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Wie in Althaldensleben Neonazis Heimkinder und andere Missliebige vertreiben wollen
40 weitgehend rechtsgerichtete Jugendliche marschieren von einem Parkplatz in Richtung eines Kinderheim auf und fordern lautstark dessen sofortige Schließung. Schon im Vorfeld kursieren Flugblätter, die einen völlig abgemagerten Hund abbilden und die Aufschrift tragen: „Olln gegen Wauzis – Wollt ihr ein reines Olln, frei von elternlosem Dreck? Dann mach mit!“ So geschah es am Sonnabend, dem 27. Januar, in Althaldensleben, einem Stadtteil von Haldensleben, genannt „Olln“.
Als persönliche Auseinandersetzung zwischen Heimkindern und Sekundarschülern sieht dies laut einer Tageszeitung der Vizebürgermeister. „Es ist nicht auszuschließen, dass unter den Jugendlichen welche mit rechter Motivation waren“, verniedlichte es die Polizei. Und der Stadtjugendpfleger monierte gar: „Durch solch einen Vorfall wird die ganze Jugendarbeit der Stadt zerstört und in Verruf gebracht. So geht das nicht!“ Doch mit Schimpfen und Fluchen über das Publikwerden derartiger Aktionen und durch das Schieben auf persönliche Streitigkeiten ist das Thema nicht abgetan. Im südlichen Rand der Kreisstadt brodelt es schon länger.
Jugendliche aus alternativen und linken Kreisen, die sich in diesem Stadtteil auskennen oder gar dort leben, können fast schmunzeln über derartige Darstellungen. Allein geht von ihnen kaum einer im Dunkeln zu Fuß durch Olln. Zu oft ist schon etwas passiert, meist gewalttätige Angriffe, deren rechtsextremer Hintergrund nicht zu leugnen ist und die gar nicht erst ans Tageslicht kommen, da sie aus Angst nicht angezeigt werden. Beleidigungen und Angriffe auf Heimkinder sind schon gar nicht neu. „Die finden schon statt, seit es das Kinderheim gibt“, weiß man. Der Spitzname „Wauzi“ für ein Heimkind existiere nicht erst seit gestern. Er sei aus einem Film abgekupfert worden, in dem herrenlose Hunde, die in einer alten Villa leben, so genannt werden.
„Wenn etwas passiert, wird herumgewettert und bedauert, man bekommt plötzlich Angst um den Ruf eines Stadtteils und dann wird die Tränenschublade wieder zugeklappt“, so der Kommentar eines Jugendlichen. Als zu Halloween mehrere Neonazis in Ku-Klux-Klan-Kostümen auftauchten, sei das glatt von der Polizei als Kinderspielchen abgetan worden. Erst, als man kurz vor Weihnachten rund um Olln befestigte Flyer mit der eindeutig faschistischen Parole „Hier beginnt die arische Zone – Ausländer und anderer Dreck haben keinen Zutritt“ fand, schien man sich (notgedrungen?) durch entstandene Öffentlichkeit etwas mehr dafür zu interessieren, was in Althaldensleben „gespielt“ wird.
Eins ist Fakt: Die Neonaziszene ist gut organisiert. Rechtsextremistisches Gedankengut kreucht und fleucht nicht erst seit gestern in Althaldensleben herum. „Vor mehreren Jahren war es schon einmal richtig schlimm. Einige sind aber wegen Straftaten durch eine Massenanzeige mehrerer Jugendlicher und deren Eltern verknackt worden. Doch jetzt scheinen die Nachwuchsnazis groß rauskommen zu wollen“, wird berichtet. Als „Jung-“ oder „Nachwuchsnazis“ wird in Jugendkreisen der nicht zu knappe jugendliche Nachwuchs der rechten Szene bezeichnet. Jetzt seien die so weit, dass sie mit anderen Kameradschaften und rechten Gruppierungen aktiv zusammenarbeiten, wird nicht zu Unrecht vermutet.
Dass es in Althaldensleben schon lange eine rechte Jugendszene gibt, bezeugen sogar ältere „Insider“. „Damals, in den späten Achtzigern, also noch zu DDR-Zeiten, fuhren wir bereits dorthin zum „Tanzen“, um die Disko nicht den Glatzen zu überlassen. Schlägereien waren da Gang und Gebe. Wer nicht in das Bild einiger passte, wurde von denen oft gar nicht erst reingelassen“, berichtet ein heutiger Mitdreißiger. „Jeder, der damals nach Ausländer, Punk, Popper oder einfach nur alternativ aussah, wurde beleidigt und nicht selten auch angegriffen.“ Schon zu dieser Zeit habe Olln einen Ruf als „Glatzenviertel“ weggehabt, doch hingeschaut habe niemand aus den oberen Kreisen.
Im Dritten Reich wurde Grausamstes in die Tat umgesetzt. Juden, Ausländer, Kommunisten, Sozialisten, ja alle, die nicht in das faschistische Weltbild passte, wurden weggeschafft und zum großen Teil ermordet. Nachdenklich stimmen und zum Handeln bewegen sollte allein schon die Tatsache, dass es Menschen gibt, die solche Gedanken im Kopf herumtragen. Wenn Migranten, Alternative, Linke, Punks und Heimkinder aus Angst vor Angriffen nicht mehr allein auf die Straße gehen können, wenn zu deren „Wegschaffung“ oder zum „Nichtdulden“ aufgerufen wird, sind das eindeutig faschistische Parolen. Mit „Weichreden“ und Angst davor, dass ein Stadtteil in Verruf geraten könnte, wird nur vertuscht, nichts klar angegangen.