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Wieder Mut fassen


Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau besuchte am 3. und 4. März Einzelpersonen und Initiativen in Sachsen-Anhalt, die sich für eine demokratische Kultur einsetzen. Vorbei kommt sie auch in Laucha, das aufgrund eines antisemitischen Angriffs 2010 in die Schlagzeilen geriet. Wie sieht die Situation heute aus?


Von Nora Winter


Idyllisch ist es hier, im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt. Wenn sich Saale und Unstrut zwischen den Weinbergen schlängeln und die noch kühle Frühlingssonne sanft die Hügel kitzelt. Doch schon bei einem Blick in diese Landschaft erkennt die genaue Betrachterin, dass der Schein trügt. Die Landstraßen, die durch diese Landschaft vorbei an Naumburg und Freyberg nach Laucha führen, sind umgeben von Slogans wie „Kriminelle Ausländer raus“ oder „Handschellen für Finanzganoven“. Sie sind von der NPD, die für den Einzug ins Landesparlament kämpft. „Die NPD ist omnipräsent.“, sagt Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Dabei ist gerade der Burgendlandkreis im vergangen Jahr aufgrund eines antisemitischen Angriffs in die Schlagzeilen geraten.

Laucha
Laucha

Hemmende Bundespolitik

Laucha ist neben Freyburg, Weißenfels, Halle und Halberstadt eine Station auf der Tour von Pau, mit der sie auch die Kampagne „Kein Ort für Neonazis" unterstützte. An zwei Tagen vor der Landtagswahl reiste sie durch den Sachsen-Anhalt – und zwar explizit nicht zum Wahlkampf für ihre Partei DIE LINKE, sondern als Bundestagsvizepräsidentin. „Denn wir können über alles herzhaft streiten, aber in solchen Fällen darf kein Blatt Papier zwischen die demokratischen Parteien passen“, so Pau. Hier gilt es eine Neonazi-Hegemonie zu brechen und eine Lethargie der Bevölkerung aufzulösen. Doch angesichts schwieriger Projektarbeit und „Extremismusklausel“ ist das keine leichte Aufgabe. Engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie Initiativen „werden von der Bundespolitik zunehmend gehemmt, statt gefördert und erniedrigt, statt ermutigt“, so Pau.

NPD
NPD

Zugang zu allen Haushalten

Der Sohn von Tsipi Lev, einer Israelin, die 2002 nach Deutschland kam und sich mit Olaf Osteroth in Laucha niederließ, wurde im April 2010 von Alexander P. zusammengeschlagen. Kurz zuvor rief Alexander P. ihn „Judenschwein“. Alexander P. trainierte im lokalen Fußballverein BSC 99, bei dem auch Lutz Battke zum Zeitpunkt des Angriffs noch Trainer war. Und hier schließt sich der Kreis: Battke ist auch auf den vielen Plakaten an den Landstraßen zu sehen. Er wirbt mit dem Slogan „Ich sage, was Sie denken“ – für die NPD. Im November 2010 bekam etwa ein Viertel der Stimmen als Bürgermeisterkandidat. Er ist außerdem schon Vorsitzender der zweiköpfigen NPD-Fraktion im Stadtrat. Ebenso ist er Schornsteinfeger in Laucha. Und hat damit Zugang zu allen Haushalten. „Durch diese lokale Verankerung ist Battke so erfolgreich“, sagt Lev. Doch bei ihnen habe er keinen Zutritt mehr. Es kommt der Kehrer aus Freyburg. „Wenn zivilgesellschaftliche Strukturen wegbrechen, dann übernimmt die NPD“, sagt Pau. Dann stellt sie eben den Fußballtrainer und den Schornsteinfeger. Dass die Ortsgruppenarbeit der demokratischen Parteien in dieser Hinsicht zu wünschen übrig lasse, stellte auch Jana Grandi (CDU), Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Unstruttal, klar. Sie dürfen der NPD den Raum gar nicht erst öffnen. Auch die lokalen Unternehmen beteiligen sich nicht an Aktionen gegen Neonazis.

