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Von Wölfen und Menschen

Das internationale Neonazi-Netzwerk "Blood and Honour" lieferte womöglich den Plan für den Terror der Zwickauer Zelle. In Deutschland ist die Organisation seit zehn Jahren verboten, die Szene interessiert das wenig.
 
Von Ulla Scharfenberg
 
Nach der Enttarnung der Zwickauer Zelle läuft die Suche nach möglichen Helfern des Trios auf Hochtouren. Die Ermittlungen beschränken sich dabei längst nicht mehr auf die neuen Bundesländer, auch im Westen soll es Unterstützer geben. Nach einem Bericht des ARD-Magazins "Monitor" erhärtet sich zudem der Verdacht, dass ein weitaus größeres Netzwerk als bisher gedacht in den Fall der terroristischen Mordserie verwickelt ist. Der TV-Sendung zufolge pflegten Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Zschäpe vor ihrem Untertauchen Kontakte zu "Blood and Honour", einem international agierenden Neonazi-Netzwerk, das sich die Schaffung einer nationalsozialistischen Gesellschaft der "weißen Rasse" zum Ziel gesetzt hat.
 
Netzwerk aus Hassmusik und Rassenideologie
 
"Blood and Honour" wurde in den 80er Jahren vom Frontmann der rechtsextremen Band "Skrewdriver", Ian Stuart Donaldson (1957 – 1993), als rechtsextremes Musik-Netzwerk gegründet, mit dem erklärten Ziel der Politisierung und Radikalisierung rechtsgerichteter Jugendlicher mit Hilfe von Hassmusik. Als verbindendes Element gilt die "White Power"- oder "White Pride"-Bewegung. In Deutschland war "Blood and Honour" ab 1993 aktiv und fiel vor allem mit der professionellen Vermarktung rechtsextremer Konzerte auf. Im Jahr 2000 erwirkte der damalige Innenminister Otto Schily ein Verbot des Netzwerkes und der angegliederten Jugendorganisation "White Youth" als verfassungsfeindliche Gruppierung.
 
Das Verbot und die damit verbundenen Razzien trugen zwar merklich zu einer Schwächung der deutschen Organisationsstrukturen bei, von einer Auflösung kann jedoch keine Rede sein. "Trotz des Verbots sind die meisten Mitglieder von B & H der rechtsextremistischen Szene verbunden geblieben", stellt der Verfassungsschutz Niedersachsen fest, "sie betrachten sich weiterhin als Mitglied der internationalen B & H-Bewegung und gehören zu den Besuchern von B & H-Konzerten, die im benachbarten Ausland durchgeführt werden". Schnell setzte sich der Zahlencode "28", für den zweiten und achten Buchstaben des Alphabets, also "BH", als Erkennungssymbol durch. T-Shirts mit der Aufschrift "Ich lass mich nicht verbieten – 28" avancierten kurz nach dem Verbot zum Verkaufsschlager rechtsextremer Onlineshops.
 
Die deutsche Szene macht munter weiter
 
Es gibt zudem Hinweise, dass "Blood and Honour" auch in der Bundesrepublik weiter aktiv ist. Bei einem Rechtsrockkonzert Mitte April 2010 in Bremerhaven trafen sich rund 70 Neonazis aus dem Umfeld von "Blood and Honour" und deren militanten Unterorganisation "Combat 18". Der Veranstalter des Konzerts war den Behörden nicht unbekannt. Der Bremer Neonazi Denis Z., der den Veranstaltungsort für eine "private Geburtstagsfeier" anmietete, ist der Frontmann der rechtsextremen Band "Strafmass", die 2009 auch bei "Blood and Honour"-Konzerten in Sachsen und im Raum Dortmund auf der Bühne stand. Im deutschen "Blood and Honour" Onlineforum wirbt "GermanterrorC18" für die "Private Geburtstagsfeier am 17.4 im Raum Norddeutschland" und gibt eine Kontakttelefonnummer an. Andere Einträge des Nutzers, dessen Profilbild einen Mann mit Sturmhaube und Maschinengewehr zeigen, entlarven "GermanterrorC18" als Mitglied der Band "Strafmass". So suchte er im Juni 2010 einen neuen Gitarristen und warb mehrfach für Alben und Konzerte der Band. Neben "Strafmass" werden im Onlineforum zehn weitere deutsche Rechtsrockgruppen als "Blood and Honour"-Bands gelistet. Viele davon spielen auch in Deutschland Konzerte, oft illegal, manchmal aber auch ganz offen, wie beispielsweise "Kraftschlag" beim Pressefest der NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" 2004 in Mücka (Landkreis Görlitz).
 
