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Neonazis bleiben Nazis. „Parasitäres Geschmeiß" beschimpfte 1939 NSDAP-Propagandachef Goebbels die ihm verhassten Intellektuellen. Mit ähnlichen Worten, nämlich "ein Haufen Geschmeiß" beschimpfte am 4. April ein NPD-Delegierter aus Mecklenburg-Vorpommern die anwesenden Journalisten auf dem NPD-Bundesparteitag und beantragte ihren Rauswurf. "Die Presse lügt, die Presse lügt" skandierte der Saal wie bei einem Tribunal und folgte dem Antrag mehrheitlich. Auch sonst änderte sich nicht viel an der Intransparenz der Partei - auch der neue Parteichef blieb der alte.
Eine Fotoreportage von Holger Kulick
Schöne Begrüßung. "Über Sie haben wir vorhin noch gesprochen, Sie haben so spezifische Eigenschaften" meint ein NPD-Mitabeiter, als er mir meine Presseakkreditierung gibt. Welche denn, frage ich zurück. "Na Sie kommen doch von Mut-gegen-rechte-Gewalt - rechte Gewalt finden Sie hier doch keine". Abwarten.
Noch herrscht Ruhe vor dem Sturm. Im Saal posiert Parteichef Udo Voigt ab und zu für Fotowünsche einzelner Delegierter. 218 Stimmberechtigte treffen nach und nach ein, kaum noch Glatzen sind darunter zu sehen, selten Thor Steinar oder Eric & Sons Klamotten zu entdecken, sondern überwiegend Anzug und Krawatte oder weißes oder kurzärmlig kariertes Hemd. "Vom ICH zum WIR" steht auf der Saaldekoration, "Vom Ich zum Wir", so lautete vor mehr als 50 Jahren die propagandistische Parole der SED in der DDR, als die Landwirte zwangskollektiviert wurden. "Deutschlands starke Rechte 09" steht zur Erläuterung der heutigen Position grau daneben.
Was die neue rechte Kraft will, verrät eine von der Pressestelle verfasste NPD-Boulevardzeitung, die verteilt wird: ein anderes System. "Jetzt reicht's" ist der Titel und Voigts Vorwort ist überschrieben mit seiner aufrichtigen Botschaft: "Das BRD-System ist der Fehler". Auf der Rückseite wird "Rassismus" als ein "Kampfbegriff der politischen Korrekktheit" definiert und allen Ernstes behauptet: "Die Forderung, Fremde in ihre Heimat zurückzuführen, ist nicht rassistisch, sondern menschlich". "Kauft bei Deutschen!" wird in der Titelstory als Rezept gegen die Wirtschaftskrise verkauft, dazu gibt es passend Aufkleber auf einem Infotisch: "Kauft deutsche Produkte".
Daneben liegen diverse weitere Broschüren. Eine klärt auf, wie sich NPD-Leute verhalten sollen, wenn der Verfassungsschutz kommt ("Am Ende wollen sie nur eines, daß Du deine Freunde, Deine Kameraden, Dein Volk und auch Dich selbst verrätst") und eine "praktische Hilfe zur Durchführung von Feierstunden" des NPD-Arbeitskreises Kultur gibt rat für die ideale Sonnenwendfeier. Beispiele für "Feuerlieder" und "Feuersprüche" sind darin enthalten, z.B. für Kranzträger dieser hier: "Ich werfe den Kranz für die Verwirklichung der Reichsidee, alle Grenzen müssen fallen!".
Im Eingangsbereich erleben die Delegierten eine Propagandaoffensive des Fraktionsvorsitzenden der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs. NPD-Leinenbeutel mit NPD-Kugelschreibern und Feuerzeug sowie Werbeprospekten werden verteilt, dazu frisch gedruckte Farb-Flugblätter unter der Überschrift "Wofür steht Udo Pastörs?" Der will "kompromisslos gegen die herrschenden Zustände in Deutschland vorgehen" (was immer das heißt), aber auch "genauso kompromisslos... die Mißstände in unseren eigenen Reihen bekämpfen". Die Einbindung "aller nationalen Kräfte" und zwar "ganz gleich welcher Organisationsform" gehört für Pastörs unabdingbar dazu - das heißt, für ihn ist das Bündnis mit braunen freien Kameradschaften aus der Neonaziszene eine Selbstverständlichkeit - wie übrigens auch für Voigt. Im Innensaal führt Pastörs freundliche Schulterklopfgespräche und ist offenbar guter Dinge, dass dies heute sein Tag werden könnte, den Noch-Partei-Chef Udo Voigt zu putschen.
