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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Der Sozialwissenschaftler Timo Reinfrank benennt im MUT-Interview aktuelle Probleme mit Nazis an Schulen, Strategien für die pädagogische Auseinandersetzung mit dem NSU und zeigt Möglichkeiten für nachhaltiges schulisches Engagement gegen Rechts auf.
Jüngst hat die NPD im niedersächsischen Landtagswahlkampf wieder 20.000 so genannte Schulhof-CDs bevorzugt an Berufsschulen verteilt. Schulen sind für Rechtsextreme bewusst gewählte Orte, um Jugendliche anzusprechen und als Anhänger zu werben. Schon länger entwickeln die beiden Städte Bremen und Bremerhaven im Rahmen ihres Beratungsnetzwerkes gegen Rechtsextremismus Angebote für die Arbeit gegen Rechts für Schulen. Ende 2012 stellte die AG Bildung ihre ersten Arbeitsergebnisse im Beratungsnetzwerk vor. Die Mut-Redaktion sprach mit dem vom Bremer Beratungsnetzwerk eingeladenen Referenten, Timo Reinfrank, von der Berliner Amadeu Antonio Stiftung über seine Einschätzung des Engagements von Schulen gegen Rechtsextremismus.
Ist Rechtsextremismus immer noch ein Problem an Schulen?
Ja, es äußert sich vielleicht nicht mehr so deutlich wie noch vor zehn Jahren. Es gibt weniger klassische rechte Cliquen, die die Schule terrorisieren und ihren Machtanspruch mit Gewalt durchsetzen. Vielmehr muss sich Schule mit rechten Wortergreifungsstrategien auseinandersetzen. Lehrerinnen und Lehrer haben schlagfertige und zum Teil geschulte Schülerinnen und Schüler mit einem rechtsextremen oder rassistischen Weltbild vor sich. Zudem wird der Konflikt von Schülerinnen und Schülern stärker indirekt gesucht. Sie tragen beispielsweise in der rechten Szene beliebte Kleidermarken und versuchen damit Position zu beziehen. Auch muss Schule auf die ganze Bandbreite von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit reagieren. Menschenfeindliche und antidemokratische Inhalte finden sich heute nicht mehr nur in klassisch rechten Jugendkulturen. Rechte, antisemitische und rassistische Ressentiments werden heute vor allem über die Sozialen Netzwerke sehr niedrigschwellig verbreitet. Jugendlichen aber auch Erwachsenen fehlt häufig das Wissen diese auch als solche zu erkennen und einzuordnen. Seltener sind die plumpen Agitationsversuche der Jungen Nationaldemokraten mit der Schulhof-CD erfolgreich.
Welche Bedeutung hat die Bekämpfung des Rechtsextremismus an Schulen?
Schulen sind einer der besten Orte für die Prävention gegen Rechtsextremismus und für das Erlernen einer demokratischen Alltagskultur. Die große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler macht im Laufe ihrer Schulzeit Erfahrungen mit rechter Gewalt, Einschüchterung und Diskriminierung. Deswegen sollte keine Schule auf Prävention verzichten. Jedoch fehlt es häufig, trotz vielfältiger pädagogischer Ansätze, vor allem an Ressourcen und dem Willen diese qualifiziert in die Praxis umzusetzen. Zudem wird die Auseinandersetzung mit dem Thema häufig noch immer recht klassisch, vor allem über den historischen Nationalsozialismus, vermittelt, obwohl die familiäre und zeithistorische Distanz für die Schülerinnen und Schüler immer größer wird. Auch wird gerne im Kontext des Politikunterrichts über rechte Parteien geredet. Das ist jedoch eine massive Unterschätzung des Problems und wird dem Thema nicht gerecht. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Umbruchs – Deutschland ist jetzt ein Einwanderungsland – müssen auch pädagogische Ansätze hier beginnen. Pädagogische Erfolge sind ohnehin einfacher zu erzielen, wenn sie an den unmittelbaren Alltagserfahrungen und Erlebnissen der Jugendlichen ansetzen. Leider gibt es nicht das eine richtige Konzept, das einfach anzuwenden wäre in der Bildungsarbeit gegen Rechts!
