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Vor einem Jahr...


...wurde Marwa El-Sherbiny im Landgericht Dresden von Axel M. erstochen. Der Bürger.Courage e.V. gedenkt ihr mit der Installation "18 Stiche".


Als Marwa El-Sherbiny die Verhandlungssaal nach ihrer Aussage am 1. Juli 2009 verlassen wollte stach Alex M. auf sie ein. Er tötete sie mit 18 Stichen. „Marwa El-Sherbiny wurde unter rassistischen und islamfeindlichen Motiven mit 18 Messerstichen ermordet. Diese Stiche wollen wir in Form großer Betonmesser über das gesamte Stadtgebiet verteilen", erklärt der Vereinsvorsitzende von Bürger.Courage e.V. Christian Demuth.

Im Gericht erstochen

2008 wurde El-Sherbiny von dem aus Russland kommenden Alex M. auf einem Spielplatz als „Terroristin" und „Islamistin" beschimpft. Es kam zur Anzeige und das Amtsgericht Dresden verurteilte Alex M. zu einer Geldstrafe. Nach Einspruch gegen den Strafbefehl wurde M. in einer erneuten Verhandlung zu einer höheren Geldstrafe verurteilt, gegen die die Staatsanwaltschaft aber Berufung einlegte, da sie sie als zu niedrig empfand. In der Berufungsverhandlung am 1. Juli kam es dann zu den tödlichen Stichen. Marwa El-Sherbiny, die in den 1990er Jahren in der ägyptischen Nationalmannschaft Handball spielte und Pharmazie studiert hatte, starb - im dritten Monat schwanger - an ihren Verletzungen. Ihr Ehemann eilte ihr noch zu Hilfe, wurde vom Täter ebenso mit Messerstichen verletzt und von einem Polizeibeamten, der ihn für den Angreifer hielt, angeschossen.

Reaktionen erst nach internationalem Druck


Wie konnte es geschehen, dass ein Mensch in einem Gerichtssaal aus rassistischer Motivation erstochen wurde? Wieso gab es keine Kontrollen? Warum wurde die Gefährdung nicht vorher erkannt? Wo blieb die Empathie und die Erkenntnis, dass der Mord ein rassistischer war? "Es wurde zynisch spekuliert, was gewesen wäre, wenn der Mord jeweils eine säkulare arabische Frau, eine Jüdin, eine Schwarze oder eine „Deutsche“ getroffen hätte. Auch die Herkunft des Täters stand bei diesem Aspekt zur Debatte. Ist er ein echter Deutscher, doch einer, der nicht her gehört?! Was, wäre er ein eifersüchtiger Türke, ein Schwarzer oder sonst irgendwas. Nun, es gibt in Deutschland viele Gründe, kein Mitgefühl zu zeigen. In dem Fall hatte fast jeder einen anderen", resümierte Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung. Erst als die internationale Öffentlichkeit, einige Engagierte in Dresden und die internationale Presse den Druck erhöhte korrigierte sich das Bild der unpolitischen Tragödie. Am 11. November 2009 wurde Alex M. aufgrund besonderer Schwere der Schuld zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Tatbestand erfüllte „die Mordmerkmale der Heimtücke und der niederen Beweggründe, nämlich Ausländerhass", bestätigt das Urteil des Landgerichts.

Die täglichen Stiche in Dresden


Der Verein Bürger.Courage und der Künstler Johannes Köhler errichten am 1. Juli um 12 Uhr den ersten Teil der Installation „18 Stiche" vor dem Dresdner Gerichtsgebäude. Geplant ist 18 aus Beton gegossene Messer an verschiedenen Orten der Stadt zu installieren. Nach der Eröffnung mit dem ersten Messer am Landgericht folgen die weiteren 17 Messer in den kommenden drei Wochen. Neben der Erinnerung an El-Sherbiny stehen die Messer „stellvertretend für die kleinen und großen ‚Stiche‘, die in Dresden Tag für Tag durch versteckten oder offenen Rassismus" Menschen widerfahren, erklärt Demuth. „Es ist bitter und traurig, dass erst ein Mord geschehen musste, damit sich die Stadt Dresden und viele andere Institutionen im Kampf gegen rechtsextremes Denken und Alltagsrassismus bewegt haben“, so Demuth weiter. Und der Mord an Marwa El-Sherbiny war auch nicht der erste. 1991 wurde Jorge João Gomondai von Neonazis aus einer fahrenden Straßenbahn gestoßen oder sah sich aus Angst dazu gezwungen, aus der Bahn zu springen - der Umstand ist nicht klar. Er starb an seinen schweren Kopfverletzungen.

Was heißt Integration?

Bürger.Courage e.V. zufolge ist noch nicht klar, ob die Trauer und der Aktionismus nach dem tragischen Mord an Marwa El-Sherbiny nur eine Eintagsfliege bleiben oder ob die Stadt auch darüber hinaus den Kampf gegen Alltagsrassismus aufnimmt und die Bedingungen für Menschen mit Migrationshintergrund wirklich verbessert. „Wir hören von vielen Migrantinnen und Migranten recht kritische Stimmen“, so Demuth weiter. Ein seit Jahren diskutiertes Integrationskonzept komme erst langsam in der Stadtverwaltung an. „Es scheint auch so, dass oft zwischen ‚nützlichen‘ und ‚nicht nützlichen‘ Migrantinnen und Migranten unterschieden wird. Es sollte für die Behandlung von Menschen in unserer Stadt aber nicht maßgeblich sein, inwiefern sie unserer Wirtschaft und Wissenschaft nutzen", erklärt Demuth.

Von Nora Winter
Foto: Trauerzeremonie für Marwa El-Sherbini am Rathaus Dresden, von Lysippos via wikipedia, cc

 

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