Voigt aber stellt sich noch eine Nummer geschickter an. Während im Obergeschoss die Journalisten warten müssen, bis sie ihre recht barsch zugewiesenen Plätze auf der Ballustrade einnehmen dürfen, dreht Udo Voigt eine gemütliche Runde durch den Pressepulk. Geduldig lächelnd beantwortet er zahllose (zumeist harmlose) Fragen über das Finanzdebakel der Partei ("Eine Partei kann nicht pleite gehen"), über sein Verhältnis zu dem Medien ("wenn es mir nach ginge, könnte die Presse die ganze Zeit dem Parteitag beiwohnen aber viele Delegierte haben Sorgen, dass man sie auf Bildern erkennt und sie deshalb berufliche Schwierigkeiten bekommen"), oder zu dem Lehrer Andreas Molau aus Niedersachsen, der eigentlich gegen ihn kandidieren wollte, aber dann aus Frust der DVU beigetreten ist ("Damit ist garantiert, dass die NPD nicht verbürgerlichen wird").
Ob er fürchte, dass die eher bürgerliche DVU nun wieder zu einem Konkurrenten werden könnte? "Keineswegs" betont er selbstsicher, er selber habe doch DVU-Chef Matthias Faust zum Parteitag eingeladen und der werde nachher auch als Gastredner sprechen. Faust bekommt auf der Bühne tatsächlich einen Sitzplatz direkt neben Voigt und bestätigt am Rande des Parteitags auf Nachfragen der MUT-Redaktion, dass er sich weiterhin als "einen Partner für die NPD" betrachte, und für ihn "auf längere Sicht" auch eine Fusion beider Parteien "vorstellbar" sei. Aber noch seiem ihm zu viele Neonazisten in der NPD, er dagegen habe "mit der Vergangenheit nicht so viel zu tun", so Faust (Bildmitte unten):
Nach wie vor, so bekräftigt der kürzlich erst gewählte neue DVU-Chef, würden die Prinzipien des Deutschlandpakts eingehalten, nicht gegeneinader zu kandidieren und sich Bundesländer und Wahltermine aufzuteilen. So stelle die NPD alle Bundestagskandidaten, die DVU dagegen alle Kandidaten für die Europawahl.
Draußen vor der Tür demonstrieren derweil kaum mehr als 1000 Demonstranten gegen den Neonazi-Parteitag, der erst kurzfristig zugelassen wurde, rund 600 von ihnen auf der einen Seite des Gebäudes, sie kommen mehrheitlich aus dem Umfeld aller Berliner Abgeordnetenhausparteien. Unter den Rednern sind auch DGB-Chef Michael Sommer und Grünen-Chefin Claudia Roth, die beide in ihren Beiträgen mit Recht nicht nachvollziehen können, warum die NPD nicht verboten wird, wie sich später auch im Rathaus erweisen wird.
Auf der anderen Seite des Gebäudes demonstrieren noch einmal rund 300 Berliner aus dem Lager der Antifa und der Jusos, die versuchen, eine Zufahrtsstraße zu blockieren. Dazwischen rund 450 Polizisten, die die Straße eh gesperrt haben und einen entspannten Tag verbringen, denn ursprünglich war mit 3000 Demonstranten gerechnet worden. Aber das Frühlingswetter ist zum demonstrieren zu sonnig und Reinickendorf für Berliner zu weit ab vom Schuss. Und die NPD - interessiert einfach nicht.
So ist es das Bezirksamt selbst, das an diesem Wochenende am einfallreichsten agiert. Der Bezirk hatte sich zunächst geweigert, das Rathaus Reinickendorf für Neonazis zur Verfügung zu stellen, das Verwaltungsgericht pochte aber auf Gleichbehandlung der NPD mit anderen Parteien, schließlich sei sie nicht verboten. Einziges Mittel, der NPD Grenzen zu setzen, blieb der Mietvertrag, der der Partei untersagt beispielsweise Volksverhetzendes in dem städtischen Gebäude von sich zu geben. Berlins Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus hat den Mustermietvertrag entworfen und ist nun gemeinsam mit Bezirksamtsvertretern vor Ort, die Einhaltung zu beobachten - bei Verstößen kann die Polizei den Parteitag abbrechen. Udo Voigt gibt sich auf Nachfrage von MUT allerdings selbstsicher, dass derlei nicht passieren kann ("Wir äußern hier schleißlich Werturteile und die sind durch die Meinungsfreiheit gedeckt"). Und so beginnt der Parteitag dann auch mit relativ locker sitzender Zunge.
