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Viele seiner Bilder sind bekannt, er selbst ist es kaum. Vor achtzig Jahren floh der Dresdener Fred Stein vor den Nazis nach Paris. Dort begann der Jurist sein Hobby, die Fotografie, zum Beruf zu machen. Nun widmet das Jüdische Museum Berlin ihm die erste Retrospektive weltweit und einen umfangreichen Fotoband.
Von Elisabeth Gregull
Sein Termin mit Albert Einstein sollte eigentlich nur zehn Minuten dauern. So war es vereinbart. Doch dann wurden zwei Stunden daraus, in denen sich die beiden Männer intensiv unterhielten und Witze erzählten. Fred Stein machte in dieser Zeit nur knapp 25 Fotos von dem Nobelpreisträger. Sein Portrait ist bis heute eines der bekanntesten von Albert Einstein überhaupt.
Ein Flüchtling mit Kamera
Dieses Portrait und viele andere von berühmten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts konnte Fred Stein nur machen, weil ihm das Fluchthilfenetzwerk von Varian Fry im Mai 1941 mit einem der letzten Schiffe die Ausreise aus Marseille in die USA ermöglichte. Nach Kriegsbeginn war Fred Stein in Frankreich in verschiedenen Lagern für „feindliche Ausländer“ interniert, doch er konnte fliehen. Dann gehörte er mit seiner Frau Lilo und ihrer kleinen Tochter zu den knapp 2000 Flüchtlingen, die das Netzwerk um Varian Fry rettete. Es war ein knappes Entkommen – und ihre zweite Flucht.
Von Dresden nach Paris
Eiffelturm, Paris 1934. Foto: © Estate of Fred Stein
Fred Stein wurde 1909 in Dresden als Sohn eines Rabbiners und einer Religionslehrerin geboren. Er studierte Rechtwissenschaften, doch 1933 wurde er auf Grund des Berufsverbots als Rechtsreferendar entlassen. Stein war politisch aktiv und Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), einer linken Abspaltung der SPD. Er wusste, dass er im Visier der Nazis stand, und täuschte gemeinsam mit seiner Frau Lilo eine Hochzeitsreise nach Paris vor. So gelang ihnen die Flucht. Im Gepäck eine Kleinbildkamera von Leica, die sich das Paar gegenseitig zur Hochzeit geschenkt hatte.
Ein Flaneur mit soziologischem Interesse – die Straßenfotografie
Kinder lesen Zeitung, Paris 1936. Foto: © Estate of Fred Stein
Fred Stein baute mit der Leica seine neue berufliche Existenz auf. Er flanierte durch das Paris der Dreißigerjahre, fing Straßenszenen ein und war einer der ersten, der mit einer Kleinbildkamera rausging. Es sind alltägliche Szenen, Bilder einfacher Leute, auch in den weniger wohlhabenden Ecken der Stadt. Die Straßenfotografie blieb Zeit seines Lebens eine der großen Leidenschaften von Fred Stein. Nach seiner Flucht in die USA erschloss er sich seine neue Heimat New York in den Vierzigerjahren mit der Kamera.
Er vermochte es, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und besondere Augenblicke einzufangen - Bilder von Kindern und Straßenverkäufer_innen, Menschen bei der Arbeit oder beim Spiel. Die Fotografierten wenden sich ihm offen zu, lächeln und verhalten sich ungekünstelt. Dies verleiht den rund 70 Straßenfotografien in der Ausstellung einen einzigartigen Charme. Immer wieder blitzt auch Fred Steins Humor auf – durch die Auswahl der Motive oder Bildausschnitte.