Verbindungen in alle Richtungen, auch zur NPD
 
Offizielle "Blood and Honour" Konzerte finden im benachbarten Ausland statt, beispielsweise in den Niederlanden, Belgien, Polen oder Großbritannien. Aber auch die deutsche Szene bietet ihren Anhängern regelmäßig musikalische Highlights. Die Dortmunder Bands "Oidoxie" und "Weisse Wölfe", die sich auch personell überschneiden, werden in der Szene zu "Blood and Honour" gezählt und spielten zahlreiche Konzerte in der Bundesrepublik. Zum "Frontline-Records-Konzert", bei dem neben "Oidoxie" und "Hauptkampflinie" auch die US-amerikanische "Blood and Honour"-Band "Max Resist" auftrat, kamen im März 2002 rund 2000 Fans in die Dortmunder Event-Halle. Auch beim vierten "Fest der Völker" im thüringischen Pößneck versammelten sich 2009 Redner und Bands aus dem internationalen Umfeld von "Blood and Honour". Der NPD-Kreisverband Jena zeichnete für das Neonazi-Festival verantwortlich, beteiligt an der Organisation waren aber auch Größen der Neonazi-Szene.
 
"Monitor" zeigt Ralf Wohlleben auf der Bühne, den mittlerweile festgenommenen mutmaßlichen Unterstützer von Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Zschäpe. Auch André Kapke gehört zu den Organisatoren des Festivals. Als ehemaliges führendes Mitglied des "Thüringer Heimatschutzes" (THS) ist er sowohl mit Wohlleben, als auch mit dem so genannten Terror-Trio gut bekannt. Wie vermutlich auch der einschlägig vorbestrafte Thomas "Ace" Gerlach, der ebenfalls dem "THS" angehörte und das "Fest der Völker" mitorganisierte. Gerlach verwendete in verschiedenen Internetforen "struck-mandy" als Passwort. Mandy Struck, die Beate Zschäpe zeitweise ihre Identität zur Verfügung gestellt haben soll, soll wie Gerlach Mitglied der mittlerweile verbotenen "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" (HNG) gewesen sein. Zu dem Vorwurf, Kontakte zum "NSU" gehabt zu haben, schweigen die Friseurin aus dem Erzgebirge und der selbsternannte "Vielschreiber & exzessiver Netznutzer" aus Meuselwitz.
 
Rechtsextreme Erlebniswelt im Onlineforum
 
Die englischsprachige "Blood and Honour"-Webseite bietet 14.450 Mitgliedern ein umfassendes Forum mit 75 Unterforen, 13 davon in deutscher Sprache. Mindestens 1.373 User stammen aus Deutschland, sie tragen krude Namen wie "88DeutschesReich88", "Waffen SS", "Dr.Goebbels", "türkenjäger", "auschwitzforniggers" oder "WeiSSe Wut". Die Profilbilder zeigen Hitler oder Rudolf Heß, Hakenkreuze oder SS-Runen. Typische Szenecodes, wie "88" für "Heil Hitler" oder "14" für die "14 Words" fehlen in kaum einem Forumsbeitrag, genauso wenig wie der obligatorische "deutsche GruSS" als Standardfloskel. Die Anzahl deutscher User könnte sogar noch höher liegen, die Angabe einer Nationalität ist freiwillig. Im Jahr 2008 machten Hacker über 30.000 Datensätze aus dem "Blood and Honour" Forum öffentlich und stellten fest, dass die deutschen Nutzer mit Abstand am aktivsten waren.
 
