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Berliner Tatorte

Noch bis zum 24. August zeigt die Stiftung Topographie des Terrors in ihrem Haus die Ausstellung "Berliner Tatorte": Eine bedrückende Dokumentation rechtsextrem, rassistisch und antisemitisch motivierter Angriffe, die von der Opferberatungsstelle "Reach Out" erstellt wurde. Die Ausstellung zeigt ausgewählte Beispiele, die seit 2005 als Wanderausstellung besteht und jährlich aktualisiert wird. Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, hielt die Eröffnungsrede, die Sie hier nachlesen können:

Ich habe eine Freundin, die eine schwierige Eigenschaft hat. Wenn sie etwas sieht, hört oder erlebt, dass wirklich schrecklich ist und von anderen ihrer Generation als krass bezeichnet würde, wenn sie also schlimme Demütigungen, Schläge, Schreie oder gar Todesschreie wahrnimmt, dann fängt sie an zu weinen. Es kommt aus ihr heraus, heftig, direkt, einfach so. Sie ist eine junge Frau, die diese Krankheit hat mitzufühlen. Furchtbare Ereignisse erreichen sie und ohne Filter von Vernunft, Rationalität oder Abstraktionsvermögen reagiert sie darauf, als würde es ihr gerade selbst geschehen. Wer sie trösten will, erntet Abwehr, denn sie will kein Mitleid für fremdes Leid. Sie macht dann eine Geste zwischen ihren Tränen: resolut streckt sie den Arm aus und weist mit dem Zeigefinger nach Irgendwo, weit weg von sich selbst. So als wollte sie sagen: nicht trösten, mich schon gar nicht!

Geht raus und tut was!

Geht raus und tut was! Das, was nötig ist mit denen die es nötig haben. Schwierig ist ihre Eigenschaft oder Gabe, weil sie Menschen irritiert und weil sie mit einem male jedem klar macht, was wir jeden Tag schon einzustecken gewohnt sind. Krass. Und dann weint da jemand, nicht wimmernd sondern heftig. Krass. Sind die Leute davon berührt, weil sie es verstehen, weil es sie hilflos zurücklässt oder abgestoßen weil ihnen in dem Augenblick die eigene Kälte an Kehle greift.

Heute eröffnen wir die Ausstellung Berliner Tatorte und tun dies im Haus Topographie des Terrors. Ja, es ist der richtige Ort dafür. Nicht etwa weil der Terror des Nationalsozialismus mit dem heutigen vergleichbar wäre. Das ist auf keiner Ebene, lediglich seine Zielgruppen sind dieselben geblieben. Es ist der richtige Ort weil die Topographie des Terrors etwas mit Orten zu tun hat. Gestapozentrale, Folter, Tod, seine Planung, seine Verwaltung, seine Durchführung. Aus der Geschichte und den Geschichten wissen wir was Adressen bedeuteten. Wilhelmstrasse, Wannsee, Marzahn. Es sind Kürzel geworden für Verbrechen.

Orte als Namen des Schmerzes

Als meine Eltern aus der Emigration zurückkehrten, hatten sie neben den Orten der Erinnerung an ihre Kindheit, noch eine weitere Topagraphie im Kopf, die der Vernichtung. Orte als Namen des Schmerzes. Und heute ist wieder eine Topographie des Schmerzes da. Über ganz Deutschland, Ortsnamen, Mölln Hoyerswerda Stadteile Lichtenhagen. Namen bestimmter Regionen (sächsische Schweiz) und Straßennamen. Wenn mich jemand nach Berlin fragt oder wie es ist in Deutschland zu leben, dann kommen mir diese Namen in den Sinn. Und nicht Landschaften oder regionale Befindlichkeiten, Speisen oder lustige Dialekte. Auf dem Weg zur Uni hielt mein Zug immer in Sachsenhausen und ich konnte es kaum aushalten, dass es tatsächlich einen Bahnhof mit dem Namen gab und man dort halten konnte ohne, dass sich der Boden unter einem deswegen auftat. Es ist die Tatsache, dass die Topographien sich mischen, sich addieren und es geschieht, ohne dass der Boden uns verschlingt. Das hat mit der Wahrnehmung zu tun.

