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Einfach machen!

„Wie wollen wir leben?“ Die 1. Pasewalker Gespräche waren ein wichtiger Schritt hin zu mehr demokratischer Kultur in Vorpommern.

Von Felix Müller

„Es lebe die Freiheit“ waren die letzten Worte Hans Scholls, bevor er vor am 22. Februar 1943 hingerichtet wurde. Das aktive Bekenntnis der Weißen Rose zur Demokratie und gegen nationalsozialistischen Terror nahmen das Projekt „Region in Aktion“ und das Bündnis „Vorpommern: weltoffen, demokratisch bunt“ genau 70 Jahre später zum Anlass, um neue Formen der demokratischen Diskussion anzustoßen. In einem eigens dafür konzipierten Format wurde über die Möglichkeiten der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und anderen menschenverachtenden Tendenzen und die Stärkung des demokratischen Engagements diskutiert. Die 1. Pasewalker Gespräche waren ein wichtiger Schritt hin zu mehr demokratischer Kultur in Vorpommern und ein weiterer Höhepunkt in der Arbeit des Teams von „Region in Aktion“.
 
Perspektivwechsel

„Welche Auseinandersetzung von Miteinander und Gemeinschaft vertreten wir? Was ist unser gemeinsamer Bezugsrahmen? Was ist die Basis der vielen Ideen, die hier heute im Raum waren?“ fragte Gudrun Heinrich, Lehrbeauftragte an der Universität Rostock und Vorsitzende des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern der deutschen Vereinigung für politische Bildung. Pointiert fassen diese Fragen die Gesprächsthemen des Samstags zusammen. Es waren ebendiese Fragen, die über den ganzen Tag hinweg in einem spannenden Format diskutiert wurden. In drei aufeinanderfolgenden Dialogforen wurden so große Themen wie Freiheit, Anerkennung oder Kunst in Bezug auf die Aktivitäten der Vortragenden debattiert. Besonders interessant war dabei der vorgenommene Perspektivwechsel. Denn die Referentinnen und Referenten sprachen jeweils zu Themen, die gerade nicht ihrem Fachgebiet entstammen. Auf die Vorträge folgend eröffneten vorbereitete Fragerinnen und Frager kritische Betrachtungsweisen. Abschließend war es die Aufgabe von jeweils zwei Berichterstattenden, Perspektiven und weiterführende Absprachen zu benennen.

„Für die Freiheit!“

Die Gespräche begannen bereits am Freitagabend in der Marienkirche. Mehr als 70 Interessierte und Mitglieder des Bündnisses „Vorpommern: weltoffen, demokratisch bunt“ berieten über die Aktivitäten des kommenden Jahres. Das Bündnis hatte sich im August letzten Jahres gegründet, um anlässlich des damals in Pasewalk stattfindenden Pressefest der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“ deutlich zu machen, dass rechtsextreme Propaganda in der Region unerwünscht ist. Die Menschenkette mit mehr als 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war ein großer Erfolg. Ein gutes halbes Jahr später hat das Bündnis an Stärke zugelegt. Die Termine, die für das Jahr 2013 beschlossen wurden, beinhalten unter anderem Protestaktionen gegen rechtsextreme Aktivitäten. Zunehmend wird das Bündnis seinen Fokus aber auch auf das aktive Eintreten für demokratisches Zusammenleben legen: Die beste Prävention gegen Menschenfeindlichkeit. Nicht zufällig gewählt war dementsprechend auch der Termin. Vor genau 70 Jahren wurden die Geschwister Scholl hingerichtet. Ihr entschlossenes Eintreten gegen den nationalsozialistischen Terror ist beispielhaft für demokratisches Handeln, das der Willkür die Kraft des Gewissens gegenüberstellt. Angelehnt an die letzten Worte Hans Scholls – „Für die Freiheit!“ – bildeten die Überschrift der Gespräche des folgenden Samstags. In der Volkssolidarität Pasewalk fanden sich mehr als 120 Menschen ein, um Perspektiven und Möglichkeiten der Stärkung demokratischer Kultur in der Region zu diskutieren.

Zukunft zusammen gestalten

Der „Cross-Media-Künstler“ Joachim Manger konzentrierte sich in seinem Vortrag zum Thema Unternehmen konsequent an der Idee, dass die Zukunft gestaltbar ist. Manger hatte gemeinsam mit anderen vor 21 Jahren den Verein schloss bröllin e.V. gegründet. „Region in Aktion“ arbeitet eng und vielfältig mit dem Verein zusammen. Auf dem ehemaligen Gutshof in der Gemeinde Fahrenwalde ist seitdem ein einzigartiges internationales Produktionszentrum von und für Künstlerinnen und Künstlern und alle interessierten Gäste entstanden. Der Hof, ehemals dem Verfall nahe, hat inzwischen eine Anziehungskraft weit über die Grenzen der Region hinaus entwickelt. Dass es so kam, verdankt sich einer gemeinsam entwickelten und umgesetzten Vision engagierter Menschen, die aktiv an der Zukunft arbeiten. Mangers positive Lehre daraus lautete folglich auch: „Die Zukunft kommt notwendig. Sie zusammen zu gestalten, ist die Pflicht aller.“

