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Rassismus, Homophobie und Chauvinismus – Das Fußballfest Europameisterschaft hat viele Schattenseiten.
Von Ulla Scharfenberg
Oleh Blochin ist ein Volksheld, neun Mal war er ukrainischer Fußballer des Jahres zwischen 1972 bis 1981. Er ist eine Fußballlegende über alle Grenzen hinaus, unvergessen seine Tore beim Europapokal der Pokalsieger 1986. Seine herausragende Karriere ist jedoch nicht der Grund warum an dieser Stelle über ihn berichtet wird. Oleh Blochin ist aktueller Trainer der ukrainischen Fußballnationalmannschaft, das war er bereits von 2003 bis 2007. Bei der Weltmeisterschaft 2006 erreichte das Team sensationell das Viertelfinale. 2006 war es auch, als Blochin ein Interview auf Russisch gab, in dem er über ukrainische Nachwuchskicker sagte: „Lass sie von Andriy Shevchenko oder Blokhin lernen, und nicht von irgendeinem Zumba-Bumba, den sie vom Baum geholt haben, ihm zwei Bananen gegeben haben, und jetzt spielt er in der Ukrainischen Liga.“
Heute, sechs Jahre nachdem Blochin unverhohlen seine rassistische Einstellung öffentlich machte, ärgert sich der 61-Jährige über die Rassismus-Vorwürfe gegen das EM-Gastgeberland Ukraine. Auf einer Pressekonferenz erklärte der Trainer: „Es gibt keinen Rassismus in der Ukraine! Das ist eine politische Sache, die mit Fußball nichts zu tun hat.“
Kein Rassismus in der Ukraine?
Die Journalisten Jo Goll und Olaf Sundermeyer besuchten vor der EM die ukrainischen Austragungsorte Lviv (Lemberg), Kyjiw (Kiew), Charkiw und Donezk und zeichnen ein ganz anderes Bild. Rechtsextreme Ultragruppen sind in der ehemaligen Sowjetrepublik keine Ausnahme sondern vielmehr die Regel. Hooligans des Erstliga Clubs Karpaty Lviv erklären ganz offen: „Wir haben schon immer eine Tradition: keine dunkelhäutigen, keine schwarzen und keine schlitzäugigen Leute in unserem Block. Und Gott wird uns helfen, diese Tradition fortzusetzen (…) Das ist Rassismus, aber das war in Lviv schon immer so.“ In der westukrainischen Stadt prägen die Neonazis nicht nur das Bild im Stadion, auch in der Stadt finden sich zahlreiche rassistische und antisemitische Schmierereien. „Graffiti gibt es überall, das ist eine Modeerscheinung“, sagt der parteilose Bürgermeister, Andri Sadowi: „Sollten sie aber Beleidigungen zeigen, wird die Stadt diese beseitigen. Aber bislang hat noch niemand eine Möglichkeit gefunden, Graffiti zu verhindern.“
Neonazistische Ultras dominieren auch in anderen ukrainischen Städten die Stadien. „Die Ultras im ukrainischen Ligafußball sind allesamt rechts bis rechtsextrem“, sagt Pawel, Anhänger der einzigen nicht-rechten Ultra-Vereinigung von Arsenal Kyjiw, im Interview mit dem Tagesspiegel: „Es ist in der Ukraine cool, rechts zu sein. Vor allem für Jugendliche. Es fing Mitte der Neunziger an. Damals kam die Skinheadbewegung hier auf, die recht schnell die rechte Symbolik adaptierte. Es war am Anfang tatsächlich eine Fashion-Sache. Sie sprühten Haken- oder Keltenkreuze, dachten aber nicht über die Symbolik nach. Später wurde es ideologischer. Heute sind die Gruppen nicht selten an politische Parteien angebunden, die die Ultraszenen als Rekrutierungscamps nutzen.“
Rechtsextreme Fans auch in Polen
Im zweiten Gastgeberland treten die Neonazis weniger offen auf und dennoch ist auch in Polen das Rassismus-Problem nicht zu leugnen. „Wenn man hier lebt, ist es schwierig, zu übersehen, dass es Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in unserem Land gibt“, erzählt Jacek Purski, Mitglied der polnischen Antirassimus-Initiative „Nigdy Wiecej“ („Nie wieder“) im Interview mit der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Der Sprecher der polenweiten Kampagne „Wir kicken den Rassismus aus den Stadien“ sieht jedoch auch eine Entwicklung seit den 1990er Jahren: „Die Verbindungen zwischen Hooligans und Rassismus sind sehr deutlich, aber ich will das auch nicht verallgemeinern. Viele der jetzigen Hooligans sind ehemalige Neonazis. Zu Beginn der neunziger Jahre war das eine richtige Massenbewegung - die Stadien waren voll mit Fans, die ihre Bomberjacken mit dem orangefarbenen Innenfutter nach außen tragen mussten, da sie an der Außenseite der Jacke faschistische Symbole trugen. Heute ist es in den Stadien nicht mehr so populär, ein Neonazi zu sein. Jetzt unterwandert die rechtsextreme Szene eher die Popkultur und versucht sie beispielsweise durch antisemitische Texte zu beeinflussen.“
