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Der antirassistische und antifaschistische Ratschlag aus Thüringen lehnt die bundesweite Auszeichnung gegen Extremismus ab. Wer im Extremismus das Problem sehe, könne die Ursachen für Ausgrenzung in der Mehrheitsgesellschaft nicht in dem Blick nehmen.
Elf Projekte aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sollten am gestrigen Donnerstag als Preisträger im bundesweiten Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ 2012 geehrt werden. Vergeben wird dieser Preis vom „Bündnis für Demokratie. Gegen Extremismus und Gewalt“, das im Jahr 2000 gemeinsam vom Justiz- und Innenministerium gegründet wurde. Das höchste Preisgeld in Höhe von 4.000 Euro sollte dabei der antirassistische und antifaschistische Ratschlag aus Thüringen erhalten, doch der hat den Preis am Donnerstagnachmittag in Chemnitz abgelehnt.
„Zwar freuen wir uns, dass unser langjähriges Engagement gegen Nazis und soziale Ausgrenzung gewürdigt werden soll. Aber eine Einteilung in engagierte Bürgerinnen und Bürger einerseits und 'gefährliche Linksextremisten' andererseits lehnen wir ab. Einen Preis, der unter dem politischen Kampfbegriff Extremismus vergeben wird, können wir deshalb nicht annehmen“, begründete eine Sprecherin die Entscheidung des Bündnisses. Wer im Extremismus das Problem sehe, könne zudem die Ursachen für Ausgrenzung in der Mehrheitsgesellschaft nicht in dem Blick nehmen.
Der antirassistische und antifaschistische Ratschlag wird jährlich von mehr als 30 Vereinen, Antifagruppen, Gewerkschaften, Bürgerbündnissen, Parteien, und Einzelpersonen jeweils im November organisiert. Er findet seit 22 Jahren an wechselnden Orten in Thüringen statt und ist in dieser Kontinuität und Breite bundesweit einzigartig. Kritik haben die Preisträger darüber hinaus an der geplanten Preisübergabe durch Professor Dr. Uwe Backes geübt. „Uwe Backes ist einer der einflussreichsten Propagandisten der Extremismustheorie, eine Preisübergabe durch ihn ist für uns nicht akzeptabel“, hieß es weiter. Backes ist Mitherausgeber des Jahrbuchs für Extremismus und Demokratie und stellvertretender Direktor des umstrittenen Hannah-Arendt-Instituts in Dresden. Dessen Mitarbeiter Lothar Fritze hatte im Jahr 1999 die moralische Legitimation des Hitler-Attentäters Georg Elsers bezweifelt und dem einfachen Schreiner Elser den gesellschaftlichen Einblick abgesprochen, die Tragweite seiner Tat überblicken zu können.
Bereits im November 2010 hatte der Pirnaer Verein AkuBiZ die Annahme des sächsischen Demokratiepreises verweigert, weil der Preis an die Unterzeichnung der in die Kritik geratenen sächsischen Extremismusklausel geknüpft war.
Ungeachtet der Preisablehnung wird der antirassistische und antifaschistische Ratschlag in diesem Jahr am 2. November im thüringischen Suhl stattfinden.
Die Erklärung im Wortlaut
Wir freuen uns über diesen Preis. Wir freuen uns, dass unser langjähriges Engagement gegen Nazis und soziale Ausgrenzung dadurch unterstützt werden soll. Der Ratschlag kämpft seit 22 Jahren gegen Nazis, gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen den Extremismus der Mitte und die Gewalt der Verhältnisse, wie sie z.B. in rassistischen Sondergesetzen und staatlicher Repression zum Ausdruck kommt.
Unser Engagement war in den letzten 22 Jahren immer breit, offen und plural. Der Ratschlag wird organisiert von vielen Einzelpersonen und Gruppen. Darunter sind Autonome und Gewerkschafterinnen, Parteivertreter und Linksradikale, Christinnen und Kommunisten, Honoratiorinnen und ganz normale Leute von nebenan.
