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Dank Schlampereien seitens der Dresdner Staatsanwaltschaft beginnt der Prozess gegen Lothar König erst am 2. April. Der Vorwurf: schwerer, aufwieglerischer Landfriedensbruch. Das Demokratieverständnis im Freistaat: mal wieder höchst fragwürdig.
Von Felix Müller
Auf den Videoaufnahmen hört man, wie ein Mann von einem blauen VW-Bus aus zu den Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmern mit ruhiger Stimme sagt: „Leute kommt mal, wir sind hier so viele, einfach weitergehen, geht mal weiter“. Ein anderer Mitschnitt zeigt ihn beim Anmelden einer Kundgebung: „Mein Name ist Lothar König. Ich melde hiermit eine Kundgebung an. Wir sichern zu, dass das hier friedlich ist, gewaltfrei“. Für die Dresdner Staatsanwaltschaft ist das heikles Beweismaterial. In ihrer Anklageschrift gegen den Jenaer Jugendpfarrer interpretiert sie dieses Material dann gemäß der zuletzt in Sachsen häufiger praktizierten Art: Schwerer Landfriedensbruch durch wissentliche Inkaufnahme von Straftaten, Verhindern der Strafverfolgung von Demonstrationsteilnehmern, Nötigung.
Dresden nazifreier als zuvor
Lothar König hatte am 19.02.2011 wie fast 20.000 andere dazu beigetragen, den bis dato alljährlichen „Gedenkmarsch“ der Neonazis in Dresden fast komplett zu verhindern. Dass die im Vergleich zum Vorjahr schon deutlich dezimierte geschichtsrevisionistische Masse nach stundenlangem Warten im Schnee nur wenige Meter zurücklegen konnte, ist den zum übergroßen Anteil friedlichen Gegendemonstrierenden zu verdanken. Es ist in erster Linie ihr couragierter Protest, der dazu geführt hat, dass die Zeit um den Jahrestag der Bombardierung Dresdens nun seine Strahlkraft als Highlight im rechten Kalender verloren hat. Ermöglicht durch Menschen, die wissen, dass die Freiheit der Meinungsäußerung ein hohes demokratisches Gut ist – und genau deswegen ihren Missbrauch offen und lautstark kritisieren. Denn: Die Parolen der extremen Rechten beinhalten konstitutiv die Abwertung fremdkonstruierter Gruppen und die Hetze gegen Minderheiten. Sie zielen, zu Ende gedacht, immer darauf ab, die Freiheit der Andersdenkenden abzuschaffen.
„Politischer Extremismus“ trifft Realität
Wer sich nun daran stört, gar „freiwillig“ an kalten Februarsamstagen auf die Straße geht und dem braunen Spuk Einhalt zu gebieten, tut – so sollte man meinen – genau das, was der demokratische Rechtsstaat von ihm oder ihr als BürgerIn erwartet: Er oder sie engagiert sich, kritisch und friedlich, für jene Werte, die ebendiesen Staat zumindest auf dem Papier eignen. In Dresden allerdings sieht man das seit geraumer Zeit anders. Erst vor zwei Monaten wurde Tim H. zu fast zwei Jahren Haft verurteilt, weil er im Rahmen der Anti-Nazi-Proteste 2011 zu Gewalt aufgerufen habe und selber gewalttätig geworden sollen sei. Die wesentliche Beweislast für die Verurteilung beschränkt sich auf eine Tonaufnahme, in der ein Mann die Worte „Kommt nach vorn“ in ein Megafon spricht. Ob es Tim H. ist, ist nicht ausgemacht. Die Botschaft des Urteils bietet dagegen wenig Interpretationspotential: Wer sich klar gegen Nazis stellt, ist wahrscheinlich „Linksextrem“, macht sich damit mindestens verdächtig und potentiell verurteilungswürdig.
Die Logik der vermeintlich in den „Extremen“ lauernden Gefahr für die friedliche, wachsame und per Definition urdemokratische Chimäre der „Mitte der Gesellschaft“ ist es nun auch, die Lothar König vor Gericht bringt. Den friedensbewegten, unangepassten, seit Jahrzehnten in der Jugendarbeit engagierten Pfarrer aus Jena, der seit Beginn der Neunziger auf die Gefährlichkeit der Neonazis in der Herkunftsstadt des sogenannten NSU hingewiesen hat und dafür lange Zeit „im besten Fall Gleichgültigkeit, im schlechtesten Häme erntete“, wie es Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, auf der Pressekonferenz anlässlich des Prozessauftaktes beschreibt.
