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In Trier wurde der NPDler Safet Babic aus dem Stadtrat ausgeschlossen. Der verurteilte Gewalttäter sieht darin eine Verletzung des "Volkswillens". Jenen "Volkswillen" zitierte der Neonazi bereits während seiner Ratsmitgliedschaft unter dem Label "organisch gewachsene Strukturen". Mit seinen Eskapaden, Demonstrationen und Phantasieprozessen rund um seinen Ausschluss macht Babic deutlich, worum es der NPD geht, wenn sie vom "Volkswillen" spricht: Sie wollen beherrschen.
Von Fabian Jellonnek, zuerst erschienen in Grenzwertig
Einige hundert Trierer Bürgerinnen und Bürger hatten ihn 2009 in den Stadtrat gewählt. Safet Babic holte 1,1 Prozent der Wählerstimmen. Kurz zuvor hatte er einen gewalttätigen Übergriff auf einen jungen Mann angeleitet. Inzwischen ist Babic für seine Tat rechtskräftig verurteilt und der Ratssitz infolgedessen Futsch.
Der Ex-Stadtrat reagierte mit Demonstrationen, Pamphleten und Phantasieprozessen auf den Mandatsentzug. Zentral dabei immer, egal ob Aufruf, Pressemitteilung oder Klagebegründung: Der Volkswille. Den sieht der selbsternannte "bosnische Befreiungsnationalist" nun durch den Vollzug der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung durch den Stadtrat mit Füßen getreten. Per Eilantrag versuchte Babic sich in den Rat zurück zu klagen und scheiterte gleich in zwei Instanzen.
Bereits während seiner Ratsmitgliedschaft nahm der "Volkswille" eine zentrale Bedeutung für Babic ein. Mehrfach forderte er die Bewahrung "organisch gewachsener Strukturen". Was nach regionalen Wirtschaftskreisläufen oder Esoterik klingt, steht in Wahrheit für die same old soup: Faschismus, Rassismus und Herrendenken. Ein Blick auf das Konstrukt des Volkswillens und der organisch gewachsenen Strukturen verrät ihren eigentlichen Zweck: Den Übergang zur Diktatur.
Die “organisch gewachsenen Strukturen” sind Bestandteil eines Politikkonzepts des Nouvelle-Droite-Philosophen Alain de Benoist. Der Franzose entwarf die “Organische Demokratie”, um Ausgrenzung und unterschiedliche Wertigkeit von Menschen zu begründen, ohne dabei offensichtlich auf die Rassenbegriffe des Nationalsozialismus zurückgreifen zu müssen. Die Betitelung als Demokratie-Konzept ist jedoch blanker Hohn.
Die “Organische Demokratie” ist ein Denkansatz, um Minderheiten auszugrenzen, und beinhaltet ein Partizipationskonzept, das nur einen Steinwurf von diktatorischen Herrschaftsformen entfernt ist. Eine ideengeschichtliche Einordnung des Konzepts erklärt warum: Alain de Benoists Konzept weist einerseits Parallelen zu Jean-Jaques Rousseaus Gesellschaftsvertrag auf und steht diesem andererseits diametral entgegen. Gemein ist beiden Ansätzen die Utopie eines gemeinsamen Willens aller. Rousseaus berühmter “Volonté Générale” findet in der “Organischen Demokratie” seine Entsprechung im “Volkswillen”. Bei der näheren Bestimmung des Volkes, das seinen Willen äußert, verlässt die “Organische Demokratie” das Fahrwasser ihres berühmten Vorbilds. Im Denken Rousseaus ist der Mensch ein von Grund auf gutes Wesen, das durch die Gemeinschaft mit Anderen ihr edles Gemüt verliert.
Dementsprechend war sein “Volonté Générale” ein Vertrag, der den Einzelnen vor der Herrschaft durch andere bewahren sollte. Gegenteilig sehen Alain de Benoist und Kameraden gerade in der Gemeinschaft ein Element, das den Menschen veredelt. Die “Organische Demokratie” ist kein Schutz vor Herrschaft, sondern ein Schutz für die Herrschaft. Die Herrschaft der “völkischen Gemeinschaft”. Der Eintritt in diese Gemeinschaft ist nur über Abstammung und “völkisches Blut” möglich. Das Volk wird kurzerhand unter Rückgriff auf biologistisches Vokabular zum “Organismus” erklärt. Zur willensbildenden Gemeinschaft gehört man in der “Organischen Demokratie” entweder von Geburt an oder gar nicht.