Einer von nebenan, mit dem wir uns bei einem Ratschlag beschäftigt haben, war Georg Elser. Als er ab Herbst 1938 ein Bombenattentat gegen Hitler geplant hat, wusste er, was bevorstand. Der Hilfsarbeiter Elser hat sich dem NS konsequent entgegengestellt, er war bereit dafür alle Regeln zu brechen. Manche nehmen ihm noch heute diesen Regelbruch übel. Aus dem Dresdner Institut für Totalitarismusforschung heißt es, Elser sei kein Vorbild für antifaschistisches Handeln, da bei seinem Attentatsversuch auf Hitler auch andere starben und er als kleiner Arbeiter nicht in der Lage gewesen sei, die Verhältnisse zu durchschauen und sein Handeln ausreichend zu begründen.
Einer der geistigen Väter dieses ausgrenzenden Diskurses ist der stellvertretende Leiter des Totalitarismus-Instituts Uwe Backes. Er hat den Angriff auf Georg Elser unterstützt. Wer heute Georg Elser moralisch verurteilt, tut dies, um einen bestimmten Teil des Widerstands gegen den Nationalsozialismus zu diskreditieren. Dieser Angriff kommt nicht zufällig aus dem selben Spektrum, das auch heute bestimmte Teile des Antifaschismus angreift. Es gibt hier eine Kontinuität: Wer totalitarismustheoretisch die Gegner des Nationalsozialismus zu Tätern umdefiniert, verharmlost den NS. Wer mit der Extremismusdoktrin die Menschen, die sich gegen Nazis engagieren mit dem NSU in einen Topf wirft, der jahrelang unter den Augen des Staates morden konnte, verhöhnt die Opfer des aktuellen Nazismus.
Eine Teilung in engagierte Bürgerinnen und Bürger einerseits und „gefährliche Linksextremisten“ andererseits lehnen wir ab. Der politische Kampfbegriff Extremismus heißt am Ende doch nur, dass alle, die über ein geduldetes Maß hinaus die politischen Verhältnisse kritisieren, ausgegrenzt, ausspioniert und kriminalisiert werden sollen. Die Friedens- und Umweltbewegung der DDR war in diesem Sinne extremistisch, genau wie all diejenigen, die finden, dass der Kapitalismus evtl. doch nicht dafür sorgt, dass alle Menschen satt und glücklich werden.
Das politische Koordinatensystem der Extremismusdoktrin gaukelt uns vor, dass Menschenfeindlichkeit ein Problem extremer Ränder der Gesellschaft sei. Es trägt damit dazu bei, zu verschleiern, wie sehr Rassismus, Antisemitismus und soziale Ausgrenzung Einstellungen der Mehrheitsgesellschaft sind. Das Ziel dieser Diskursstrategie ist klar: Jede radikale Kritik des Bestehenden soll aus dem Universum des Verhandelbaren ausgeschlossen werden. Aber antifaschistische Engagement ist zum Scheitern verurteilt, wenn es sich darauf beschränkt, allein gegen Nazis vorzugehen. Das Motto des Ratschlags im Jahr 2000 in Jena war entsprechend: „Wehret den Zuständen!“
Im Thüringen der 1990er Jahren haben wir für unser Engagement keinen Preis bekommen, sondern wurden dafür beschimpft. Sich antirassistisch zu äußern und dies auch öffentlich sichtbar zu zeigen wäre ohne die tatkräftige Hilfe der Autonomen Antifa nicht möglich gewesen. Der Ratschlag steht nach wie vor politisch dazu, dass unter seinem Dach die gesamte Breite des Antifaschismus ihren Platz hat. Und das meint explizit auch den Teil, der aneckt, sich streitbar äußert und Regeln verletzt. Der Ratschlag wird es sich auch in Zukunft nicht nehmen lassen, die Verhältnisse, auf deren Boden Rassismus und Antisemitismus gedeihen, auch radikal in Frage zu stellen und extrem deutlich zu kritisieren. Das „Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt (BfDT)“ orientiert sich an der Extremismustheorie. Diese ist wie der Verfassungsschutz, der diese Theorie seit Jahren versucht, salonfähig zu machen, gescheitert. Wir bedanken uns bei denen, die uns für unser kritisches Engagement auszeichnen wollen. Wir können den Preis aber aufgrund seines Titels und aus der Hand von Uwe Backes nicht annehmen.