Welche Rolle haben Lehrerinnen und Lehrer dabei?
Aufmerksame Lehrerinnen und Lehrer sind häufig ein Schlüssel in der Arbeit gegen Rechtsextremismus an Schulen. Es gibt an Schulen viele Engagierte, diese werden jedoch häufig alleine gelassen. Schulleitungen und die Kolleginnen und Kollegen sollten ihnen den Rücken stärken und zusammen überlegen, wie sie sich gegen Rechtsextremismus starkmachen können. Gerade engagierten Lehrerinnen und Lehrern wird häufig vorgeworfen, sie würden sich mit dem Thema profilieren wollen oder ein Problem gegenüber anderen ungerechtfertigt überbetonen. Aber häufig sind Lehrerinnen und Lehrer auch Teil des Problems. Sie erkennen ihren eigenen Weiterbildungsbedarf nicht, agieren teilweise auch unbewusst problematisch, erkennen rassistische Stereotype nicht oder reproduzieren sie sogar. Auch in der Ausbildung von Lehrenden ist die Beschäftigung mit Rechtsextremismus immer noch ein Zusatzangebot. An Schulen wird vor allem mit zeitlich befristeten Projekten gearbeitet. Es braucht jedoch eine langfristige Strategie bzw. einen Mix von vielen unterschiedlichen Aktivitäten zur Auseinandersetzung mit dem Thema.
Wie kann Rechtsextremismus im Unterricht behandelt werden?
Generell sollten moralische Entlarvungen vermieden werden. Auch sollten Lehrende keine Gespräche über das Thema ablehnen und dialogische Formen der Auseinandersetzung suchen. Rechtsextreme Weltbilder sind nicht nur individuelle Einstellungen, sondern auch immer gesellschaftliche Deutungsmuster. Dementsprechend muss gerade Schule auch an gesellschaftlichen Orientierungsversuchen arbeiten. Politische Bildung als Gegenstrategie zu Rechtsextremismus muss daher immer auch bei anderen Themen wie Sozialpolitik oder Globalisierung anknüpfen und hier Bezüge herstellen. Insbesondere sollten hier die gerne von Rechtsextremen vorgenommenen Verknüpfungen von nationalen und sozialen Fragen hinterfragt werden, weil sie sonst ein Einfallstor für rechtspopulistische Erklärungsmuster bieten. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ist eine Daueraufgabe und kann so verhältnismäßig einfach in den Unterricht einfließen.
Was können Schulen über den Unterricht hinaus tun?
Eine erste Reaktion ist oftmals die Änderung von Schul- und Hausordnungen, die das Tragen von rechtsaffiner Kleidung verbietet. Eine solche Hausordnung kann jedoch nur in einem Bündel von Maßnahmen einen Sinn ergeben. Weitere schul- und unterrichtsbezogene Reaktionen sind häufig wissensorientiert, über Dresscodes und Symbole aufzuklären oder haltungs- und symbolorientiert mit einem Zivilcourage- oder Argumentationstraining auf rechte Provokationen zu antworten oder einer gemeinsamen Reaktionen auf Schulhof-CD bzw. Verteilaktionen von NPD und JN-Strukturen, wie dem Aufstellen einer „braunen“ Mülltonne. Dem können dann zeitlich beschränkte Maßnahmen folgen, etwa in Form von Schulprojekttagen und andere Formen der Schulöffnung, wie sie zum Beispiel das Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC) mit Plan- und Rollenspiele durchführt. Die Arbeit des NDC hat den Vorteil, dass hier Jugendliche mit Jugendlichen auf Augenhöhe arbeiten können. Sehr nachhaltig sind in der Regel auch die Besuche von Gedenk- und Erinnerungsorten mit dem Ziel eine Alltagsrelevanz und lokale Bezüge für die Jugendlichen zum Nationalsozialismus herzustellen sowie die Geschichte von Opfern mit dem Ziel der Empathie zu bearbeiten.
