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Beim NPD-Parteitag in Berlin kam es zum Eklat. Die anwesenden Journalisten wurden mit Vokabular aus dem Wörterbuch des Unmenschen als "Geschmeiß" bezeichnet und nach mehrheitlichem Votum aus dem Saal geworfen. Zuvor wurde skandiert: "Die Presse lügt, die Presse lügt". Auch Vertreter des vermietenden Bezirksamts wurden unter Druck gesetzt, zu gehen. An diesem Erscheinungsbild der Partei dürfte sich nicht viel ändern, denn wiedergewählt wurde mit mehr als 60 Prozent der Stimmen Parteichef Udo Voigt. Vor Beginn demonstrierten bis zu 1000 Menschen, darunter Vertreter aller demokratischen Parteien gegen den Neonazi-Parteitag. Eine ausführliche Fotoreportage folgt Sonntagfrüh.
Zuvor war höchstrichterlich entschieden worden, dass die rechtsextreme NPD nun doch am 4. und 5. April ihren Krisenparteitag abhalten kann - im Rathaus von Reinickendorf. In 65 Orten hatte sie versucht, ihren Parteitag abhalten zu können - überall biss sie auf Granit. Grund dafür, dass sie dies in Berlin nun doch durfte, ist laut Richtern das Nichtverbot der NPD, daher profitiert sie vom Gleichbehandlungsgrundsatz der Parteien.
Der Bezirk hatte versucht, der NPD den Saal zu verweigern. „Ein solches Vorgehen ist mit den Geboten der Gleichbehandlung und der Chancengleichheit für politische Parteien nicht zu vereinbaren“, begründet das Gericht seinen Beschluss. Die NPD habe wie jede Partei einen Anspruch darauf, den Rathaussaal für ihren Parteitag nutzen zu dürfen.
Dagegen demonstrierten am Sonnabend ab 9 Uhr NPD-Gegner unterschiedlicher politischer Couleur. In einem gemeinsamen Aufruf forderten SPD und Linke, CDU, Grüne und FDP die Berliner dazu auf, am Sonnabend ab 9 Uhr am S-Bahnhof Wittenau und ab 10 Uhr vor dem Rathaus Reinickendorf gegen die NPD zu demonstrieren, der sie unter anderem „nationalistische und menschenverachtende Propaganda“ vorwerfen. „Es ist schwierig, einer nicht verbotenen Partei den Zutritt zu den kommunalen Räumen eines Bezirkes zu verweigern“, heißt es in dem Aufruf. „Umso leichter sollte es aber allen Bürgerinnen und Bürgern fallen, der NPD zu zeigen, wie unwillkommen sie in Berlin ist.“ Als Redner sprachen: Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau (Linke), der SPD-Politiker Jörg Stroedter, CDU-Generalsekretär Bernd Krömer, FDP-Politikerin Mieke Senftleben sowie die Bundestagsabgeordnete Claudia Roth (Grüne). Statt der erwarteten 3000 Teilnehmer kamen allerdings nur rund 600 bis 1000.
Aufruf des Abgeordnetenhauses
Dabei hatten Politiker der fünf im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien die Berliner dazu aufgerufen, gegen den NPD-Bundesparteitag zu demonstrieren. Der gemeinsame Aufruf lautete wie folgt:
"Erneut will die neonazistische NPD ihren Bundesparteitag in Berlin abhalten. Das Fontanehaus oder der Ernst-Reuter-Saal im Berliner Bezirk Reinickendorf sollen als Podium für ihre nationalistische und menschenverachtende Propaganda missbraucht werden. Die NPD-Propaganda zielt darauf ab, Hass zu verbreiten, auszugrenzen und den Menschen einfache Lösungen als Erfolgsrezepte vorzugaukeln. Dabei ist es nicht zuletzt die rechte Gewalt, die selbst längst zu einem politischem und wirtschaftlichen Standortrisiko in Teilen Berlins und der neuen Länder geworden ist.
Es ist schwierig, einer nicht verbotenen Partei den Zutritt zu den kommunalen Räumen eines Bezirkes zu verweigern. Umso leichter sollte es aber allen Bürgerinnen und Bürgern fallen, der NPD zu zeigen, wie unwillkommen sie in Berlin ist.
