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Für den morgigen Samstag haben Neonazis zu einem "Gedenkmarsch" in Magdeburg aufgerufen. Das Bündnis Magdeburg Nazifrei will den Aufmarsch verhindern. Wir sprachen mit Leila Becker (Bündnissprecherin Magdeburg Nazifrei) über die bevorstehenden Ereignisse.
Das Interview führte Roger Grahl
Was erwarten Sie für die Neonazi-Demonstration am kommenden Samstag?
Anhand unserer Informationen erwarten wir wie die Polizei die Teilnahme von 2000 Rechtsextremen an der Demonstration. Aufgrund dieser hohen Zahl und der bundesweiten Mobilisierung der Nazis gestaltet sich die Vorbereitung der Großdemonstration für uns in diesem Jahr noch herausfordernder als sonst. Wir nehmen wahr, dass städtische und polizeiliche Stellen auf Anfragen und unser Engagement anders reagieren als in vorhergehenden Jahren. Dies zeigt sich auch in dem Versuch, Demonstration und Gegendemonstration räumlich zu trennen. Wir werden uns dennoch dafür einsetzen, historische Orte und die Wegstrecke der Nazis zu blocken.
Welche Unterschiede sehen Sie zum Gedenkmarsch in Dresden?
Rechtsextremen ist es immer wieder gelungen für den "Gedenkmarsch" in Dresden international zu mobilisieren. Dies lässt sich auf den historischen Mythos, den Umfang der Zerstörung und die Bedeutung Dresdens zurückführen, welche von den Nazis im Rahmen der Märsche stetig ausgeschlachtet wurden. So konnte eine Teilnehmerzahl von bis zu 6.000 Personen erreicht werden. In Magdeburg ist eine Bedeutungsaufladung in dieser Dimension nicht gegeben. Zwar mobilisiert die rechte Szene bundesweit für den Aufmarsch. In der Hauptsache werden die Teilnehmer aber aus der Region stammen bzw. aus anderen ostdeutschen Bundesländern anreisen.
Wie kam es zur Gründung der Initiative Magdeburg Nazifrei?
Wir haben uns im Mai 2012 aus der Intention heraus gegründet, Massenblockaden in Magdeburg zu organisieren und zu etablieren. In den letzten Jahren ist uns während der Märsche der Nazis aufgefallen, dass eine bessere Koordinierung und Infrastruktur der Blockadeversuche in Magdeburg notwendig ist, um ebenso erfolgreich zu sein, wie die Gegenaktionen in Dresden. Aufgrund dessen wird es in diesem Jahr mobile Verpflegungsteams, Sanitäter und Anwälte geben, welche die Teilnehmer der Blockadeversuche begleiten wie unterstützen.
Wie beurteilen Sie das Verhältnis von "Freier Szene" und NPD mit Blick auf die Demonstration in Magdeburg?
Lange Zeit lief da viel Hand in Hand. Allerdings vermuten wir nunmehr einen deutlichen Bruch zwischen beiden, welcher sich teilweise schon im letzten Jahr während der Großdemonstration in Dresden abzeichnete. Zudem soll der NPD-Landesverband Sachsen seinen Parteitag auf den 12.01., auf das Datum des Magdeburger Aufmarschs, vorgezogen haben. Eine großartige Beteiligung von Seiten der NPD an der von den "Freien Kräften" organisierten Demonstration kann demnach stark bezweifelt werden.
Welche letzten Entwicklungen wollen Sie hervorheben?
Eine im Vorfeld angemeldete Demonstration, welche zu den Elbtrassen in Magdeburg-Cracau führen sollte und eine dort verortete Mahnwache wurden kurzfristig verboten. Dies ist von uns nicht tolerierbar und wird im Nachhinein umfassend aufgearbeitet werden müssen. Die genannte Entwicklung deutet darüber hinaus ganz klar auf eine neue Route des "Gedenkmarschs" östlich der Elbe nämlich in eben diesem Stadtteil hin. Der Marsch der Rechtsextremen würde demnach dort stattfinden, wo im Januar 1992 Neonazis eine alternative Geburtstagsparty überfielen, viele Menschen schwer verletzten und Torsten Lamprecht töteten.
Treffpunkt für die Gegenproteste am Samstag, den 12. Januar 2013 um 9 Uhr am Magdeburger Hauptbahnhof.
Alle Informationen, Karten und wichtige Tipps finden sich auf der Internetseite von Magdeburg Nazifrei
Ein Interview mit Pascal Begrich, Geschäftsführer von Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V., über die Bedeutung der Demo für die rechtsextreme Szene und die Verbindungen zwischen den verschiedenen Gegenprotesten, findet sich auf netz-gegen-nazis.de.
Hintergrund (aus dem Aufruf von Magdeburg Nazifrei)
Sachsen-Anhalt ist, gemessen an der Einwohnerzahl, das Bundesland mit den meisten rechten Straftaten seit Einführung der bundesweiten Statistik. Diese Straftaten haben mittlerweile mehrere Todesopfer gefordert, wovon sieben offiziell anerkannt wurden. Für die Anerkennung weiterer Todesopfer rechter Gewalt ist noch zu kämpfen. Die Landeshauptstadt Magdeburg nimmt im Bundesland eine traurige Spitzenposition bezüglich dieser neofaschistischen und rassistischen Gewalt ein. So sind in Magdeburg in den letzten 20 Jahren mindestens vier Menschen durch Neonazis ermordet worden: Torsten Lamprecht (1992), Farid Boukhit (1994), Frank Böttcher (1997) und Rick Langenstein (2008). Doch diese Morde sind keinesfalls "ein Problem vergangener Tage".
Neofaschisten aus Magdeburg und Sachsen-Anhalt nehmen wichtige Positionen in den Vorständen der NPD, der JN und den sogenannten "freien Kameradschaften" ein. Mittlerweile wird Sachsen-Anhalt von neuen und alten Nazis gar stolz als "Kaderschmiede" betrachtet. Doch statt nach dem Bekanntwerden der rassistischen Mordserie des NSU und dem Totalversagen des sogenannten Verfassungsschutzes auf parlamentarischer und kommunaler Ebene Konsequenzen zu ziehen, rechte Strukturen vor Ort klar zu benennen und dagegen vorzugehen, wird weiterhin von linkem "Extremismus" fabuliert. Hingegen wird rechte Gewalt verschwiegen, verharmlost oder komplett ignoriert, weil man ihrer nicht ohne Aufwand Herr werden kann. Denn zunächst müsste man erstmal aufhören, sie als strukturelles Problem abzustreiten.