Neben dem Forum bietet "Blood and Honour" im Internet Unmengen an Propagandamaterial zum Download an, (historische) NS-Filme, "Mein Kampf" als E-Book und sogar ein eigenes "Blood and Honour" Radio, das rund um die Uhr Hassmusik spielt.
 
Handbuch für "politische Soldaten"
 
Mit wenigen Klicks kann sich der interessierte Leser Texte herunterladen, die detaillierte Anleitungen zum "Sturz des Systems" geben, beispielsweise das "Handbuch des politischen Soldaten". Der "Nationalsozialistische Aktivist" wird aufgerufen, den Schreibtisch zu verlassen und hinauszugehen, um "das multi-kulti, multi-kriminelle ZOG Inferno" zu zerstören. Mit "ZOG" ("Zionist Occupied Government", also "von Zionisten okkupierte Regierung") meinen Rechtsradikale in aller Welt die angebliche jüdische Weltverschwörung, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte. "Von Worten zu Taten, von der Kritik zur Zerstörung" heißt es in der Hetzschrift.
 
Erschreckend sind die Parallelen des theoretischen Schriftstücks und den praktischen Taten der Zwickauer Zelle. "Blood and Honour" empfiehlt, zum Beispiel die "Einsamer-Wolf-Taktik" oder den "führerlosen Widerstand", also "kleine Zellen national-revolutionärer Aktivisten", die das "ZOG-System mit direkten Aktionen der Gewalt oder Sabotage" treffen. "Taten statt Worte", galt auch dem "NSU" als Credo. Bei "Blood and Honour" heißt es: "Wie sehr brauchen wir Argumente wirklich? Wie oft haben wir die Chance bekommen sie zu präsentieren? Sicherlich, im Idealfall sollten wir immer bereit sein, unsere Argumente vorzutragen. Aber ist das wirklich die Priorität?" Den Feind direkt anzugreifen wird propagiert und auch, keine Bekennerschreiben am Tatort zu hinterlassen. Diese seien unnötig, Zeichen eines "Ego-Trips" des Täters: "Tatsächlich könnte es das einzige Beweisstück der Polizei sein, also warum sollte man es ihr geben?" Medienberichten zufolge wurden in den 1990er Jahren im Umfeld von "Combat 18" Anleitungen für Nagelbomben verbreitet, die als Vorlage der 2004 in Köln verwendeten Nagelbombe gedient haben könnten.
 
Rechter Terror nicht erst seit dem "NSU"
 
Während die Zwickauer Zelle von Medien und Politik häufig als neues Phänomen des Rechtsterrorismus bezeichnet wird, lohnt ein Blick in die Geschichtsbücher. Schon Mitte der 70er Jahre machte eine rechtsextreme Gruppe aus Niedersachsen mit Sprengstoffanschlägen auf sich aufmerksam, 1980 verübte ein Mitglied der verbotenen "Wehrsportgruppe Hoffmann" einen Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest, bei dem 13 Menschen starben. In Schweden sorgte in den frühen 90er Jahren der "Lasermann" für Aufsehen, der mit einem Scharfschützengewehr auf dunkelhäutige Menschen schoss, knapp 20 Jahre später machte der "Heckenschütze von Malmö" auf sich aufmerksam. In London tötete David Copeland drei Menschen mit Nagelbomben, die er in einem von Homosexuellen und Migranten bewohnten Viertel zündete. Den Höhepunkt des rechtextremen Terrors der Nachkriegszeit erlebte dieses Jahr Norwegen, als Anders Behring Breivik in Oslo und auf der Ferieninsel Utoya mehr als 70 Menschen ermordete. Im "Blood and Honour" Handbuch ist zu lesen: "Diese einsamen weißen Wölfe müssen respektiert und allein gelassen werden, um die schlimmsten Feinde unserer Rasse zu verfolgen. Sie erwarten keine Unterstützung und Hilfe, aber sie verdienen Anerkennung und Verständnis."
 
Mit freundlicher Genehmigung von stern.de

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Foto: Marek Peters / www.marek-peters.com