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Vor wenigen Wochen wurde die blutigste Terrorserie seit Bestehen der RAF entlarvt. Konsequenzen? Aufarbeitung? Fehlanzeige. Statt dessen übt sich Deutschland in Selbsttäuschung.
Von Marion Kraske
War da was? Ach ja, eine Art Petitesse. Vor wenigen Wochen wurde, eher per Zufall, eine rechtsextreme Terrorzelle mit dem klingenden Namen Nationalsozialistischer Untergrund enttarnt. Jahrelang waren junge Menschen aus dem Osten Deutschlands durchs Land gezogen und hatten wahllos Menschen mit Migrationshintergrund hingerichtet. Schneider, Blumenverkäufer, Kioskbesitzer – Menschen, die ihrer Arbeit nachgingen und unglücklicher Weise zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Einzig ihre Herkunft besiegelte ihr Schicksal.
Zehn Taten. In zehn Jahren. Die blutigste Terrorserie seit Bestehen der RAF. Rassismus und Fremdenhass, die vor Jahren in Rostock und Mölln noch vor aller Augen gewütet hatten, galten vielen seither als überwunden, das Land des Holocausts galt als „clean“, als nicht mehr infiziert mit dem Virus menschenverachtender Ideologie. Dass seit der Wende mehr als 180 Menschen aus Fremdenhass heraus getötet wurden – diese Tatsache war im öffentlichen Bewusstsein nicht verankert. Und so war das allgemeine Entsetzen groß, als sich im Herbst 2011 offenbarte, mit welcher Brutalität rechte Extremisten hierzulande unentdeckt gewütet hatte. Es folgten Schockstarre, Ergriffenheit und, wenn auch reichlich spät, Solidaritätsbekundungen mit den Opfern.
Und nun: Funkstille.
Stellen wir uns vor: Nicht Zuwanderer wären auf perfideste Art und Weise getötet worden, sondern Banker und Industrielle, die vermeintlichen Eliten dieser Republik. Machen wir uns nichts vor: Der Aufschrei wäre ungleich hysterischer, der Nachhall ungleich lauter gewesen. Derartige Taten hätten die Republik eruptiv verändert. Aber der Mord an zehn Ausländern?
Längst sind nicht alle Details der braunen Mordserie aufgeklärt – die Verstrickung dutzender V-Leute wie auch die nebulösen Vorgänge im Thüringer Verfassungsschutz liegen weiter im Dunkeln – , und schon ebbt die eben noch durch Superlativen getragene Aufmerksamkeitswelle ab. Zwar tagt in Thüringen lustlos eine Untersuchungskommission – die Ergebnisse bislang: allenfalls dünn-, zwar visieren Vertreter aller Parteien im Bundestag einen Untersuchungsausschuss an, zwar berichten einige Medien dann und wann über das klandestine und womöglich auch kriminelle Innenleben einer entweder außer Kontrolle geratenen oder komplett unfähigen Staatsinstitution namens Geheimdienst. Und auch der angeschlagene Bundespräsident liefert noch ein paar erinnernde Worte. Doch darüber hinaus? Die umfassende Aufarbeitung der Taten, die große Lehre, die Politik und Gesellschaft aus der Terror-Causa ziehen würden, gar Konsequenzen - sie sucht man vergeblich.
Terror ist kein isoliertes Phänomen
Anlass dazu gäbe es genug. Denn neben den Morden selbst wirft vor allem der Umgang mit ihnen kein gutes Licht auf die innere Verfasstheit dieses Landes. Wichtige Korrektive funktionieren nicht, wenn dutzende V-Leute in den Reihen der Demokratiefeinde zwar finanziert werden, diese aber von einem mordenden Rechtsextremismus nichts mitbekommen haben wollen. Wenn jahrelang die Angehörigen der Getöteten unter Generalverdacht gestellt, die Opfer reflexhaft zu Tätern stilisiert werden. Wenn Ermittler Migranten manisch in die Nähe von Mafiosi rücken. Wie weit ist es her mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Gleichheit vor dem Gesetz? Sind Inländer und Zugezogene tatsächlich gleich in diesem unserem Deutschland?
Um die Beantwortung all dieser Fragen drückt sich die Öffentlichkeit herum. Und so versiegt die Debatte allmählich, die gesellschaftliche Generalanalyse dieser, wie Thüringens Innenminister Jörg Geibert es nennt „größten Verbrechensserie in der Geschichte der Bundesrepublik“, unterbleibt.