Foto: © Stiftung Topographie des Terrors / Britta Scherer

Orte der Erinnerung

Bis heute denken manche Leute, dass man Jugendliche nur mal eine Gedenkstätte zeigen müsse, in der etwas besonders Grausames geschah, um sie für immer gegen Rechtsextremismus immunisiert zu haben. So funktioniert es aber nicht. Den Terror des Nationalsozialismus zu benutzen, zu instrumentalisieren sozusagen, anstatt Wahrnehmung zu fördern was den Umgang mit Minderheiten angeht, ist nicht der Sinn solcher Einrichtungen und er wird dem, was sie dokumentieren ebenso wenig gerecht. Sie sind keine Heilsversprechen, sondern Orte der Erinnerung und der Konzentration auf das Thema, es sind Orte der Forschung, der Emotionen, der Kenntnis. Aber keine Ausputzer für versäumte Bemühung um ein humanes Menschenbild. Aber ein Ort für solche Ausstellungen, für das andauernde Thema Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.

In Deutschland wird über Rassismus nicht gesprochen

Ich denke dabei an eine Kollegin die drei mal krankenhausreif geprügelt wurde, einen Rentner, der vor wenigen Tagen zusammengeschlagen wurde, weil er als Jude erkennbar war und die 10 Menschen, die seit Öffnung der Mauer in dieser Stadt von irgendwelchen Herrenmenschen umgebracht wurden. Wahrnehmung! Es ist mir unbegreiflich wie in Berlin mit seinem heutigen Image und seiner vergangenen Schuld nicht sorgsamer mit seinen Minderheiten umgeht, weshalb in dieser Stadt Rassismus unhinterfragt Alltag ist in Schulen, auf der Straße, im Amt, bei der Arbeit. Wer spricht von Tabu? Tabu ist wenn etwas unsichtbar gemacht wird, weil man es nicht einmal benennen will. In Deutschland wird über Rassismus nicht gesprochen. Das Land Berlin bemüht sich in vielen Bereichen. Aber in Deutschland gibt es noch immer keine Standards. Wie auch, wenn es angeblich weder Rassismus noch Antisemitismus gibt. Außer natürlich bei einigen Nazis, die man dafür braucht, irgendwie tätig zu werden, solange das Problem noch zu externalisieren geht.

In Wirklichkeit sind die Nazis als Plage gefährlich, weit gefährlicher aber ist der Umgang mit ihnen. Wir haben am Fall NSU gesehen, wie nah dran die Behörden waren. So nah dran, dass sie gar nichts mehr gesehen haben. So nah dran, dass die uneingeschränkte Aufklärung bis heute unwahrscheinlich ist.

Das ist die Schande des modernen Deutschlands

Der NSU hat über 13 Jahre 10 Menschen ermordet und 17 Banken ausgeraubt. Seit November 2011 wissen wir das. Hat dieses Wissen zu einer Erschütterung geführt? Hat es die Republik geändert? Ist es zu Reformen gekommen? Bei den Behörden, deren gründliches Versagen in der ganzen Welt Staunen hervorbrachte? Wurde der Verfassungsschutz umgebaut, Leute gefeuert, die Lage überdacht? In den Ländern? Wird der Verfassungsschutz jetzt endlich besser kontrolliert? Ist der Geheimdienstkoordinator unabhängig? Oder war er selbst Teil des gescheiterten Systems? Und was ist mit der Polizei? Macht sie jetzt rassismuskritische Polizeiarbeit? Feuert sie Mitglieder des Klans? Schult sie die Anwärter in diesem Sinne? Bildet sie ihre Führungskräfte fort? Wie denn? Mit einem Besuch in der Gedenkstätte? In einer Moschee oder Synagoge?

Das soll reichen als Antwort auf das Desaster, das mit NSU offenkundig wurde?Ich bitte Sie! Das ist die Schande des modernen Deutschlands. Nicht die Vergangenheit, die wir geerbt, aber nicht veranstaltet haben. Das moderne Deutschland und damit auch seine hippe Hauptstadt verhält sich provinziell, kleinlich und seinem Anspruch ein bedeutender Ort auf dieser Welt zu sein nicht würdig. Eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, mit der deutschen Vergangenheit geht nicht ohne einen Blick in die Realität von heute. Deutschland kann, wenn es in der globalisierten und kosmopolitischen Welt kulturell und wirtschaftlich bestehen will, der Aufgabe nicht ausweichen, ehrlich zu schauen, wie es mit Rassismus und Antisemitismus umgeht.