Timo Reinfrank ©Amadeu Antonio Stiftung
Welche Rolle kommt dabei Schülerinnen und Schülern zu?
Wichtig ist, dass Schülerinnen und Schüler nicht in der Rolle der Lernenden verhaftet bleiben, sondern dauerhaft aktiviert werden. Häufig sind es auch eigene Aktionen von Schülerinnen und Schülern, die dem Engagement von Schulen vorausgehen. Beispielhafte Aktionen sind etwa eine eigene Ausstellung zum Rechtsextremismus im Stadtteil, die gemeinsame Recherche und Erstellung einer Karte zu rechten Übergriffen oder Patenschaften für verlegte Stolpersteine des Künstlers Günther Demnig. Darüber hinaus gibt es auch eigene Schülerbündnisse gegen Rechts oder eine Schülerzeitung zum Thema. Besonders nachhaltig ist es, die Bearbeitung des Themas im Unterricht und das außerschulische Engagement von Schülerinnen und Schülern zusammenzubringen. Diese Form des Lernens wird Service Learning oder auch „Lernen durch Engagement“ genannt und wurde von der Freudenberg Stiftung nach Deutschland gebracht. „Lernen durch Engagement“ versucht etwa das Engagement in einem Jugendverband oder einer Antifa-Gruppe auch im Unterricht zu reflektieren und damit diese Trennung von Schule und Leben außerhalb der Schule aufzuheben.
Welche Möglichkeiten gibt es das Thema gerade für Schülerinnen und Schüler niedrigschwellig zu behandeln?
Neuerdings beobachte ich Schulen, die das Thema Rechtsextremismus als eine Form von Ungleichwertigkeitsideologie auch im Kontext von Mobbing bearbeiten. Schule ist ein stark geregeltes System mit starken Hierarchien. Schülerinnen und Schüler müssen sich darin häufig einen bestimmt Status erkämpfen, der es ihnen ermöglicht, Macht zu erhalten und auszuüben. Wer keine Macht hat, ist ohnmächtig. Mobbing ist dabei eine der extremsten Formen der Erfahrung von Ohnmacht, Ausgrenzung und Ungleichwertigkeit. Jedes siebte Kind wird gemobbt, viele mit Langzeitfolgen. Ursachen von Mobbing sind häufig – ähnlich wie bei der Ausbildung von rechten Einstellungen - mangelnde Selbstwirksamkeitserfahrungen der Täter, Angst vor unvertrauten Situationen und eine hohe Aggressivität. Als Reaktion darauf gilt es an Schulen vor allem Selbstwirksamkeits- und Gleichwertigkeitserfahrungen aller Jugendlichen zu ermöglichen, die verbunden sind mit angemessener und altersgerechter Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an allen Entscheidungen, die sie betreffen. Schulen versuchen dies etwa über die Atmosphäre der gegenseitigen Achtung und ein Klima des gegenseitigen Respekts. Dies kann dann beispielsweise eingebettet sein in eine ganzheitliche Schulorientierung mit einem längerfristigen Schulengagements im Rahmen der Selbstverpflichtung des Projektes „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“.
Um das Klima von Toleranz und Respekt zu messen und Maßnahmen zu entwickeln hat die Amadeu Antonio Stiftung zusammen mit der RAA Berlin ein Instrument, das Gleichwertigkeitsaudit, entwickelt, dass die Gleichwertigkeitsorientierung auf Basis der Kinderrechte in Schule und Schulumfeld partizipativ analysiert und schulbezogene Maßnahmen zur Stärkung der Gleichwertigkeit an Schulen entwickelt.
Aber muss ich dafür nicht auch die Schule und die Form des Lernens verändern?
