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Bad Nenndorf im August letzten Jahres. Hunderte Neonazis marschieren in Reihen von je vier Personen durch die Straßen. Die meisten sind schwarz gekleidet, mit Basecap und Sonnenbrille im Style der so genannten „Autonomen Nationalisten“. Auf Anweisung von NPD-Funktionären nehmen sie die Hände aus den Hosentaschen. „Nationaler Sozialismus – jetzt!“ schreien sie im Chor, auf manchen ihrer T-Shirts steht „88“, ein bei den Nazis beliebter Code für „Heil Hitler“. Mindestens drei Teilnehmer haben Reichskriegsflaggen dabei. So sieht es aus, wenn sich Neonazis treffen, um zu „trauern“. Am 1.8. soll dies wieder geschehen. Doch diesmal will sich die Zivilgesellschaft stärker wehren.
Von Christoph M., jugendzeitung.net
Bad Nenndorf, ein kleiner Kurort in der Nähe von Hannover, wird dieses Jahr zum vierten Mal in Folge zum Ort eines jährlich größer werdenden Neonazi-Aufmarsches. Wieso hier? In Bad Nenndorf liegt das Wincklerbad. Es geriet Ende 2005 in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, als britische Medien Vorfälle zur Nachkriegszeit in dem Kurbad beschrieben. Von 1945 bis 1947 diente das Bad britischen Geheimdiensten als Verhörlager, in dem es auch zur Folter von NS-Kriegsverbrechern und vermeintlichen Spionen kam. Bereits 1947 wurde das Lager wegen dieser Vorwürfe geschlossen und die Geschehnisse in einem Prozess in London aufgearbeitet. Dass die britische Tageszeitung „The Guardian“ 2005 in einem Artikel an die Vorfälle erinnerte, kam der Neonaziszene gerade recht.
In ihrem revisionistischen Geschichtsbild sind die Deutschen immer nur Opfer und die Alliierten, die Juden, Sinti und Roma, Kommunisten, die USA, Israel oder einfach „die Ausländer“ die Täter. Ob Dresden, Wunsiedel oder der 1. Mai: Geschichtsverdrehung ist für die Nazis ein zentraler Ansatz, um sich reinzuwaschen. Auch, weil sie damit oftmals an revisionistische Diskurse der Mehrheitsgesellschaft anknüpfen können. Denn auch im deutschen Alltagsdiskurs wird die deutsche Kriegsschuld immer öfter verharmlost.
So gehen zum Beispiel in Dresden jeden Februar nicht nur die Neonazis auf die Straße, um den angeblichen „Bombenholocaust“ zu betrauern, auch viele Menschen aus der Dresdener Bevölkerung halten am gleichen Tag Gedenkfeiern ab und vergessen dabei nur allzu oft den historischen Kontext der alliierten Luftangriffe. Denn um den Krieg zu einem raschen Ende zu führen, sollte auch die deutsche Bevölkerung vor Augen geführt bekommen, was die Nazis hemmungslos im übrigen Europa anrichten. Doch ihre Kriegsverbrechen leugnen die deutschen Neonazis bis heute. Sie wollen auch in Bad Nenndorf den Mythos von den deutschen Opfern propagieren. Die Shoah, der Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden durch die deutschen Nationalsozialisten, betrauern sie dagegen nicht, im Gegenteil sie verharmlosen, verherrlichen oder verleugnen die Shoah sogar und fordern auch in Bad Nenndorf wieder lauthals einen „Nationalen Sozialismus“.
Am 1. August 2009 wollen die Neonazis nun wieder in Bad Nenndorf aufmarschieren, schon lange wird deutschlandweit dazu mobilisiert. Sie versuchen den kleinen Ort in Niedersachsen, in dem sie sogar schon bis zum Jahr 2030 Aufmärsche angemeldet haben, als Kultstätte für Neonazis zu etablieren. Nachdem dort 2008 zum ersten Mal mehr Neonazis als Gegendemonstranten auf der Straße waren, rufen nun verschiedene antifaschistische und auch bürgerliche Initiativen gemeinsam zu Gegenaktionen auf, um der NS-Verherrlichung entschlossener entgegenzutreten, als im vergangenen Jahr.
Nachsatz der MUT-Redaktion. Was Bad Nenndorf selber plant:
Die Gemeinde selbst will so bunt wie möglich protestieren und appelliert, ausgesprochen farbenfroh den schwarz-trauernden Impetus der Neonazis zu konterkarieren: "Wir wollen aus einer Trauermeile eine krative Meile machen", kündigt Stadtdirektor Bernd Reese an. Kirchen, DGB, das Bündnis Bad Nenndorf ist bunt , die Bürgermeisterin Gudrun Olk wollen bereits am Vorabend des 1. August mit vielfältigen Aktionen beginnen. Der Sonnabend selbst wird mit einem gemeinsamen Glockengeläut aller Kirchen eingeläutet, dann finden von 10 Uhr 30 bis 17 Uhr mehrere Demonstrationszüge, Kundgebungen und Konzerte in Bad Nenndorf statt. Start ist am Vormittag auf dem Bahnhofsvorplatz. Außerdem soll es ein paar "einfallsreiche Aktionen" geben. Auf viele Mitakteure wird gehofft. Es sei "ein neues Bewusstsein" in Bad Nenndorf entstanden, hofft DGB-Regionalsekretär Steffen Holz, der Anmelder der zentralen Gegendemonstration. "Bad Nenndorf wehrt sich" soll auf dem Leittransparent stehen. Weitere Aktionen sind von Initiativen aus der Umgebung geplant, so der "Kritischen Initiative Schaumburg", die dazu aufruft, dem Aufmarsch gänzlich zu verhindern.
Mehr Infos unter:
http://www.bad-nenndorf-ist-bunt.com/
http://badnenndorf.blogsport.de/
http://kis.blogsport de
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www.mut-gegen-rechte-gewalt.de & http://christophm.blogsport.de / Der Artikel erschien zuerst auf www.jugendzeitung.net