Das Reinickendorfer Bezirksamt hat angekündigt, es auf einen Rechtsstreit ankommen zu lassen, um nicht an die NPD vermieten zu müssen. Dies begrüßen wir. Doch in den letzten Jahren ist es der Partei, die in Berlin bereits in mehreren Bezirksversammlungen sitzt, leider mehrfach gelungen, sich die Nutzung von kommunalen Räumlichkeiten für Parteiveranstaltungen vor Gericht zu erstreiten. »Die Nazis gehen dort hin, wo es schon einmal geklappt hat«, stellt dazu die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin fest.
Schon 2006 hat die NPD ihren Bundesparteitag im Fontanehaus abgehalten. Der damalige öffentliche Protest der Bürgerinnen und Bürger ist der NPD nicht Anlass genug, davon Abstand zu nehmen, schon wieder an diesem Ort aufzutreten.
Demokratische Parteien stehen in der gemeinsamen Verantwortung, gegen die NPD zu protestieren und so ein Zeichen gegen rechte Gewalt zu setzen. NPD-Veranstaltungen dürfen nicht als Selbstverständlichkeit hingenommen und geduldet werden.
Wir wollen verantwortlich der menschenverachtenden Ideologie und der mörderischen Praxis des Neofaschismus entgegentreten. Wir wünschen uns, dass sich viele Menschen unterschiedlicher sozialer und politischer Herkunft zu einer gemeinsamen Aktion gegen Hass, Gewalt und Ausgrenzung zusammenfinden. Gemeinsam ruft das Abgeordnetenhaus von Berlin daher alle demokratisch gesinnten Bürgerinnen und Bürger auf, machtvoll für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten und sich mit uns an den Kundgebungen gegen die NPD in Reinickendorf zu beteiligen".
Serviceboykott des Gaststättenverbands
Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke), der auch das Amt des Berliner Bürgermeisters innehat, hatte außerdem an Gastronomen und Hoteliers appelliert, die rund 270 Delegierten der NPD an diesem Wochenende nicht zu bedienen und ihnen keine Unterkünfte anzubieten. "Keine Zimmer, keinen Service, kein Catering für die NPD", fordert der Wirtschaftssenator. Er unterstütze einen solchen Aufruf der Gaststätten-Gewerkschaft NGG, „um deutlich zu machen, dass Rechtsextremismus in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz hat“, teilte Wolf mit. Auch im Gebäude gab es keinen Getränkeservice.
Die Linke rief dazu auf, den Protest auch am Sonntag fortzusetzen. Die Abgeordnete Evrim Baba kündigte eine Kundgebung während einer für 14 Uhr geplanten NPD-Pressekonferenz an, Treffpunkt der Demonstranten ist um 13 Uhr vor dem Rathaus Reinickendorf, Eichborndamm, Höhe Ernst-Reuter-Saal.
Gericht sieht "Selbstbindung der Parteien" auch gegenüber NPD
Schon am Dienstag hatte eine erste Verwaltungsgerichtsinstanz der NPD das Recht zugesprochen, im Reinickendorfer Rathaus zu tagen. Nach Ansicht des Gerichts hat die Behörde den Ernst-Reuter-Saal im Rathaus in der Vergangenheit "in ständiger Übung" politischen Parteien zur Verfügung gestellt, seit 2006 auch für überbezirkliche Veranstaltungen der Parteien. Hierdurch sei eine "Selbstbindung der Verwaltung" auch gegenüber der NPD eingetreten.
Das Gericht entschied zudem, dass ein Beschluss des Bezirksamts, seine Räume nur noch für Veranstaltungen der im Bezirk gebildeten Kreisverbände oder Bezirksgruppen zur Verfügung zu stellen, einen Zulassungsanspruch der NPD ausschließe. Parteien, die in dieser Form dort noch nicht aktiv seien, würden hierdurch benachteiligt. Zudem sei der Beschluss des Bezirksamtes in so engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Nutzungsantrag der NPD ergangen, dass der Anschein entstehe, die Antragstellerin solle absichtlich von der Raumnutzung ausgeschlossen werden.