Dauerbrenner: „Affenlaute“ bei der EM
In deutschen Medien wurde das Thema Rassismus in den EM-Gastgeberländern weitgehend ausgeklammert, der grausame Umgang mit Straßenhunden oder das Schicksal der ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko dominierten die Diskussion. Jetzt jedoch, wo die Vorrunde sich dem Ende zuneigt, ist das Problem auch hierzulande präsent. In Kraków wurden schwarze Spieler der Niederlande während des Trainings mit „Affenlauten“ beleidigt. Beim Spiel Russland gegen Tschechien bedienten sich offenbar russische Anhänger der gleichen rassistischen Schmähung des tschechischen Abwehrspielers Theodor Gebre Selassie. Auch Mario Balotelli bekam den Hass der Rassisten zu spüren, als etwa 200, mutmaßlich spanische, Fans „Urwaldgeräusche“ machten, sobald der italienische Stürmer den Ball berührte. Im Spiel gegen Kroatien wurde der Sohn ghanaischer Eltern erneut Opfer dieser Beleidigung.
Auch wenn es den Fußballverbänden in erster Linie um ein sauberes Image zu gehen scheint, FIFA-Präsident Sepp Blatter hatte im vergangenen Jahr noch behauptet, auf dem Fußballplatz gäbe es keinen Rassismus, scheint doch ein Umdenken stattzufinden. Erstmals werden Aktivisten des FARE-Netzwerks im Auftrag der UEFA alle Spiele im Stadion beobachten, um rassistische und diskriminierende Kommentare und Vorfälle festzuhalten. FARE (Football Against Racism in Europe - Fußball gegen Rassismus in Europa) hat speziell für die EM eine Hotline eingerichtet, sodass jeder Fan rassistische, antisemitische oder homophobe Vorfälle im Rahmen des Turniers melden kann.
Diskriminierende „Fan-Gesänge“, beleidigende Transparente oder gewaltbereite Hooligans als rein osteuropäisches Problem abzutun, greift jedoch bei weitem zu kurz. Natürlich hat sich die Situation in den vergangenen Jahren nicht nur in Bundesliga und Premier League spürbar verbessert, Rassismus, Homophobie oder Antisemitismus sind aber noch lange nicht besiegt. Auch wenn in westeuropäischen Erstliga-Stadien die Menschenfeindlichkeit nur noch selten sichtbar wird, werden regelmäßig Vorfälle bekannt, die ein anderes Bild zeichnen, als das vom friedlichen Fan.
Homophobie ist immer noch ein Tabu
Erst im März hatten Anhänger von Borussia Dortmund Werder Bremens Torhüter, Tim Wiese, mit einem homophoben Banner beleidigt. Überhaupt scheint Schwulenfeindlichkeit eine der größten Herausforderung in den Stadien zu sein. „Sowohl Fankurve als auch Mannschafts-, Vereins- oder Verbandsgefüge stellen weiterhin ein Reservat obsoleter Männlichkeitsvorstellungen dar. Mit Männern assoziierte Stereotype wie Härte, Kampfgeist oder Durchsetzungsvermögen, die für den Fußballer als unabdingbar gelten, werden exklusiv dem heterosexuellen Spieler zugeschrieben. Schwulsein dient hierbei als Synonym für Schwäche“, beschreibt die Initiative „Fußballfans gegen Homophobie“ die Situation: „Das Resultat zeigt sich auf den Rängen, wo kollektiver Rausch und die Anonymität der Masse den Raum schaffen für Diskriminierung in unverhohlener und lautstarker Form. In den Vereinen hingegen prägt meist Tabuisierung das Bild, wenn auch hier nach wie vor mit Regelmäßigkeit homophobe Entgleisungen von Akteuren aller Ebenen zu vernehmen sind.“
Homophobie ist auch traurige Realität bei der EM. „Ich hoffe, dass keine Schwulen in der Mannschaft sind“, erklärte der italienische Stürmer Antonio Cassano auf einer Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Kroatien. Am Abend entschuldigte er sich für seine Aussage: „Schwulenfeindlichkeit ist mir absolut fremd.“