Nowa Amerika

Und auch Michael Kurzwelly gelangte zu einem vergleichbaren Schluss. Der freischaffende Künstler, der unter anderem an der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder unterrichtet und auch schon bei dem Projekt held/in dorf von „Region in Aktion“ mit dabei war, stellte das Projekt „Nowa Amerika“ vor. Idee hinter diesem imaginären „neuen Land“ in der Grenzregion zwischen Polen und Deutschland ist, die Vorstellungen von dem, was Menschen trennt oder vereint, spielerisch neu auszuhandeln. Auch hier zeigt sich: Wenn Ideen gemeinsam geschaffen wurden, steigt auch die Bereitschaft, gemeinsam Verantwortung dafür zu übernehmen und sie umzusetzen. Der Austausch zwischen Polen und Deutschen ist in Nowa Amerika zur Begegnung zwischen Gleichen geworden. Ganz gleich? Sicher nicht. Denn es gibt, so stellte Kurzwelly fest, wahrscheinlich genauso viele Realitäten, wie es Menschen gibt. Die Unterscheidung an nationalen Grenzen festzumachen, ist also alles andere als notwendig. Nationalismus und Rassismus als zentrale Elemente rechtsextremen Weltanschauung sind also, so ließe sich aus dieser Perspektive folgern, vor allem einem Mangel an Denkbereitschaft geschuldet. Einem Mangel, der für die Diskriminierten und Ausgegrenzten schlimme Folgen hat.

Ein bedeutender Teil des gemeinsamen demokratischen Handelns ist es daher, laut Denis van de Wetering von der Universität Bielefeld, die Gleichwertigkeit des Ungleichen anzuerkennen. Gunther Schrader, der als Vorstandsmitglied des Unternehmerverbandes Vorpommern über Anerkennung in der Arbeitswelt sprach, pflichtete ihm bei. Merkmale wir Hautfarbe oder Religion dürften keine Rolle für das Maß an Respekt spielen, das wir Menschen entgegenbrächten. Und auch Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, betonte, dass Anerkennung eine der wichtigsten Triebfedern menschlichen Handelns sei. Kahane, die über Arbeit sprach, plädierte in ihrem Referat folgerichtig auch eine Umwertung des Arbeitsbegriffs: So lange Arbeitslosigkeit, die gerade in strukturschwächeren Regionen oft alles andere als „selbstverschuldet“ ist, dürfe nicht länger stigmatisierende Effekte haben. Auch nichtbezahlte, ehrenamtliche Tätigkeiten müssten demnach als Grundlage von sozialer Wertschätzung und Teilhabe anerkannt werden.

Zivilcourage ist Freiheit

Von den Schwierigkeiten, die freiwilliges Engagement gegen Rechtsextremismus nach sich ziehen kann, weiß Jörg Wanke ein Lied zu singen. Der Sprecher und Mitbegründer der Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“, die Kooperationspartnerin von „Region in Aktion“ ist, berichtete von Bedrohungen und Anfeindungen, die er aufgrund seines bestimmten Eintretens gegen Neonazis erfahren musste. Ist man nicht allein in seinem Engagement, so Wanke, überwogen aber die positiven Seiten des Einsatzes für demokratische Werte. Denn Zivilcourage sei Freiheit in höchstem Maße. Sie besteht in dem Recht, die eigene Meinung zu äußern. Da aber nicht jede Meinung, die geäußert werden kann, auch demokratischen Standards ent- und also menschenverachtenden Ideologien widerspricht, ist es für das Bündnis wichtig, seine geteilten Inhalte weiterhin zu reflektieren. Anna Richter, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung und wissenschaftliche Begleitung von „Region in Aktion“, hob deswegen folgende Fragen hervor: Was wollen wir schützen? Und: In wessen Interesse und aus welchen Motivationen heraus handeln wir wie?

„Nicht so viel schnacken…“

Viel wurde angeregt an diesem Wochenende in Pasewalk. Die Mitglieder des Bündnisses haben bewiesen, dass sie nachhaltig Verantwortung für die demokratische Kultur in Vorpommern tragen wollen. Die 1. Pasewalker Gespräche haben dabei zur weiteren Vernetzung und zu einem vertieften Austausch untereinander beitragen können. Entsprechend positiv fiel auch das Fazit aus. Die Projektleiterin von „Region in Aktion“, Swantje Tobiassen, zeigte sich beeindruckt. Als eine der Initiatorinnen der Gespräche unterstrich sie die hoffnungsvolle Entwicklung der demokratischen Kultur in der Region. Waren es bei der Veranstaltung „Demokratie von unten“ im Rathaus Pasewalk vor einem Jahr noch ungefähr 30 Gäste, hatten an „held/in dorf“ im September 2012 schon 200 teilgenommen. Dass nun auch in Pasewalk weit über 100 Menschen zusammenkamen, sei ein großer Erfolg. Auch Michael Seidel, freute sich, dass sich in Vorpommern was bewegt. Der ehemalige Chefredakteur des Nordkuriers, der nun in selber Position bei der Schweriner Volkszeitung arbeitet, ist auch Mitglied des Beirats von „Region in Aktion“. Seidel kennt das Projekt der Amadeu Antonio Stiftung von Anfang an und ist erfreut darüber, dass ein altes norddeutsches Sprichwort die Maxime des von Region in Aktion begleiteten und mitorganisierten Engagements darstellt: Nicht so viel schnacken, einfach machen!
 

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Auftakt der 1. Pasewalker Gespräche in der Marienkirche © Katharina Husemann