Reinickendorfs Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura (CDU) zeigte sich nach dem Urteil schockiert . Sie erregte vor allem, dass die Richter die Tricksereien der NPD, um an die Räume heranzukommen, nicht in ihr Urteil einbezogen. Ein Strohmann habe eine Reservierung vorgenommen. Der Bezirk hatte für den Fall eines juristischen Erfolges der NPD eine besondere Klausel im Mietvertrag angekündigt, wonach die Räume nicht für Veranstaltungen genutzt werden dürfen, auf denen etwa rechtsextremes Gedankengut verbreitet wird. Mit einem entsprechenden Passus hatte der Bezirk Steglitz-Zehlendorf Mitte März verhindert, dass der Berliner NPD-Landesverband in seinen Räumen einen Parteitag abhielt.
Zur Kontrolle waren mehrere Mitglieder des Bezirksamts auf dem Parteitag anwesend, beraten von der Berliner Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus mbr. Sie wurden allerdings von Ordnern und Rednern massiv unter Druck gesetzt, dass sie auf Anraten der Polizei die Veranstaltung gegen 16.30 Uhr verließen. Am Abend wollte das Bezirkasamt beraten, ob es am Sonntag überhaupt eine Fortsetzung des Parteitags zulässt.
Lange Suche und scharfer interner Streit
Die NPD hatte noch bis Dienstagnachmittag auf ihrer Homepage keinen Ort und Termin für den Parteitag eintragen können - weil den Rechtsextremen keine öffentliche Einrichtung mehr Säle vermieten will. Daher zog die NPD vor das Berliner Verwaltungsgericht, um dort einen Saal für ihren Bundesparteitag einzuklagen. "Irgendwo im Märkischen Viertel" hatte es unisono aus der NPD-Parteitagszentrale geheißen. In Reinickendorf hatten die Rechtsextremen für den 4. und 11. April jeweils zwei Säle beantragt: im Rathaus und im Fontane-Haus im Märkischen Viertel. Deshalb hatte der Bezirk beschlossen, dass bezirkseigene Säle nur an Parteien vermietet werden dürfen, die einen lokalpolitischen Bezug haben. Beim NPD-Bundesparteitag geht es aber bekanntlich um einen anderes Thema: Finanzdebakel und Führungsstreit.
Der NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, trat gegen den Vorsitzenden Udo Voigt an. Sowohl Voigt als auch Pastörs wirft die Justiz Volksverhetzung vor. Beide stehen für ein Bündnis mit den sog. "Freien Kräften" und althergebrachte Nazideologie. Lachender Dritter des Streits blieb im Hintergrund der niedersächsische NPD-Funktionär Andreas Molau. Der Parteiintellektuelle wollte zunächst für den Vorsitz kandidieren und die NPD von den sogenannten 'Hitleristen' und rechtsextremen Kameradschaften lösen, stattdessen wollt er eher Rechtskonservative einbinden. Aber er schmiss nach wüsten Beschimpfungen seiner Person hin und trat demonstrativ der bürgerlicheren Rechtsaußenpartei DVU bei. Er soll angeblich einen schwedischen Mäzen im Hintergrund haben, der mittlerweile in Berlin lebt - mit mehreren Millionen Euro für einen Parteineuaufbau in der Hand.
Gewählt wurde nach langer Debatte am Abend Amtsinhaber Udo Voigt mit 136 Stimmen, Udo Pastörs erhielt nur 72 - eine bittere Niederlage für ihn. Ansonsten ein Zeichen dessen, dass es bei der NPD keinen Kurswechsel gibt. Sie bleibt eine neonazistische Partei in Opposition zum "BRD-System", wie Udo Voigt die Bundesrepublik nennt. Überraschend verzichtete der sächsische NPD-Fraktionschef Holger Apfel auf einen Stellvertreterposten unter Voigts Führung. Im Wahlkampf dürfte das die NPD zurückwerfen. Aber wen stört's?
Was Voigt plante: taz.de 4.4.
Wie es verlief: tagesspiegel 5.4.
Aktuelles über den Medien-Rausschmiss: spiegel.de 4.4.
Wie die NPD selbst berichtete: npd.de, 4.4.
Mehr über Protestplanungen gegen den NPD-Parteitag: www.zusammen-gegen-die-npd.de und www.mbr-berlin.de
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk - Quellen: tagesspiegel, ddp, stern / Foto: hk