Zeitungshut, New York 1946. Foto: © Estate of Fred Stein
Das „Who is who“ des 20. Jahrhunderts – die Portraitfotografie
Obwohl er zwei Mal fliehen und wieder eine neue Existenz aufbauen musste, bewahrte Fred Stein sich eine positive Haltung zum Leben und sein Interesse an allem Menschlichen. Seinen ursprünglichen Lebensplan, als Jurist den weniger Privilegierten beizustehen, musste er aufgeben. Aber mit seiner Straßenfotografie und seinem soziologischen Interesse hat er einen anderen Weg gefunden, seinem Ziel treu zu bleiben. Fred Stein wandte sich in seiner Arbeit den ihm unbekannten Menschen auf der Straße und den berühmten mit gleicher Aufmerksamkeit und gleichem Respekt zu.
Seine zweite große Leidenschaft war die Portraitfotografie. Er hat über 1200 Portraits gemacht. Das Jüdische Museum zeigt davon 60, darunter viele von Flüchtlingen wie er, mit einigen verbanden ihn langjährige Freundschaften. Er begegnete ihnen zunächst in Frankreich, später in den USA – manche wurden ebenfalls durch das Netzwerk von Varian Fray gerettet, wie Hannah Arendt.
Hannah Arendt (1906-1975), New York 1944. Foto: © Estate of Fred Stein
Er beschäftigte sich im Vorfeld mit der Arbeit der Menschen, die er portraitierte – und verfiel mit ihnen während des Fototermins häufig in angeregte Debatten. Dieses Interesse an den Menschen und der lebendige Austausch spiegeln sich in den Portraits. Zu sehen sind in der Ausstellung Willy Brandt, Marlene Dietrich, Egon Erwin Kisch, Thomas Mann, John F. Kennedy und viele andere Persönlichkeiten aus Politik und Kultur. Leider hängen die sehr sehenswerten Portraits recht eng beieinander – ein wenig mehr Abstand hätte das einzelne Bild vielleicht besser zur Geltung kommen lassen.
Ein zu Unrecht vergessener Meister der Fotografie
Fred Stein, fotografiert von Lilo Stein, Paris 1935. Foto: © Estate of Fred Stein
Fred Stein starb 1967 im Alter von 58 Jahren, noch bevor die dokumentarische Fotografie in den 1970er-Jahren populär wurde und andere Fotografen wie Robert Capa oder Henri Cartier-Bresson dauerhaft bekannt machte. Stein geriet in Vergessenheit. Seit rund 15 Jahren versucht sein Sohn Peter das Werk seines Vaters wieder ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Die Ausstellung bietet nicht nur die Chance, rund 130 Fotos zu sehen, die Peter Stein von Originalnegativen erstellt hat. Sie lässt auch den Menschen und Künstler hervortreten, den man bislang nicht mit seinen bekanntesten Fotos in Verbindung gebracht hat.
Der Fotoband „Fred Stein. Paris New York“ ist Varian Fry gewidmet. Er umfasst 128 Abbildungen und bietet neben Texten zu Leben und Werk eine sehr schöne Auswahl aus Fred Steins fotografischem Werk. Darunter sind die berühmten Portraits von Albert Einstein und Hannah Arendt, aber auch von Salvador Dali, Bertold Brecht und Hermann Hesse. Die rund 100 Straßenfotografien aus Paris und New York zeigen Steins originellen Blick in seiner ganzen Breite: großstädtische Architektur, Leben und Arbeit der einfachen Leute und auch zahlreiche sehr spezielle Bilder von Kindern. Sowohl die Ausstellung als auch der Fotoband sind sehr empfehlenswert und bringen einen zu Unrecht vergessenen Meister der Fotografie wieder in Erinnerung.
Die Ausstellung „Im Augenblick. Fotografien von Fred Stein“ ist noch bis zum 23. März 2014 im Jüdischen Museum in Berlin zu sehen. Der Eintritt kostet 7 Euro, ermäßigt 3,50 Euro.
Die Fotoband „Fred Stein. Paris New York“ ist im Kehrer-Verlag erschienen, hat 200 Seiten und kostet 49,90 Euro.
Elisabeth Gregull ist freie Fachjournalistin (DFJS) mit den Schwerpunktthemen Migration, Diversity und Folgen der NS-Zeit.