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Vorurteil: "Das sind doch alles Wirtschaftsflüchtlinge"

Niemand setzt sich leichtfertig nachts in ein marodes Boot, wissend, dass der Tod droht. Niemand setzt alles aufs Spiel, lässt alles los – Heimat, Besitz, Familienangehörige, vielleicht sogar Kinder – und das alles nur in der Hoffnung auf den Bezug von Sozialleistungen. Wer Asyl sucht, kämpft oft ums Überleben.

Die größte Gruppe unter den Asylsuchenden in Deutschland sind Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg - 2014 stellten sie mit 39.000 fast ein Viertel aller Asylanträge. Rund 13.000 Asylsuchende kamen aus Eritrea, wo eine brutale Militärdiktatur herrscht, die Regimekritiker auf unbestimmte Zeit in geheimen Gefängnissen verschwinden lässt. Krieg, kriegsähnliche Zustände und brutale Gewalt trieben 2014 auch tausende Menschen aus Afghanistan (9.000 Asylanträge in Deutschland), Somalia (5.500) und Irak (5.300) in die Flucht.

Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Asylanträge dieser Menschen nicht aus formalen Gründen zurückweist, sondern inhaltlich prüft, sind die Anerkennungschancen hoch: Insgesamt erhält die Hälfte der Asylsuchenden nach inhaltlicher Prüfung durch das Asylbundesamt einen Schutzstatus: 2014 waren es 48,5 %, im ersten Halbjahr 2015 genau 49,1 %. Die bereinigte Schutzquote lag 2014 für Afghanistan bei 68 %, Somalia bei 74 %, Irak bei 89 %, Eritrea bei 99 % und Syrien bei nahezu 100 %. Ein Teil der Abgelehnten ist danach noch mit einer Klage vor Gericht erfolgreich.

Zu den Hauptherkunftsländern der Jahre 2014/2015 gehören auch eine Reihe von Balkanstaaten: Serbien (2014 rund 17.200 Asylanträge), Albanien (7.900), Kosovo (6.900), Bosnien und Herzegowina (5.700) sowie Mazedonien (5.600). Die Anerkennungschancen liegen nahe Null, seit das Asylbundesamt Schnellverfahren für die Balkanflüchtlinge durchführt und drei Länder gesetzlich als "sichere Herkunftsstaaten" eingestuft sind. Kann man nun diese Menschen alle als "Wirtschaftsflüchtlinge" abwerten? Mitnichten. Die Balkan-Ablehnungspraxis ist politisch verordnet und inhaltlich fragwürdig.

Insbesondere Roma sind massiven Bedrohungen ausgesetzt: Die EU-Kommission hat festgestellt, dass Roma in allen Balkanstaaten einer Rundum-Diskriminierung unterliegen, die sie daran hindert, ein normales Leben zu führen: Sie erhalten keine Wohnungen und leben deshalb in Slums, oft sogar ohne Strom und Heizung. Sie haben kaum Zugang zu Bildung, zu Arbeit, zu Gesundheitsversorgung. Immer wieder werden Roma Opfer rassistischer Gewalt. Die individuellen Fluchtgründe von Balkanflüchtlingen können in ihrem Zusammenwirken durchaus zu Asylanerkennung führen. In der Schweiz erhielten 2014 laut Eurostat rund 37 % der serbischen und 40 % der kosovarischen Anstragstellenden einen Schutzstatus. Finnland gewährte 43 % der Flüchtlinge aus dem Kosovo Schutz. In Frankreich wurden 20 % und in Belgien 18 % der Schutzsuchenden aus Bosnien und Herzegowina, in Großbritannien 18 % der albanischen Asylsuchenden als schutzbedürftig eingestuft.

Quellen:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2014): "Asyl in Zahlen".

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2014): "Das Bundesamt in Zahlen".
Dr. Karin Waringo, PRO ASYL (2013): "Serbien - ein sicherer Herkunftsstaat". Eine Auswertung von Quellen zu Menschenrechtssituation

Eurostat/ESTAT
 

„Pro Menschenrechte. Contra Vorurteile“ räumt in kurzer Form mit den gängigsten Vorurteilen gegen Flüchtlinge auf.