Bleibt die Frage, wer den Volkswillen erkennt und benennt. Während sich die Rousseau-Rezipienten darüber seit Jahr und Tag den Kopf zerbrechen, wissen die braunen Kameraden Bescheid: Der Stammhalter. Sein Samen hält den Organismus am Leben, er beschützt das vermeintlich “schwache Geschlecht” und die Nachkommen. Die “Organische Demokratie” ist eine exklusiv männliche Angelegenheit. Auch unter den Stammhaltern ist nicht jeder gleichberechtigt. Möglichkeiten der Teilhabe können durch heroische Taten ausgebaut werden: beispielsweise durch kriegerische Verdienste oder Familiengründung. Der langjährige Nationalratsabgeordnete der FPÖ (Österreich) Otto Scrinzi ist Anhänger der “Organischen Demokratie” und charakterisierte diese Möglichkeiten, sein Stimmrecht auszubauen, passender Weise als “Wähleraristokratie”. Umgekehrt kennt die “Organische Demokratie” auch Möglichkeiten des Stimmrechtsentzugs bei “volksschädlichen Verhalten”.
Gerade das Thema der Stammhalterschaft stellt Safet Babic, zumindest aktuell, vor große Probleme. Wie sehr ihn diese biographische Lücke plagt, offenbaren seine Polemiken gegen Homosexualität, die in dieser Denke wie ein Kompensationsakt, wie eine heroische Tat zum Ausgleich des selbst empfundenen Mangels wirken müssen. Keine andere Gruppierung wird von Babic offensiver und andauernder diffamiert. Homosexualität setzt Babic gleich mit Dekadenz und “Untergang unserer Kultur”. Der Fahnenklau, sonst Beschäftigungstherapie im Pfadfinderlager, wird so, wenn es um Regenbogenflaggen geht, zu einem bitter-ernsten Akt der Bewahrung organisch gewachsener Strukturen.
Das Konzept der “Organischen Demokratie” impliziert also die Möglichkeit, Stimmrecht zu beschneiden, beziehungsweise auszubauen. Was als “volksdienlich” oder “volksschädlich” definiert wird, liegt abermals in der Hand der männlichen Elite. Dadurch kann aus der selbsternannten Demokratieform problemlos der Diktatur Tür und Tor geöffnet werden. Die Organische Demokratie muss als Übergangsgesellschaft zum eigentlichen Ziel der Rechtsradikalen verstanden werden.
Alain de Benoist entwarf die “Organische Demokratie” als ein Bestandteil der “Metapolitik”. Unter diesem Namen fassen die Neue-Rechte-Bewegungen ihre Strategie im “Kulturkampf” zusammen. Es geht nicht vordergründig darum, konkrete Politik zu gestalten oder Wahlen zu gewinnen. Die Neuen Rechten wollen Diskurse bestimmen und lenken, noch ehe sie in der Gesellschaft diskutiert werden. Bekanntestes Beispiel für eine gelungene Diskursunterwanderung der Neuen Rechten ist der Begriff des “Gutmenschen”. Eine Erfindung der Neuen Rechten, ausgearbeitet und über ihr weit verzweigtes Netzwerk in Medien und Politik hereingetragen. Dahinter steht der Versuch, universalistisches und humanistisches Handeln zu diffamieren. Im Fall der “Organischen Demokratie” gelingt dieses Durchsickern bislang nur in den immer wieder in Medien kolportierten Forderungen nach einem Familienwahlrecht.
Babic’ Versuche, die “organisch gewachsenen Strukturen” an allen Ecken und Enden anzubringen, wirkten dagegen ungelenk und tölpelhaft. Hat Babic die Strategie “Metapolitik” also nicht verstanden? Eher unwahrscheinlich. Die NPD ist kein Akteur der Neuen Rechte und beschäftigt sich eher mit Wahlkämpfen als dem Kampf um die Definitionsmacht.
Der Rückgriff auf die Organische Demokratie durch den Trierer NPD-Stadtrat macht allerdings Sinn, wenn man ihn als interne Ansage versteht. Zu Beginn seiner Mitgliedschaft im Rat thematisierte Babic häufig seinen Migrationshintergrund und bezog sich ideologisch auf den Ethnopluralismus, der im Gegensatz zur Organischen Demokratie nicht biologistisch, sondern kulturalistisch argumentiert. Eine Strategie, um die anderen Stadtratsfraktionen aufs Glatteis zu locken, zudem der Versuch, gemäßigt nach außen zu wirken. Tatsächlich ist Babic in Nidderau geboren und war bereits zu Schulzeiten fest in der rechtsradikalen Neonazi-Szene verankert, wie ehemalige Hanauer Mitschüler berichteten.
Seine Verweise auf die “Organische Demokratie” sind Ansagen an die eigenen Mitglieder: Seht her, ich bekenne mich zu biologistischen, völkischen Denkmustern. Babic klettert auf der ideologischen Kellertreppe ein Stockwerk tiefer. Kein Wunder, er braucht den Rückhalt seiner Partei, um in Arbeit zu kommen. Andere Optionen hat er nicht.
Fotos: Safet Babic trägt Propagandamaterial seines "Nachfolgers" Der Volkswolle von der MäähPD spazieren; von privat, c