So richtet ein Vertreter der örtlichen NPD ein erstes Grußwort an alle Gäste mit dem einleitenden Satz "Ich begrüße Sie in der Reichshauptstadt Berlin" und als zweiter Redner droht Berlins NPD-Landesvorsitzender Hähnel indirekt und unter Beifall Rache für die erteilten Auflagen: "Eines Tages werden wir unsere Genugtuung erfahren...". Dann schlägt die Stunde von Parteichef Voigt.
Wohlwissend, dass es unter den Delegierten aufgrund der erteilten Auflagen und aufgrund der Anwesenheit der von vielen Neonazis verhassten "Systemmedien" Unmut gibt und ein Antrag kursiert, der auf Ausschluss der Presse drängt, funktioniert er seine Eröffnungsansprache zu einer vorgezogenen Parteitagsrede und offenen Auseinandersetzung mit den ihm unliebsamen Personen in der Parteispitze um. Seinen Generalsekretär Peter Marx bezichtigt er offen einer "Intrigenkampagne" und ein "abgekartetes Spiel" gegen ihn betrieben zu haben, "Pfui Deibel"-Rufe im Publikum gellen auf, nebulös erwähnt er ein ominöses "Geheimtreffen" seiner Widersacher "in einer Villa in Zehlendorf" und einen schwedischen Millionär im Hintergrund und nennt auch beim Namen, dass es "kriminelle Machenschaften" im Umgang mit dem Parteivermögen gab. Aber er erzählt das weitgehend so, als sei seine eigene Weste dabei rein, ein cleverer Zug, denn was ihm immer auch selber später vorgeworfen wird, das weiß er, bekommen die Medien nicht mehr mit.
Denn dann ergreift - es ist wohl David Petereit - ein Mitarbeiter der Schweriner Landtagsfraktion und stellvertretender Landesvorsitzender von Mecklenburg-Vorpommern, das Wort und bringt einen Antrag ein, der viel davon deutlich macht, was die NPD von Transparenz und Medienfreiheit hält: Keine Übertragung des Parteitags via lifestream im Internet und uneingeschränkter Ausschluss der Presse werden unter Beifall gefordert. Nicht etwa, so seine Begründung, weil Delegierte Angst um ihren Job hätten, da widerspricht er offen Udo Voigt, sondern "weil wir alle wissen, dass da oben ein Haufen Geschmeiß" sitze, der auch noch dafür bezahlt werde, Lügen über die NPD zu verbreiten. Wie bei einem Tribunal zerplatzt mit einem Schlag die schöne Fassade freundlich anmutenden Krawattenträger. "Die Presse lügt, die Presse lügt!" skandiert der Saal und dann hebt eine deutlich Mehrheit ihre Stimmkarten - darunter auch Udo Pastörs auf der Vorstandsbank - um diesem Ausschlussantrag zu folgen (Foto oben).
Pastörs Gefolge möchte offenbar keine Zeugen für dessen Abrechnung mit Udo Voigt haben - oder für die Widerworte, die er selber kriegt. Nachgetragen werden muss der NPD-Führung in diesem Moment obendrein, dass sie vom Präsidium aus noch nicht einmal die Ausdrucksweise rügt, den Rückgriff auf Nazivokabular im gestellten Antrag vom Kreisverband Mecklenburg-Mitte. Das entlarvt. Doch dieser Rausschmiss der Presse bleibt nicht der einzige Eklat und Akt der Selbstdemaskierung als offenkundig undemokratische Partei an diesem Tag. Denn Unheil droht auch den vier verbleibenden Bezirksamtsvertetern im Raum, darunter die vom Bezirksamt beauftragte Fachberaterin von Berlins Mobiler Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus, Bianca Klose.
Im Lauf der folgenden Stunden wird das Team massiv von Ordnern bedrängt und auch - so empfinden es die Betroffenen - verbal vom Rednerpult aus angegriffen, so dass die Polizeiführung der Gruppe gegen 16.30 Uhr rät, aus Sicherheitserwägungen lieber den Raum zu verlassen. Auf die NPD-Homepage wird ein gezielt diffamierendes Bild der Rechtsextremismus-Expertin gestellt - fast so, wie einst im Dritten Reich Menschen, insbesondere Juden, durch gezielt ausgesuchte entstellende Fotos verunglimpft worden sind:
Zurück bleibt ein Parteitag einer durch öffentliche Mittel bezuschussten Partei, die Öffentlichkeit aussperrt, obwohl es beispielsweise darum geht, öffentlich Rechenschaft über verwendete Finanzen und die Parteipolitik zu geben. Aber die Reihen derer, die Öffentlichkeit repräsentieren, bleiben nun für den Rest des Parteitags leer. Ein krasses Eigentor der Partei.