Ohnehin krankt die öffentliche Interpretation der braunen Tatserie vor allem an einem Punkt: Politik und Medien behandeln den Terror als nahezu isoliertes Phänomen. Es werde eine unzutreffende Abspaltung vorgenommen, beobachtet auch der Bielefelder Rechtsextremismusexperte Wilhelm Heitmeyer: Hier die saubere Gesellschaft, dort der böse Terror. Das aber, so Heitmeyer komme einer „Selbsttäuschung“ gleich. Denn die radikalisierten Milieus, so Heitmeyer, „fallen ja nicht vom Himmel“. Vielmehr bedienten sie sich eines breiten Vorrats an Ideologien, die in der Gesellschaft zu finden seien. Täter wie Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, so der Wissenschaftler, fänden ihre Ideologie nicht zuletzt durch gesellschaftliche Eliten bestätigt.
Fakt ist: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind in Deutschland weit verbreitet. Das bewies nicht zuletzt die breite Zustimmung zu den rassismusgeschwängerten Thesen Thilo Sarrazins. Zwar hat die Wissenschaft (in Form einer Studie der Berliner Humboldt-Universität) weite Teile seines Buches widerlegt, dennoch stößt Sarrazins Deutschland-schafft-sich-ab-Untergangsszenario auf fruchtbaren Resonanzboden. Kein Wunder: Eine Studie der Friedrich-Ebert Stiftung mit dem Titel „Die Mitte in der Krise“ belegt, dass rechtsextreme Einstellungen in die Mitte der Gesellschaft eingesickert sind. So stimmt im Westen knapp jeder Vierte ausländerfeindlichen Aussagen zu, im Osten ist es bereits jeder Dritte.
Und so ist es wohl weniger Desinteresse denn kollektives Wegducken, das das schnelle Abebben der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtsterror erklärt: Zu monströs die Taten, zu monströs und unbequem die Rückschlüsse, die wir für uns, für unser Gemeinwesen ziehen müssten. Statt Aufklärung zu betreiben, gebe es den Versuch einer „gesellschaftlichen Selbstentlastung“, urteilt Rechtsextremismusforscher Heitmeyer. Schuld ist der Terror, so die allgemeine Interpretation, nicht die Gesellschaft, aus dem dieser Terror entspringt.
Ohne die richtigen Rückschlüsse auf problematische Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft aber, ohne den öffentlichen Druck ist es fraglich, ob die Selbstreinigung gelingen kann, ob das xenophobe Klima im Land eingedämmt, ob die Demokratie gefährdenden Verirrungen des Verfassungsschutzes, ja die mögliche staatliche Teilhabe am rechten Terror jemals aufgearbeitet werden. Prävention vor weiteren extremistischen Taten kann so nicht gelingen.
Die Mitschuld der deutschen Politik
Schuld an diesem Versagen ist nicht zuletzt die ideologische Blindheit, mit der die Politik dem Phänomen des rechten Rechtsextremismus begegnet. Vor allem die schwarz-gelbe Regierung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, den Menschenhass von rechts gefährlich verharmlost zu haben. Statt gegen die zahlreichen Übergriffe auf Ausländer und sogenannte ideologische Feinde vorzugehen, schwadronierte beispielsweise Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) von einer zunehmenden „Deutschenfeindlichkeit“. Das entsprechende Video auf Youtube lässt an der ministeriellen Eignung der jungen Konservativen generelle Zweifel aufkommen. Das Schröder-Ministerium war es auch, das die umstrittene sogenannte Extremismusklausel für linke zivilgesellschaftliche Initiativen auf den Weg brachte. Die Klausel gilt Experten als kontraproduktiv, da sie die Arbeit von Vereinen und Initiativen gegen rechts nachhaltig schwächt.
Kein Einzelfall. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) etwa redete als Reaktion auf die Anschlagsserie auf Berliner Bahngleise im vergangenen Herbst gar einem neuen „Linksterrorismus“ das Wort. Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm sah sich anschließend veranlasst, öffentlich klarzustellen, dass es diese Spielart des Terrors in Deutschland derzeit gar nicht gebe. Ungeachtet dessen brachte das Bundesamt für Justiz im Anfang 2010 ein neues Formular auf den Weg. Mit ihm können nun nicht mehr, wie bislang üblich, Opfer rechter Gewalt finanzielle Nothilfe beantragen, sondern auch Opfer linksextremer Übergriffe. Begrüßenswert, wenn es sie denn geben würde. Die Statistik aber spricht eine andere Sprache: 2010 meldeten sich 95 Opfer rechtsextremer Gewalt, im Bereich linksextremer Taten dagegen gab es kein einziges Opfer.
Marion Kraske, studierte Politologin, ist freie Journalistin, Kolumnistin und Buchautorin. In ihrem 2009 erschienenen Buch „Ach Austria. Verrücktes Alpenland“ (Molden-Verlag) zeigt Kraske unter anderem die Problematik des geistigen Rechtsextremismus in Österreich auf. Sie ist außerdem Gründerin des Polit-Blogs www.debattiersalon.de.
Marion Kraskes Kommentar ist zuerst erschienen auf www.cicero.de