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Neues Ausstiegsprogramm EXTRA in Sachsen-Anhalt - Etikettenschwindel?

Das Innenministerium Sachsen-Anhalt hat den Start eines neuen Ausstiegsprogramms für extrem Rechte bekanntgegeben. Was als notwendige Anlaufstelle für Ausstiegswillige erscheint, erntet viel Kritik. Es fehle an Personal, finanziellen Mitteln und einer Verzahnung staatlicher und zivilgesellschaftlicher Initiativen. Die Opposition bezeichnet das Programm als Etikettenschwindel.

Von Luisa Wingerter

Das zweijährige Pilotprojekt des Innenministeriums Sachsen-Anhalt für Ausstiegswillige aus der rechten Szene „EXTRA“ (Extremismus-Ausstieg) soll Menschen ermutigen, sich mit ihren menschenverachtenden Ideologien auseinanderzusetzen und sich davon zu lösen. Nach Angaben des Ministeriums sollen potentielle Aussteigerinnen und Aussteiger von einem sozialpädagogischen Beratungs- und Informationsteam unterstützt werden. Das Programm ist eine Neuausrichtung vorheriger erfolgloser Aussteigerstrategien. Eine 2001 eingerichtete Telefonhotline des Landeskriminalamts für Ausstiegswillige wurde in der rechten Szene nicht angenommen und mittlerweile abgeschaltet. Auch die Methode der Polizei, direkt extrem Rechte anzusprechen, war laut des damaligen Innenministers, Holger Hövelmann (SPD), nicht erfolgreich. Mithilfe des Programms kehrten zwischen 2005 und 2010 lediglich sechs Menschen der extrem Rechten Szene den Rücken oder erklärten sich dazu bereit. Ob die Ausstiegsversuche von Dauer waren, bleibt offen. Daraufhin forderte 2011 der aktuelle Innenminister, Holger Stahlknecht (CDU), ein neues Ausstiegsprogramm.

Im Rahmen der Programmkonzeption fand eine schriftliche Anhörung zivilgesellschaftlicher Initiativen statt. „Die Ratschläge aus den Anhörungen sind allerdings nicht angenommen worden“, kritisiert der Landtagsabgeordnete der Grünen, Sebastian Striegel. Lediglich 10.000 € Haushaltsmittel stehen in der Anlaufphase 2014 „EXTRA“ zur Verfügung. Fortbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eine wissenschaftliche Evaluation seien mit diesen Mitteln nicht finanzierbar. Darüber hinaus sei für die Ausstiegsberatung kein neues Personal vorgesehen. Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die bislang für den Bereich Prävention zuständig waren, würden stattdessen lediglich einen zusätzlichen Aufgabenbereich erhalten. Auch nach einer Verzahnung staatlicher Institutionen und nicht-staatlicher Initiativen sucht man vergebens; das Programm „EXTRA“ steht ausschließlich unter der Zuständigkeit des Verfassungsschutzes und der Polizei. Der Grüne Landtagsabgeordnete verweist auf mögliche widersprüchliche Interessen zwischen Verfassungsschutzbehörde, Polizei und vertraulicher Beratungsarbeit. „Mit der Neuausrichtung des Aussteigerprogramms kann letztlich keine qualitativ hochwertige Aussteigerberatung geleistet werden. Das Programm ist ein Etikettenschwindel“, so Striegel. Auch Pascal Begrich, Geschäftsführer von Miteinander e.V., kritisiert die Umsetzung des Beratungsangebots. „Gerade der Erstkontakt für Ausstiegswillige und deren Angehörige sollte so niedrigschwellig wie möglich und daher bei einer unabhängigen Stelle außerhalb staatlicher Strukturen angesiedelt sein.“ Außerdem beklagt Begrich den Verzicht einer Zusammenarbeit und fachlich adäquaten Arbeitsteilung des Innenministeriums mit bereits bestehenden zivilgesellschaftlichen Beratungs- und Qualifizierungsangeboten.

Gerade der Anstieg von extrem Rechten zwischen2012 und 2013 um 50 auf insgesamt 1.400 Personen bei einem gleichzeitigen Bevölkerungsrückgang in Sachsen-Anhalt zeigt, wie notwendig ein Aussteigerprogramm ist. Ein erfolgreiches Programm benötige allerdings ausreichend finanzielle Mittel. Darüber hinaus sei eine Kooperation mit nicht-staatlichen Organisationen notwendig. Striegel fordert eine zivilgesellschaftlich organisierte Erstkontaktstelle. Erst anschließend sollten staatliche Institutionen den Ausstiegsprozess unterstützen. Nicht-staatliche Organisationen könnten Vertrauen aufbauen und auf ihre Beratungs- und Betreuungserfahrungen zurückgreifen. Staatliche Institutionen seien dagegen notwendig, um beispielsweise Aussteigerinnen und Aussteiger vor ehemaligen Kameradinnen und Kameraden zu schützen.

„Die Beratungskompetenz im Umgang mit rechten Entwicklungen und Ereignissen jenseits der Strafverfolgung liege nach wie vor bei zivilgesellschaftlichen Trägern“, betont auch Miteinander e.V.. EXIT-Deutschland steht für den Erfolg staatlich unabhängiger Aussteigerinitiativen. Dank des umfassenden Beratungs- und Betreuungsangebots konnten bereits über 500 Menschen mit der extrem Rechten Szene brechen. Zum Vergleich: Allein 2010/2011 wurden durch die zivilgesellschaftliche Initiative 114 Personen in Ihrem Ausstieg begleitet, das Bundesamt für Verfassungsschutz, das als einziges Ausstiegsprogramm neben EXIT-Deutschland einen bundesweiten Ansatz umsetzt, betreute im selben Zeitraum 40 Personen. Dass staatliche Angebote mit den komplexen Anforderungen des Ausstiegs aus der rechtsextremen Szene schnell überfordert sind, zeigt das Beispiel von Tanja Privenau. Auf der Suche nach Schutz vor ihrem Ex-Mann kontaktierte sie Behörden in verschiedenen Bundesländern, die sie jedes Mal abwiesen. Erst bei EXIT-Deutschland fand die Aussteigerin die nötige Unterstützung, um sich endgültig von der Szene zu lösen. Die Ausstiegsinitiative EXIT wurde im Herbst 2000 mit Hilfe der stern-Aktion „Mut gegen rechte Gewalt“ gegründet und ist nach wie vor ihr größtes Förderprojekt.
 
 

Foto: Jan Lüth, CC BY-NC-ND 2.0