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Das „KdF-Seebad“ in Prora auf Rügen sollte während des Nationalsozialismus als Urlaubsort dienen. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mussten dort unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten. Das „Dokumentationszentrum Prora“ informiert seit dem Jahr 2000 über die Geschichte des Seebads und die nationalsozialistische „Kraft durch Freude“-Organisation. Jetzt ist es durch den Verkauf des Objektes in seiner Existenz bedroht.
Der Umgang mit Nazihinterlassenschaften hat in Deutschland bekanntlich verschiedene Formen. Da werden Schulen und Kasernen nach Altnazis benannt und viele liebgewonnene Traditionen der Nazis weitergeführt. Auf Rügen ist die Situation nicht anders, wenn es um die Geschichtsaufarbeitung geht. 1936 feierten die Nazis unter dem Leiter der “Deutschen Arbeitsfront” Robert Ley das auf der Insel geplante Seebad als soziale Errungenschaft, das 20.000 Urlauber in einem etwa 4,5 Kilometer langen Gebäude gemäß der Ideologie der „Volksgemeinschaft“ beherbergen sollte. Hitler bereitete sehr bald nach 1933 den deutschen Angriffskrieg vor und brauchte zu diesem Zweck zufriedene Deutsche, die gut erholt und ideologisch gefestigt bereit waren in den Krieg zu ziehen. „Kraft durch Freude“ war ein solches Erziehungsinstrument. Nachdem bereits am 2. Mai 1933 die Gewerkschaften abgeschafft und deren Funktionäre zum Teil verhaftet und ermordet worden waren, sollte die Organisation “Kraft durch Freude” jene im Sinne der Nazi-Ideologie ersetzen. Außerdem plante Hitler das Seebad schon einmal als Lazarett für Kriegszeiten ein, wohl wissend, dass den Deutschen keine Zeit mehr zum “Urlauben” bleiben und der Krieg seine Opfer finden wird. Das “KdF-Seebad Rügen” in Prora ist das Einzige der fünf geplanten gleichartigen KdF-Seebäder, für das der Grundstein gelegt wurde. Deutsche Unternehmen wie “Hochtief” oder “Siemens” konnten beim Bau des Urlaubsmonstrums von 1936 bis zum Baustopp 1939 viel Geld verdienen. Ab 1939 wurden hier auch meist polnische Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen zu Instandsetzungsarbeiten eingesetzt und Zwangsarbeiterinnen zur Prostitution gezwungen. Deutsche Arbeiter machten dort aufgrund des Beginns des Zweiten Weltkrieges nie Urlaub. Ein Kleinod, das „Dokumentationszentrum Prora“ und seine Dauerausstellung “MACHTUrlaub”, welches von der “Europäischen Union” gefördert wurde und erst seit dem Jahr 2000 über die Nazi-Geschichte aufklärt, muss nach der Veräußerung des Objektes durch den Bund um seine Existenz fürchten. Bis auf einen Block des 4,5 km langen Gebäudetraktes hat der Bund alles, was geht, an private Investorinnen und Investoren verkauft. Der Bundestag stimmte dem Verkauf des denkmalgeschützten Nazi-Ferienparadieses zu. Dabei wurden sogar in Trümmern liegende Gebäudeteile für 625.000 Euro an einen meistbietenden Investor vergeben.
Foto: Jörn Menge
Diskotheken und Spaßmuseen in Nazibauten
In dem ehemaligen Bad des KdF-Ferienlagers befindet sich jetzt direkt neben dem sehr gut aufgearbeiteten „Dokumentationszentrum Prora“ eine Diskothek namens „Miami“. Hier hat ein Privatinvestor bereits seinen Traum umgesetzt. Auf einem Plakat lässt sich auch der Hinweis auf ein “superlatives” NVA-Museum mit einem 18 Meter langen Modell des Nazi-Größenwahns finden. Ein Museum, betrieben von privater Hand, welches keine Wünsche offen lässt. Gar eine ganze Reihe an Motorrädern, Uniformen und sonstigem NVA-Schnickschnack können Interessierte dort bestaunen. Eine wahrlich tiefgründige Aufarbeitung der Geschichte.
