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"Im Osten nichts Neues...?"


Sachsen-Anhalt steht, nicht zuletzt wegen hoher Arbeitslosigkeit und der Brutalität rechtsextremer Gewalttaten, oft in den Schlagzeilen. Viele junge Menschen verlassen das Land auf der Suche nach Arbeit. "Was bedeutet es aber für Jugendliche in Sachsen-Anhalt zu leben?", fragt die in Magdeburg eröffnete Ausstellung „Im Osten nichts Neues …?“


Am 17. Januar 2010 eröffnete in der Landeshauptstadt Magdeburg die Ausstellung „Im Osten nichts Neues …?“. Insgesamt 33 junge Menschen, die in Sachsen-Anhalt leben, werden darin portraitiert. „Gerade junge Menschen in Sachsen-Anhalt gelten als Triebfeder künftiger Entwicklung, stehen jedoch hinsichtlich ihrer Visionen, Ressourcen und Bedarfe kaum im Fokus der öffentlichen Betrachtung“, erläutert die Projektleiterin Franziska Schramm in ihrem Ausstellungseinleitungstext. Jedes Portrait ziert ein Bild, darunter befindet sich ein kurzes Statement über das Leben und die Zukunftsperspektive der portraitierten Person. Die Ausstellung wird durch fünf Expertenmeinungen ergänzt. "Ziel war es, ein möglichst differenziertes Bild von der Jugend zu entwerfen", so Schramm weiter.

Jugend in Sachsen-Anhalt ohne Perspektive?

So kommt die 18-jährige Sina zu Wort. „Wenn ich mein Abitur fertig habe, dann werde ich hier auch weggehen. Ich würde auf keinen Fall im Osten bleiben“, steht für sie bereits fest. Und Dani bemerkt, „im Osten fehlt das kulturelle Interesse“. Und andere ergänzen: Sachsen-Anhalt habe kein Profil, viele Projekte scheiterten am „provinziellen Denken“, die Jugendkultur habe keine „Lobby in der Stadt“. Kritische Worte, die viele Jugendlichen für die Beschreibung Sachsen-Anhalts gewählt haben.

In den Kommentaren werden immer wieder Arbeits- und Perspektivlosigkeit thematisiert. Auch wenn das Thema Rechtsextremismus und Gewalt nicht im Mittelpunkt der Ausstellung stehen, wird auch dies in verschiedenen Portraits aufgegriffen. Die NPD könne sich zunehmend verankern, trotz eines verschwindend niedrigen Ausländeranteils. „Sie machen den Leuten genau die Angebote, die wir nicht mehr finanzieren können“, beklagt Sven, 36, Streetworker. Erst 2007 hat die NPD Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) ihre Bundesgeschäftsstelle nach Sachsen-Anhalt verlegt. Und der 27-jährige Student Sören stellt fest: „Wenn die Demokratie für die jungen Leute schon keinen Wert mehr darstellt, eigentlich irgendwas ist, aber nichts Wichtiges, dann haben die Radikalen freies Feld“.

Die portraitierten Experten sprechen von den Ursachen. „Was sich tatsächlich hier abspielt, ob nun im ländlichen Bereich oder in den Städten, davon erfährt man überregional recht wenig. Das liegt zum großen Teil daran, dass sämtliche Zentralredaktionen aller bundesweiten Medien in den alten Bundesländern sitzen“, weiß Ilona Wuschig, Professorin an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Positive Vorbilder fehlten in der Region, die überregionale Verankerung sei nur schwach entwickelt. Kai Bussmann, Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, wird deutlich: „In unserem Bundesland geht es außerdem besonders darum, weltoffen zu sein, tolerant zu sein gegenüber Andersdenkenden, gegenüber anderen Lebensstilen, doch damit tut sich das Land schwer“. Und er fügt hinzu: „Es gibt eine sehr hohe Quote an rechter Gewalt, trotz aller statistischen Retuschen, die vorgenommen worden sind. Wir brauchen eine offene Diskussion über bestehende Probleme und Defizite, ein grundlegendes Thematisieren und auch Umdenken“.