Zwar wird am Abend das Stimmergebnis für die Wahl zum neuen (alten ) Vorsitzenden via Homepage mitgeteilt und zum Parteitagsende am Sonntag zu einer Pressekonferenz eingeladen, aber Transparenz ersetzt das nicht. Allerdings gibt das Stimmenverhältnis Aufschluss über das Kräfteverhältnis in der Partei - danach befürworten 62 Prozent der Delegierten quasi die Fortsetzung des bisherigen Neonazi-Kurses der Partei: 136 Stimmen erhält der 56-jährige Amtsinhaber Udo Voigt, 72 sein gleichaltriger Herausforderer Udo Pastörs. Und auch dazu veröffentlicht die NPD ein vielsagendes Bild - einen strahlenden Voigt neben einem tief geknickten Pastörs. Der Graben ist offensichtlich.
Pastörs und der sächsische Fraktionschef Holger Apfel ziehen sich daraufhin aus der Vorstandsarbeit zurück - "aus Selbstachtung" sagt Pastörs zu Journalisten. Das besiegelt einen voraussichtlich lange anhaltenden Machtkampf in der NPD - die Köpfe der beiden erfolgreichsten NPD-Landesverbände gegen Voigt als Machtzentrum. Beide dürfen noch auf einer Abschluss-PK mitverkünden, dass NPD und DVU mit dem Neonazi-Liedermacher Frank Rennicke bei der Bundespräsidentenwahl einen eigenen Kandidaten aufstellen wollen, dann müssen sie die Bühne räumen für den neuen Vorstand, dem sie nicht mehr angehören. Einige Journalisten wirken so, als hätten sie Mitleid mit den beiden. Und verpassen ihre Chance.
Denn es wäre ein starkes Signal der Medien gewesen, auf besagter Abschluss-Pressekonferenz am Sonntag einmal mutig zu kontern - und die Parteiführung einfach sitzen zu lassen. Denn wer mit Nazivokabular als "Geschmeiß" beschimpft und als Öffentlichkeit vertretender Augenzeuge ausgesperrt wird, sollte sich weigern, als Mikrofonhalter für Politiker einer Partei zu fungieren, deren Vertreter am Samstag deutlich gemacht haben, dass sie von ihrem Grundverständnis geblieben sind, was sie stets waren - Nazis.
Nur deren Outfit hat sich gewandelt. Nicht der Kern.
Am Ausgang des Saales steht am Ende demonstrativ mit Pastörs ein Delegierter doch in etwas anderen Klamotten. Sein braunes Hemd spricht Bände. Eine Art Reichsadler der Nationalsozialisten kombiniert mit dem Begriff Sozialist. (Foto oben) Die Bedeutung ist klar. Als ich argwöhne: "Sehr merkwürdiges T-Shirt...", antwortet Pastörs hochnäsig: "Seine Sache". Und die seiner Partei.
Einzig zu dieser Pressekonferenz durften die Journalisten übrigens zur NPD in den Tagungssaal. Ein Boykott des Termins, den zuvor mehrere Journalisten bereits abgesprochen haben, platzt allerdings in letzter Minute, weil ein Korrespondent des ARD-Hauptstadtbüros nicht mitziehen will. Er könne sich nicht über die Beleidigung als "Geschmeiß" aufregen, schließlich wisse man doch, an wem man mit der NPD sei. Und die Bilder würden doch einfach gebraucht. Als Udo Voigt auf der PK nach der fehlenden Rüge für das Goebbels-Schimpfwort gefragt wird, redet er sich fein raus, er könne ja schließlich nicht über den Kontext jeder Vokabel Bescheid wissen.
Draußen vor den Saaltüren sichert Polizei vorsichtshalber den Rückweg der Journalisten. Sie sind nach der Pressekonferenz wieder ausgesperrt - undenkbar bei Parteitagen demokratischer Parteien.
Lesen sie auch:
Völkischer Bundespräsidentschaftskandidat (MUT, 7.4.)
"Hitleristen gewinnen" (zeit.de 6.4.09)
Propagierte JN-Chef neue SA? (npd-blog.info, 6.4.)
"Rechts runter" (Tagesspiegel. 6.4.09)
"radikaler und unwählbarer" (netz-gegen-nazis, 6.4.)
Die Schlammschlacht geht weiter (spiegel.de, 5.4.)
Udo Voigts ursprüngliche Personalvorstellungen, taz.de, 4.4.
Die andere Sicht: npd.de, 4.4.2009
"Pressepack" - Neonazis debattieren auf Altermedia über "Geschmeiß"
"Du Kostümnazi - Die Gesichter der NPD", ZEIT 2.4.2009
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