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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
In den kommenden Wochen werden wir uns bei MUT GEGEN RECHTE GEWALT mit Alltagsrassismus beschäftigen. Dafür stellen wir euch in einer Serie Erlebnisberichte von Menschen vor, die von Alltagsrassismus betroffen sind.
Von Vanessa Vu // zuerst erschienen auf jetzt.de
Rein äußerlich werde ich meist für einen anderen Typ europäischer Südländer gehalten. Das macht mir das Leben vermutlich leichter, weil ich mit meiner Identität spielen kann und nicht sofort in eine Türken-Schublade gesteckt werde. Dennoch bin ich offenbar nicht „weiß“ genug, um als Deutscher zu gelten. Dass ich auf Grund meiner schwarzen Locken nicht in einen Club reinkomme, ist keine Seltenheit. Und komischerweise wird mir auf der Arbeit Korrekturlesen nie zugetraut.
Wenn ich auf die Frage nach meiner Abstammung „Ich bin aus Berlin“ antworte, dann spüre ich, wie es in dem Menschen gegenüber brodelt. Und wenn er vor ignoranter Neugier fast platzend nachfragt, woher ich denn wirklich komme, präzisiere ich amüsiert, dass ich ein Kreuzberger bin, mit einer tscherkessischen Mutter, die aus dem Westen der Türkei stammt. Manchmal lasse ich die Türkei weg, dann können sie mich gar nicht mehr einordnen: Was bitteschön ist denn ein Tscherkesse?!
Auf Grund meiner guten Leistungen in der Schule und Uni wurde und werde ich häufig für meine tolle Integration gelobt. Du bist Deutscher, sagen sie. Das macht mich ärgerlich. Werde ich nur als Deutscher akzeptiert, wenn ich einen bestimmten Grad an Eloquenz, Bildung und sozialen Kompetenzen mitbringe? Was ist dann mit den Millionen weißen Deutschen, die sich nicht mit Goethe und Sokrates auskennen, oder nicht einmal Hochdeutsch beherrschen? Müssten diese in der Logik dann nicht als Deutsche disqualifiziert sein?
Diese Integrationsdebatte verfolgt einen komplett falschen Ansatz. Sie setzt für Deutschsein einen Idealtypus des akademisch gebildeten Bürgers voraus. Das ist absurd, weil es für weiße Deutsche auch nicht Grundvoraussetzung ist, diesem Idealtypus zu entsprechen, um Teil der Gesellschaft zu sein. Aber weil People of Color (kurz: PoC, ist eine von Rassismus Betroffenen gewählte, politische Eigenbezeichnung. Sie soll missverständlichen Begriffe wie „Ausländer“, „Mitgranten“, etc. ersetzen, Anm. d. Red.) oft als rückständig, apolitisch, faul, integrationsunwillig, kriminell und irrational behandelt werden, müssen sie immer unverhältnismäßig viele Anstrengungen unternehmen, um dazu zu gehören. Sobald wir dann erfolgreich sind, hält man uns ständig vor, dass man es in dieser Gesellschaft problemlos zu allem schaffen könnte und es gar keine Diskriminierung gibt: Cem Özdemir hat es ja auch geschafft. Das wäre, als würde ich jedem Ostdeutschen unter die Nase reiben, dass es Angela Merkel auch geschafft hätte.
Ich wünsche mir innig, dass die Menschen begreifen, dass Probleme in unserer Gesellschaft nicht aus dem „Migrationshintergrund“ resultieren, sondern aus Armut und Chancenungleichheiten. Nicht, weil ich nicht mit Vorurteilen zurechtkomme, sondern weil Menschen aus unserer Mitte wegen Rassismus alltäglich diskriminiert oder gar eingesperrt und getötet werden. Diskriminierung aufgrund der Haut- oder Haarfarbe kann nur ein Ende haben, wenn wir People of Color als vollwertige Menschen mit gleichen Chancen und Rechten behandelt werden. Von Frauen, die unter Sexismus oder Homosexuellen, die unter Homophobie leiden, fordert man ja auch nicht, sich erst einmal ordentlich zu integrieren.
Cihan, 28, Student, Berlin