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Am 1. Mai wollen die Nazis in Berlin aufmarschieren. Nicht zufällig haben sie dafür den Stadtteil Schöneweide gewählt. Doch es regft sich Widerstand. Mit einer Demo und Konzerten am Vorabend und der Verhinderung des Aufmarsches wollen Berlinerinnen und Berliner ein Zeichen setzen: Nazi-Kiez? Ohne uns!
Von Ulla Scharfenberg
Seit Jahren gehört der 1. Mai, der Tag der Arbeit, zu den wichtigsten Terminen im rechtsextremen Aktionskalender. Neonazis versuchen ganz gezielt, mit sozialen Themen Anschluss zu finden, mit ihrer Kapitalismus- und Globalisierungskritik, knüpfen sie bewusst an die Ängste der Menschen vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg an. Besonders jüngere Neonazis orientieren sich dabei an Forderungen und Aktionsformen der klassisch linken Antikapitalisten. Auf den ersten Blick ist es zunehmend schwieriger „rechte“ und „linke“ Kapitalismuskritik(er) auseinander zu halten. Doch auch wenn sich die Slogans und das Auftreten ähneln mögen, die Kapitalismuskritik der Neonazis ist und bleibt antisemitisch, rassistisch, nationalistisch und chauvinistisch.
Antikapitalismus von rechts
Unter dem Motto „Raus aus dem Euro“ werden Neonazis am kommenden Mittwoch im Berliner Stadtteil Schöneweide aufmarschieren. Sie versuchen, den 1. Mai als den „Tag der nationalen Arbeit“ zu instrumentalisieren, um deutsche Arbeitnehmer gegen die angebliche Arbeitsmarktkonkurrenz aus dem Ausland auszuspielen. Auch in Frankfurt am Main, Würzburg, Dortmund und Erfurt haben Neonazis Demonstrationen angemeldet, die zum Teil von den örtlichen Behörden verboten wurden. Während in Berlin und Frankfurt überwiegend die NPD mobilisiert, werden in Erfurt, Dortmund und Würzburg eher „Aktivisten“ der Kameradschaftsszene und autonome Nationalisten erwartet.
Berlin am 1. Mai
Aufgrund der Verbote und der nebulösen Mobilisierungsstrategie der Neonazis ist jedoch noch völlig unklar, ob, wo und wie viele Rechte tatsächlich auftauchen werden. „Wir gehen nicht davon aus, dass es ein Großaufmarsch wird“, erklärt Jan Landers, Sprecher des Bündnisses 1. Mai Nazifrei in Berlin. Vorsichtige Schätzungen erwarten maximal 500 – 800 Personen, angemeldet wurden laut Aussage der Berliner Polizei 300 Teilnehmer. Ob der Aufmarsch in Berlin-Schöneweide bundesweite Relevanz bekommt, hängt auch davon ab, ob die Demo-Verbote in Dortmund und Frankfurt am Main aufrechterhalten werden können.
Die Nazis sollen keinen Meter laufen
Den Berliner Aufmarsch hat NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke angemeldet, angeblich von 12 bis 24 Uhr. Die angekündigte Route verläuft vom S-Bahnhof Schöneweide quer durch den Kiez im Bezirk Treptow-Köpenick: Brückenstraße - Edisonstraße - Wilhelminenhofstraße - Siemensstraße - Griechische Allee - Platz am Kaisersteg.
Rund um das mögliche Aufmarschgebiet der Nazis werden sich Menschen zu Gegenkundgebungen zusammenfinden. Ziel ist es, die Demonstration komplett zu verhindern. Lars Laumeyer von der Interventionistischen Linken in Berlin erklärte auf der Pressekonferenz des Bündnisses 1. Mai Nazifrei die Taktik der Gegenproteste: „Blockaden sind ein probates Mittel zu Verhinderung von Nazi-Aufmärschen. Wir werden mit Menschenblockaden die möglichen Routen der Nazis dichtmachen.“ Er betont, dass von den Menschenblockaden keinerlei Eskalation ausgehen wird.
Um die Blockaden erfolgreich durchführen zu können, rufen die Nazigegnerinnen und -gegner dazu auf, bereits ab 9 Uhr gemeinsam nach Schöneweide anzureisen. Treffpunkte sind der S-Bahnhof Ostkreuz sowie Neukölln.
„Blockieren ist unser Recht“, heißt es auch im Aufruf des Bündnisses, der von hunderten Berlinerinnen und Berlinern unterstützt wird, u.a. von Abgeordneten der SPD, Linken, Grünen, Piratenpartei und DKP, von Gewerkschaften, Berliner Clubs und Künstlerinnen und Künstlern. Auch Wolfgang Thierse, Bundestagsvizepräsident und „Profi-Blockierer“, wird am Mittwoch unter den Gegendemonstranten sein: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Neonazis ihre menschenverachtenden Parolen in Berlin auf die Straße tragen. Ich rufe alle Berlinerinnen und Berliner dazu auf, sich am 1. Mai den Rechtsextremen in den Weg zu stellen.“ Thierse beteiligte sich bereits am 1. Mai 2010 an den Blockaden des Naziaufmarschs, damals im Prenzlauer Berg.