40 Mio. Euro für den Gesamtumbau des Objektes
Bis zur Veräußerung durch den Bund an Privatinvestoren zahlte die Stiftung NEUE KULTUR als Betreiber des sehr aufschlussreichen „Dokumentationszentrums Prora“ eine geringe, fast symbolische Miete. Das war auch gut so, da diese kleine Institution mit hervorragend recherchierten Ausstellungen zur Zwangsarbeit im Dritten Reich und zur größenwahnsinnigen Errichtung des “KdF-Seebades Rügen” durch die Nazis, eine hervorragende Aufklärungsarbeit leistet. Der Block, in dem sich das Dokumentationszentrum befindet, wurde an die Investorengruppe “Jugend & Sport Park GmbH & Co. KG” verkauft. Ich sprach telefonisch mit dem Geschäftsführer Herr Dr. Lahne, der mir mitteilte, man habe seitens der Investoren Angebote für eine Zusammenarbeit an die Betreiber des Dokumentationszentrums offeriert. „Es kann nicht sein, dass die Betreiber so geringe Mieten für so viel Fläche zahlen, denn die Investoren kalkulieren ja mit 40 Mio. Euro und müssen sehr viel Geld investieren, um die Gebäude zu sanieren.” Aus diesem Grund habe man der Stiftung 2008 eine Kündigung ausgesprochen. Unter Einbeziehung des Haushaltsausschusses des Bundestages habe man sich dann doch noch einmal darauf geeinigt, dass die Frist bis Oktober 2010 verlängert wurde. Zudem habe man der Stiftung angeboten, gemeinsam ein Dokumentationszentrum für den neuen Sportpark zu planen. Dies würde aber bedeuten, dass die Stiftung dann ebenfalls investieren und hohe Mietzahlungen leisten müsste. „Wir fordern deshalb eine finanzielle Beteiligung des Landes Mecklenburg-Vorpommern an den Kosten des Dokumentationszentrums Prora über die bisherige Förderpraxis hinaus“, so Peter Kühnel vom „Dokumentationszentrum Prora“. Und weiter: „Das Engagement der Stiftung NEUE KULTUR und die Einrichtung des Dokumentationszentrums Prora mit seiner Dauerausstellung MACHTUrlaub stellen einen Wert dar, über den das Land Mecklenburg-Vorpommern nicht hinweg sehen sollte.“
Ende einer intensiven Aufklärungsarbeit?
Sollte der Fall eintreten, dass das Dokumentationszentrum geschlossen werden muss, da das Geld bekanntlich eine große Rolle spielt, dann wird die Geschichte des “KdF-Seebades Rügen” nebst der Geschichte vom unmenschlichen Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern über kurz oder lang in Vergessenheit geraten. Nach Angaben mehrerer interviewter Personen, u. a. Herrn Dr. Lahnes, soll rund um die KdF-Feriensiedlung nunmehr ein Jugend- und Sportpark gebaut werden. Schick soll es werden, mit vielen Freizeitangeboten, Hostels, Hotels und allem was Spaß macht. Darum herum soll ein Naturschutzgebiet entstehen, Schwimmbäder, Vergnügungsmeilen etc. Quasi ein modernes “KdF-Zentrum”, oder wie haben wir uns das vorzustellen?
Hitlers Traumerfüllung
Da haben wir es mal wieder. Die Aufarbeitung der Geschichte wird zweitrangig wenn Kapital in die Hand genommen wird. In diesem Fall immerhin 40 Mio. Euro. Wobei der Investor uns bereits mitteilte, dass man nun festgestellt habe, dass sich die Kosten wohl verdoppeln könnten, um das angestrebte Projekt eines Freizeit- und Sportparks an historischer Stelle zu bauen. Moral? Mit der Moral haben die Deutschen es dann wohl doch nicht so. Zwangsarbeiterinnen- und Zwangsarbeitereinsatz? Egal? Nein, man versuchte mir weiszumachen, dass man auf jeden Fall das Gedenken an die Opfer der Nazis aufrecht erhalten wolle. Gleichzeitig schießt man aber diejenigen ab, die sich darum bemühen aufzuklären, da diese ihre Mieten voraussichtlich nicht zahlen können werden. Erstaunlich aber doch gewöhnlich ist schon die Tatsache, dass das Dokumentationszentrum erst im Jahre 2000 in das Gebäude einziehen konnte. Da war das Nazi-Regime bereits 55 Jahre entfernt. Das kennen wir ja schon beispielsweise von der Aufarbeitung ehemaliger Konzentrationslager. Aber besser spät als nie! Sollte sich jedoch der Wunsch der Investorengruppe verwirklichen und tatsächlich in den alten Nazi-Ferienbunkern in Prora ein neues Freizeitparadies entstehen, so würde Hitler seinen Traum erfüllt bekommen haben. Darum sagen wir: Vier Kilometer abreißen und in einem letzten Stück dieser unsagbar hässlichen Gebäudereihe ein Dokumentationszentrum einrichten. Das wäre moralisch vertretbar. In diesem Fall wäre uns der Denkmalschutz sogar egal. Dann lieber ein großflächiges Naturschutzgebiet! Außerdem wären diese Gebäude dann auch kein Wallfahrtsort mehr für Neonazis.
Jörn Menge, Laut gegen Nazis
Foto oben: froutes, via Flickr, cc