Stichwortgeber für populistische Stimmungen

Dabei lassen Sie mich das deutlich sagen, geht es nicht um den Staat allein. Oder seine Strukturen oder seine Gesetze, sondern auch um die Fähigkeit aller, demokratische Kultur zu leben und einzufordern, was dazu nötig ist. Nein, ich lasse die Bürgergesellschaft nicht aus der Pflicht. Nach dem Motto „erst muss der Staat alles Unrecht beseitigen, dann kümmern wir uns um den Kleinkram“. Ich sage das auch in Richtung meiner Kollegen und vieler NGOs. Das, was Reach Out Berlin macht ist kein Kleinkram. Opfer zu betreuen und zu beschützen ist nicht nur Kosmetik am System. Es ist gelebte Arbeit an der Diskussion in der Gesellschaft und es ist jene stringente Humanität, die wir bei allem sehen wollen. Was wir dafür brauchen, haben wir: Meinungs- und Versammlungsfreiheit zum Besipiel, und wenn nicht klagen wir sie ein. Das geschieht in dieser Stadt jeden Tag. Damit wir weiterhin meckern können und protestieren gegen das Desaster in der Flüchtlingspolitik, gegen Politiker, die ihr Wort nicht halten, die alles was mit Flüchtlingen und Rassismus zu tun hat abwehren, die selbstgefällig, starr und bewegungslos in ihren Positionen verharren und Stichwortgeber für populistische Stimmungen auf der Straße bleiben wollen. Das ist unsere Aufgabe, die der Zivilgesellschaft. Nicht die der Politik. 

Wir brauchen eine andere Debatte

Die der Politik ist es unsere Forderungen zu hören und in die Debatte des politischen Alltags zu werfen. Die Verschärfung des Asylrechts ist nicht die richtige Antwort auf die heutige Situation. Wir müssen das Thema noch einmal ganz neu verhandeln. Wir sollten zumindest gelernt haben aus den Pogromen der 90er Jahre, dass Nazigewalt sich nicht lohnen darf. Nach Rostock und Hoyerswerda wurde das Asylrecht ausgehebelt. Heute ist die Situation anders, wir sind anders, die Stadt ist es. Also brauchen wir auch eine andere Debatte. Und sie muss anfangen mit Rassismus. Die Bundesregierung hat ein neues Programm aufgelegt. Es ist netter als das vergangene, zugänglicher, thematisch besser sortiert. Aber es hat eine große Schwäche – es ist zu dünn. 30 Millionen, eine Kläranlage kostet so viel. Die PR Abteilung eines Ministeriums hat mehr. Jedes Opernhaus auch. Damit werden wir arbeiten, na klar, aber wir dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies auch eine Antwort ist, was Deutschland die Bekämpfung des Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wert ist. Was wir brauchen ist eine Bundeskonzeption – ähnlich wie das Land Berlin aber einschließlich einiger Schlüsselressorts und einer länderübergreifenden Debatte über Sicherheitsarchitektur und die Frage wie wir die Zukunft in der Globalisierten Welt vor unserer Haustür erleben wollen. Gestaltet oder nur verwaltet.

Deshalb gehen Sie raus, tun Sie etwas

Nach all dem wenden wir uns den Bildern zu die hier gezeigt werden. Sie sind grau, voller Ödnis und Einsamkeit. Sie sind menschenleer. Tatorte, an denen geschlagen, getreten gemordet wurde sehen ganz genau so aus. Jedenfalls für die Opfer. Das soll nicht so bleiben, nicht für die vergangen und nicht für die zukünftigen Opfer. Denn es wird sie auch in Zukunft geben. Dass es nicht so sein möge – dagegen spricht die Gleichgültigkeit zu vieler Menschen, die Kälte mancher Politik und die Tatsache, dass viele Täter sich noch immer im Recht fühlen. Sie tun es, weil sie in einem Land leben, in dem sogar in Qualitätsmedien ernsthaft über das für und wider der Sarrazinthesen diskutiert wird, in dem die NPD verboten, „mein Kampf“ jedoch erlaubt werden soll, in dem Opfer beschuldigt und Täter getröstet werden. Und in dem Menschen wie meine Freundin, deren Empfindsamkeit und Empathie keine Filter hat, als befremdlich gesehen werden. Deshalb gehen Sie raus, tun Sie etwas. Das, was nötig ist für die, die es nötig haben. Nicht meine Freundin hat eine schwierige Eigenschaft, sondern die anderen für deren verlorenes Empathievermögen sie mitweinen muss.
Vielen Dank.
 

Blick in die Ausstellung, Juli 2014 Foto: © Stiftung Topographie des Terrors / Britta Scherer