Bunt, kreativ und zielorientiert
Auch das Bezirksamt Treptow-Köpenick ruft dazu auf, am 1. Mai Gesicht gegen Neonazis zu zeigen. Unter dem Motto „1. Mai Nazifrei! Wir für Toleranz! Wir für Vielfalt! Wir für Demokratie“ lädt Bezirksbürgermeister Oliver Igel Bürgerinnen und Bürger ein, sich zu beteiligen „Zeigen Sie Engagement! Seien Sie Teil einer demokratischen, friedlichen und bunten Bewegung gegen die unerträgliche Verharmlosung von Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus, gegen rechte Propaganda und Hassgewalt gegen Minderheiten und Andersdenkende, gegen Intoleranz und gegen rechte Hegemoniebestrebungen.“ Zur Beteiligung an den Blockaden möchte Oliver Igel nicht direkt aufrufen, im Rahmen der Pressekonferenz im Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick betont er aber, „jedes zivilgesellschaftliche Engagement gegen Neonazis“ zu unterstützen. Er hofft, dass die Menschen am 1. Mai den Aufmarsch „bunt, kreativ und zielorientiert“ verhindern.
Einladend sieht er nicht aus "Zum Henker", Berlins berühmteste Nazi-Kneipe ©AAS
Warum Schöneweide?
Der Bezirk Treptow-Köpenick im Südosten Berlins gerät leider immer wieder aufgrund rechtsextremer Aktivitäten in die Schlagzeilen, im Stadtteil Niederschöneweide sind die Neonazis besonders präsent. Hier finden sich neben der Bundesgeschäftsstelle der NPD rechte Szenekneipen und Ladenlokale. Zu überregionaler Bekanntheit schaffte es beispielsweise die Gaststätte „Zum Henker“ in der Brückenstraße. Nur ein paar Häuser weiter eröffnete der Berliner NPD-Chef, Sebastian Schmidtke, 2011 sein Geschäft „Hexogen“, benannt nach einem hochgiftigen Sprengstoff, den die Deutschen im Zweiten Weltkrieg herstellten und einsetzten. Im Hexogen bietet der 28-Jährige „Alles für den Aktivisten“ an, neben Militär- und Sicherheitsdienstbedarf auch szenetypische Materialien, CDs und Kleidung sowie Pfefferspray und Teleskopschlagstöcke.
Im direkten Umfeld der Brückenstraße, die auch „die braunste Straße Berlins“ genannt wird, kommt es immer wieder zu rechtsextremen Schmierereien und Übergriffen auf Migranten und Andersdenkende.
Dass die Nazis für ihren Aufmarsch Berlin-Schöneweide gewählt haben, ist kein Zufall. „Die fühlen sich hier wohl“, sagt Lars Laumeyer auf der Presskonferenz im Zentrum für Demokratie. Für die Neonazis gilt der Stadtteil als „Homezone“. Wie zum Beweis taucht Sebastian Schmidtke vor der Glastür auf, fotografiert und filmt die Teilnehmer der Pressekonferenz. Während einige der Kamerateams hektisch aufspringen und den Berliner NPD-Vorsitzenden zum Interview bitten, wird drinnen das Gespräch fortgesetzt. Neben Henker, Hexogen und der NPD-Parteizentrale existieren viele weitere Trefforte der Neonazis im Bezirk, viele der aktiven Rechtsextremen wohnen zudem in der Nachbarschaft. „Mir machen eher die unbekannten Orte Sorgen“, sagt Bürgermeister Oliver Igel.
Nazi-Event mit „Brauni und Klampfe“
Kein Wunder also, dass sich die Nazis in Schöneweide wohlfühlen. Am 1. Mai wollen sie deshalb auch nicht einfach nur demonstrieren, sondern mit prominenten Rednern und angesagten Szenebands ihre Präsenz im Stadtteil demonstrieren. Neben Sebastian Schmidtke, sind auch der NPD-Bundesvorsitzende, Holger Apfel und sein Vorgänger Udo Voigt, der NPD-Landesvorsitzende Mecklenburg-Vorpommerns, Stefan Köster sowie der Münchner Karl Richter angekündigt. Letzterer ist Chefredakteur der NPD-Postille „Deutsche Stimme“ und sitzt für die „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ im Münchner Stadtrat. Seit vergangenem November fungiert er zudem als Vorsitzender des bayrischen NPD-Landesverbands. Für die musikalische Untermalung des Nazi-Events, soll die Rechtsrock-Band „Wiege des Schicksals“ aus Mecklenburg-Vorpommern sorgen. Außerdem werden „Brauni und Klampfe“ aus Thüringen ihre menschenverachtenden Texte zum Besten geben.
© AAS
Nazi Kiez? Ohne uns!
Um den Nazis den Spaß zu verderben und der rechtsextremen „Homezone“ den Kampf anzusagen findet bereits am Vorabend des 1. Mai, ab 17 Uhr eine Demonstration in Schöneweide statt. „Gemeinsam mit allen solidarischen Menschen wollen wir den neonazistischen Hegemoniebestrebungen sowie dem alltäglichen Rassismus eine antifaschistische Kultur entgegensetzen“, heißt es im Aufruf. Die Demonstration beginnt am 30. April um 17 Uhr am S-Bahnhof Schöneweide und endet mit einem Konzert unter dem Motto „Gemeinsam gegen Nazis!“. Neben Liveauftritten von Irie Révoltés, ZSK, Berlin Boom Orchestra und dem Atari Teenage Riot DJ Set ist eine „Feine Überraschungsband“ angekündigt. Kennerinnen und Kenner vermuten hier richtig.
Demo + Konzert am 30. April, 17 Uhr S-Bahnhof Schöneweide
Nazis und Rassisten blockieren am 1. Mai. 10 Uhr S-Bahnhof Schöneweide
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