzung der einzig richtigen Erinnerung“
Die Thematik beweist, dass die Vehemenz mit der das Mahnmal die Geschichte zu deuten versucht, der Komplexität der Hintergründe nicht gerecht wird. Auch wenn es ein anstrengender Prozess ist: die Bombardierung der alliierten Luftwaffe muss kontextualisiert werden. Welche Rolle spielte die Gauhauptstadt Dresden im Nationalsozialismus? Haben die Angriffe nicht auch zur Beendigung eines Krieges beigetragen, der von Deutschland ausgelöst, Millionen Menschen das Leben kostete? Bedingung für ein respektvolles und würdiges Gedenken an die Kriegstoten ist die Beachtung der teilweise auch gegensätzlichen Facetten und Perspektiven. Exemplarisch die Bombardierung Dresdens aus der Kette ihrer Entstehung zu lösen, ist zu einfach. Grit Hanneforth, Leiterin des Kulturbüro Sachsens, resümiert, „dass im Mahnmal wieder mal der Versuch zu erkennen ist, die Setzung der einzig richtigen Erinnerungsform für sich zu beanspruchen.“
Rolle rückwärts
Ein Mahnmal für die Opfer der alliierten Bombenangriffe hat keinen Mehrwert, wenn es nicht zum Denken anregt und keine Interpretationsfreiheiten zulässt. Richtig oder falsch, Täter oder Opfer, das sind Begriffe, welche die verschiedenen Dimensionen der Geschichte des Februars 1945 nicht darstellen können. Nachdem sich in den letzten beiden Jahren in der breiten Bevölkerung das Bewusstsein breit gemacht hat, der neonazistischen Heroisierung der Toten entgegentreten zu müssen, macht die Stadt mit dem Mahnmal eine Rolle rückwärts. Sie entkräftet den offenen Diskurs um Schuldfragen und Aufarbeitung, wenn der inflationär verwendete Begriff des „Opfers“ wiederbelebt wird. Dresden war keine Stadt der ausnahmslos Unschuldigen und genauso wenig ein Kollektiv aus Tätern. Diese Gleichzeitigkeit müsste auch in der Erinnerung an die alliierten Angriffe ihren Ausdruck finden.