Ja, dazu wurde in den letzten Jahren eine eigene schulische Demokratiepädagogik entwickelt. Demokratie lernen wird dabei zunehmend als Form der Prävention von Rechtsextremismus propagiert. Die Grundannahme ist, dass rechtsextreme Einstellungen u.a. auf ausgeprägten Demokratiedefiziten bei den betreffen Menschen beruhen. Zudem ist die Demokratiedistanz gerade bei jüngeren Leuten gestiegen. Bund und Ländern haben gemeinsam ein Modellprojekt mit dem Namen „Demokratie Leben und Lernen“ durchgeführt. Ziel war die Entwicklung demokratischer Handlungskompetenz und demokratischer Schulkultur. Ergebnisses dieses Modellprojektes ist u.a. der Qualitätsrahmen Demokratiepädagogik, der auf der Webseite des BLK-Programms eingesehen werden kann. Auf europäischer Eben gibt es vergleichbare Entwicklungen, die u.a. mit dem Begriff Civic Education bezeichnet werden. Im Vordergrund stehen dabei das Lernen des demokratischen Streitens und die Vermittlung von republikanischen Tugenden, wie die Verantwortungsübernahme für das Gemeinwesen und der Schutz von Minderheiten. Unter anderem ist dabei viel mit dem Modell des Klassenrates gearbeitet worden, der Themen von Schülerinnen und Schülern erörtert, aber auch Antworten auf Fragen des Schulalltags sucht und diese entscheidet. Die Idee dahinter ist, dass Demokratie nicht als abstrakte Herrschaftsform gelernt wird, sondern auch praktisch gelebt wird. Das Erfahrungslernen ist dabei ein Ausgangspunkt zum Demokratielernen über das reine Erleben von klassischen Formen der Beteiligung, wie die Wahl von Klassensprechern oder Schülervertretungen, hinaus.
Letzte Frage: Sind die Taten des NSU ein Thema für den Unterricht in der Schule?
Die Auseinandersetzung mit dem NSU im Rahmen von Schule ist schwierig. Aber für viele Schülerinnen und Schüler gibt es einen großen Diskussionsbedarf. Wir haben jedoch beobachtet, dass sich Lehrerinnen und Lehrer nicht immer sicher fühlen, die Diskussion zu führen und über Unterstützung bei dem schwierigen Thema sehr dankbar sind. Gerade für Jugendliche ist es schwer verständlich, dass die Sicherheitsbehörden solange untätig geblieben sind und das Problem von der ganzen Gesellschaft mit so schlimmen Folgen unterschätzt wurde. Gerade Jugendliche bekommen mitunter an ihren Schulen rechte Aggression und rassistische Ausgrenzung tagtäglich vor Augen geführt, auch wenn es sie nicht immer direkt trifft. Deswegen ist die Ignoranz gegenüber der rechten Gewalt umso unverständlicher. Bei vielen blühen nun munter die Verschwörungstheorien über den Verfassungsschutz.
Wichtig ist es meines Erachtens vor allem die Perspektive von den Angehörigen und potentiellen Opfern des NSU in den Vordergrund zu stellen und Rassismus als strukturelles gesellschaftliches Problem zu benennen. Wir dürfen den NSU nicht als eine Gruppe von Irren hinstellen. Wir müssen das Ziel des NSU, die bestehenden Ressentiments über Einwanderer zu verstärken auch sehr kritisch diskutieren und uns fragen, was wir als Gesellschaft dazu beigetragen haben und die Begriffe wie „Dönermorde“ unhinterfragt haben stehen lassen. Insbesondere in Schulen haben wir das Problem, dass Rassismus häufig Teil eines kollektiven Wissensbestandes ist und viele Lehrerinnen und Lehrer schon fast automatische Annahmen über Vor- und Familiennamen, Berufswahl etc. treffen. Dazu kommen dann die häufig verwendeten, aber falsche Begriffe hinsichtlich der NSU-Taten, wie fremden- oder ausländerfeindlich. Viele Lehrerinnen und Lehrer betrachten Einwanderer als defizitär und nicht unabhängig von ihrer Herkunft. Auch in Schulnoten fließt häufig die Integrationsleistung von Migranten ein, statt der individuellen schulischen Leistung. Auch muss Schule kritisch die Auseinandersetzung mit der Erhaltung von Privilegien und Etabliertenvorrechten suchen und die Bereitschaft stärken, Privilegien zu hinterfragen und aufzugeben.
Das MUT-Interview führte Carsten Jansen.