Kein Ab-, sondern ein Zuwanderungsproblem


Sachsen-Anhalt möchte weg von diesem Image. Besonders die Landesregierung bemüht sich durch Imagekampagnen mit Slogans wie "Sachsen-Anhalt. Wir stehen früher auf" oder "Sexy-Anhalt" um ein positives Bild. In der Magdeburger Innenstadt sind Veränderungen augenscheinlich. Die Häuserfassaden saniert, Straßen- und Zufahrtswege ausgebaut, die Autobahn dreispurig. Die Universität hat eine nagelneue Zentralbibliothek. In der Innenstadt locken zwei Konsumtempel zum Verweilen. In zartem Rosa, prägt das neu errichtete Hundertwasserhaus seit einiger Zeit das Stadtbild. Aber auch das ist Magdeburg: seit der Wende ist die Bevölkerung um rund ein Fünftel auf aktuelle rund 230.000 Einwohner geschrumpft. In den Randgebieten alte, unsanierte, heruntergekommene Bauten. Die zunehmende Vergreisung und Bevölkerungsrückgang drückt sich auch im Kulturangebot aus.

Elke Lüdecke, Direktorin des MDR Landesfunkhauses in Sachsen-Anhalt, begrüßt die zur Ausstellungseröffnung geladenen Gäste. Aus den Boxen tönt elektronische Musik von DJane Mila Stern. „Nicht ganz die Zielgruppe unseres Radioprogramms MDR Kultur“, bemerkt Lüdecke. Zustimmendes Gelächter bei den Anwesenden. Auch der Europaminister für Sachsen-Anhalt, Rainer Robra, ist erschienen. Er spricht von einer Infrastruktur, besonders an den Hochschulen und der Kinderbetreuung, die in den alten Bundesländern ihres Gleichen sucht. Markig klingt sein Statement: "Sachsen-Anhalt hat kein Abwanderungs-, sondern ein Zuwanderungsproblem". Auch das Engagement gegen Rechtsextremismus der Landesregierung hebt er lobend hervor. Er verweist auf das erfolgreiche positive Engagement der Menschen, als die Magdeburgerinnen und Magdeburger den 800 angereisten Neonazis anlässlich des 65. Jahrestages der Bombardierung Magdeburgs am eine „Meile der Demokratie“ entgegenstellten. 115 Initiativen präsentierten sich dort an Ständen. Rund 5.000 Magdeburgerinnen und Magdeburger waren zu Besuch.

Und positive Kommentare lassen sich auch in der Ausstellung finden. So berichtet etwa Henning, Student, der aus Bayern nach Magdeburg gezogen ist, und immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen hat, wenn er "im Westen" über seine neue Heimat berichtet: "Mich hat zum Beispiel sehr überrascht, dass Magdeburg eine wahnsinnig interessante historische Vergangenheit hat". Oder Mathias, 28, Mitglied der Breakdance-Crew "Circular Flash", betont: "Wir sind Mitteldeutschland und logistisch gesehen ein zentraler Punkt, von dem in Zukunft viel ausgehen wird. Ich denke wir werden der neue Ruhrpott werden". Es finden sich eine Reihe junger Menschen die etwas bewegen, die etwas verändern wollen und sich gegen rassistische Gewalt engagieren. Bleibt zu hoffen, dass sie dem Land nicht den Rücken kehren. Denn „die hochqualifizierten jungen Menschen verlassen unser Bundesland, weil wir ihnen zu wenige Perspektiven bieten“, weiß Kai Bussmann, Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Wenn die wirtschaftliche Konsolidierung nicht gelingt, dann werden wir auch große Probleme haben, die Demokratie zu stabilisieren“, kann man bei Everhard Holtmann, Professor an der Universität Halle-Wittenberg, lesen. Imagekampagnen und Innenstadtsanierungen werden dafür allein zu wenig sein.

Ausstellung soll auch in Belgien, Frankreich und Polen gezeigt werden


Die Ausstellung, die ein facettenreiches und differenziertes Bild der Jugend in Sachsen-Anhalt bietet, ist noch bis zum 18. April im MDR Landesfunkhaus in Magdeburg zu besichtigen. Vom 18. Juni bis 20. September ist sie in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt bei der Europäischen Union in Brüssel zu sehen. Das Projekt wurde vom Bildungsnetzwerk Magdeburg unter Leitung von Franziska Schramm entwickelt. Gefördert wurde es durch das Landesjugendamt Sachsen-Anhalt und des EU-Programms Jugend in Aktion. Weitere Ausstellungen sind in der Vertretung von Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin und in der EU in Brüssel, sowie in den Partnerregionen von Sachsen-Anhalt: Centre in Frankreich und Masowien in Polen geplant.

Von Christian Spiegelberg
Foto: Franziska Schramm, Bildungsnetzwerk Magdeburg gGmbH

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