Verdacht statt Unterstützung
Bereits eine Woche vor Beginn der Anti-Nazi-Proteste begann die Telefonüberwachung von König. Grund für die Ermittlungen war zunächst der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die hanebüchene Vermutung, König sei der Anführer eine „Antifa-Sportgruppe“ wurde inzwischen fallengelassen. Solcherlei juristisch unhaltbare Eingriffe in die Privatsphäre zielen dabei nicht nur auf Einzelpersonen wie König ab. Bei den 2011er Protesten in Dresden wurden bekanntermaßen 1 Millionen Handydaten und 42.000 Personendaten erfasst.
Gegen König wird weiter ermittelt. Im August 2011, er befindet sich gerade im Wanderurlaub, durchsucht die sächsische Polizei seine Pfarrerdienstwohnung und beschlagnahmt dabei auch „schweres Tatwerkzeug“ wie den blauen VW-Bus der Jungen Gemeinende, der hin und wieder als Lautsprecherwagen dient. Am 19.03.2013 soll dann der Prozess wegen des Vorwurfs des schweren aufwieglerischen Landfriedensbruchs beginnen. Dazu kommt es jedoch nicht. Denn zur fragwürdigen Motivation der Dresdner Justiz gesellen sich verfahrenstechnische Ungereimtheiten. Erst wenige Tage vor Prozessbeginn entdeckt Königs Rechtsanwalt Johannes Eisenberg gut 100 Seiten Papier und mehrere CDs, die ihm bis dato bei diversen Aktensendungen vorenthalten worden waren. Er fordert den zuständigen Richter dazu auf, den Sachverhalt des vorenthaltenen Materials aufzuklären. Dieser sieht sich dazu jedoch zeitlich nicht in der Lage. Ergebnis: Verschiebung des Prozessauftaktes auf den 2. April und eine Blamage für das Gericht.
Der falsche Frieden des Freistaats
Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie berichtet auf der Pressekonferenz davon, dass es erfahrungsgemäß oft sehr lange dauere, bis angeklagte Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmer in Verfahren wie diesen Recht bekämen. Wenn sie es denn bekommen. Der Prozess gegen König findet dabei nicht im luftleeren Raum, sondern im Kontext der Diskussion über den Umgang mit der extremen Rechten – gerade nach der Selbstenttarnung der Zwickauer Terrorzelle – und der Formen legitimen Protest gegen ihre Manifestationen auf den Straßen dieses Landes, statt. Klar ist, dass es sich hier um einen politischen Prozess handelt. Denn auch die Rechtsprechung ist niemals frei von Tendenzen eines bestimmten gesellschaftlichen Klimas oder einer bestimmten politischen Vorstellung. In diesem Fall betrifft es die Kriminalisierung eines Mannes, der nicht müde wird zu betonen, dass es ihm um die Freude am Leben gehe – und dass sich engagiertes Eintreten gegen Neonazis daraus als Pflicht ergibt.
„Lothar kam nicht nach Dresden, um den Landfrieden zu brechen, sondern um einen falschen Frieden anzuprangern“, sagt denn auch Christof Ziemer, ehemaliger Superintendent des Kirchenbezirks Dresden-Mitte und wichtiger Mitgestalter der politischen Wende in der ehemaligen DDR. Der Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr sieht das ähnlich. Der Prozess diene allein der Furchterregung und Einschüchterung der Teilnehmenden von Anti-Nazi-Protesten. Anetta Kahane pflichtet ihm bei. Dies sei ein politischer Prozess, bei dem es um die Kriminalisierung der Frühwarner gehe.
Gemeint sind wir alle
Der Prozess gegen Lothar ist nicht nur eine weitere unrühmliche Fußnote zu den Protesten in Dresden 2011. Vielmehr soll versucht werden, ein Exempel zu statuieren. Mit abschreckender Wirkung. Und aus fragwürdiger Motivation. Denn in nicht unerheblicher Weise betrifft die Erhebung einer solchen Anklage auf Grundlage solch magerer Beweislage direkt die Verhandlung der Grenzen, innerhalb derer demokratische Meinungsäußerung stattfinden darf. Sie stellt den Versuch dar, Lothar Königs friedlichen Protest, stellvertretend für viele, gewollt politisch zu delegitimieren. Und droht ihm mit Gefängnis. In einer bedenklichen Geste bezieht sie damit Stellung gegen die Möglichkeiten der Herausbildung einer wachsamen und kritischen Zivilgesellschaft. Einer, die imstande und willens ist, extrem rechtem Gedankengut alltäglich den Nährboden zu entziehen, indem sie ihm etwas entgegensetzt.
Vielleicht, und diese Hoffnung ließen etwa das Agieren der Ordnungsbehörden und Polizei bei den diesjährigen Anti-Nazi-Protesten zu, verändert sich aber auch etwas im sächsischen Demokratieverständnis. Vielleicht werden auch bald die nächsten Transparente gedruckt: „Geht einfach mal weiter“. Diesmal hoffentlich, ohne dass dafür jemand unschuldig verurteilt werden muss.