Motor für Zivilgesellschaft

Nachdem der Schock des Angriffs überwunden ist, sagen Osteroth und Lev heute: „Wir bleiben hier und bieten ihnen die Stirn.“ Eine Schul- und eine Städtepartnerschaft mit Orten in Israel sind geplant. Das ist alles andere als selbstverständlich. Aus einer gewaltsamen Ausgrenzungssituation heraus hat die Familie es geschafft, zum Motor für eine Zivilgesellschaft zu werden. Dabei wurde nach dem Angriff auf ihren Sohn auch versucht, aus dem Betroffenen einen Täter zu machen. Man habe nicht „Judenschwein“, sondern „Drogenschwein“ gerufen. Der Junge würde mit Drogen dealen, so das Gerücht. Als würde das den brutalen Angriff rechtfertigen. Die Vorwürfe wurden wegen mangelnden Beweisen fallen gelassen.

Lutz Battke
Lutz Battke

Dank an die Opferberatung

Dass die Familie sich trotz dessen nicht unterkriegen lässt, haben sie auch der Mobilen Opferberatung zu verdanken. „Die Opferberatung war so sensibel und ist hervorragend an die Sache ran gegangen“, so Osteroth. Sie haben es geschafft, dass ihr Sohn wieder Mut gefasst hat. Bald beendet er die Schule und fängt eine Ausbildung als Hotelfachmann an. Und obwohl der Bürgermeister von Laucha Michael Bilstein (parteilos), die Presse nach dem Angriff als „Sensationsberichterstattung“ beschreibt, war es auch sie, die geholfen hat, einige in Laucha aufzurütteln. „Es ist ein Anfang. Die Leute werden wach“, so Osteroth. „Die Leute sehen jetzt, dass die NPD gefährlich ist“, sagt Lev.

Verbot?

Aber reicht das für die Landtagswahl? In den aktuellen Umfragen liegt die NPD landesweit bei etwa 5 Prozent – und damit besteht die Möglichkeit für die dritte Landtagsfraktion neben Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. In Laucha wird stets auch ein Verbot der NPD gefordert. Dann hätte man dieses Problem nicht. Doch ist das die Lösung? „Ein Verbot beendet sicherlich den unappetitlichen Umstand, dass die NPD auch noch Steuergelder bekommt“, sagt Pau. „Doch es würde nichts am eigentlichen Zustand ändern.“ Schließlich wäre ein Battke immer noch Schornsteinfeger.

Ausschluss?

Vielmehr brauche es direkte verbale Auseinandersetzung. Vor der Bürgermeisterwahl 2010 saßen Grandi, Bilstein und Battke zusammen auf einem Podium, um dem Publikum Frage und Antwort zu stehen. Battke soll am Ende ziemlich blass gewesen sein. Auch das Publikum habe ihn in die Mangel genommen. Anders am 1. März. Da waren die Spitzenkandidaten der CDU, DIE LINKE, SPD und FDP im Magdeburger Kulturhaus zusammengekommen, um ihre Positionen im Wahlkampf zu diskutieren. Auch die NPD wollte teilnehmen und versuchte zu klagen. Doch das Oberverwaltungsgericht Bautzen gab der Beschwerde nicht statt. Die NPD habe nicht die politische Bedeutung, dass sie einen Anspruch auf an dieser Veranstaltung hätte. So wurde die NPD ausgeschlossen.

Ob an Saale oder Unstrut

Beides, Ausschluss und direkte Auseinandersetzung, sind Möglichkeiten mit der NPD umzugehen. Eine allein reicht wahrscheinlich nicht. Denn trotz dessen, dass Battke so blass bei dem Bürgermeistergespräch ausgesehen haben soll, errang er eben doch 24,2 Prozent. Bei einer für Kommunalwahlen sehr hohen Wahlbeteiligung von 64,7 Prozent. Auf die Beteiligung kommt es auch bei der Landtagswahl an. Doch der Wahlkampf läuft eher schleppend. Eine Perspektive auf Veränderung ist für viele nicht in Sicht. Wahrscheinlich bleibt einfach alles beim alten, ist die Befürchtung. Außer dass die NPD dann auch noch im Landesparlament säße. Dass das nicht passiert, dafür werden, die, die jetzt schon für eine demokratische Kultur kämpfen, weiter machen – und das ist das Wichtige: „Entscheidend ist die Zivilcourage engagierter Bürgerinnen und Bürger und entsprechender Initiativen“, zieht Pau das Resümee ihrer Tour durch Sachsen-Anhalt.

Foto oben: Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (2. v. l.) mit Frank Thiel (MdL Sachsen-Anhalt) und Jana Grandi (Verbandsgemeindebürgermeisterin)

Kein Ort für Neonazis in Sachsen-Anhalt