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Die angeblichen Integrationsverweigerer

Der an die Neuköllner Sehitlik Moschee gerichtete Drohbrief zeigt auf schockierende Weise, dass islamfeindliche Ressentiments bis hin zum Hass gegenüber Musliminnen und Muslimen allgegenwärtig sind. Fraglich ist, inwieweit eine einseitige Interpretation der aktuellen Studie "Lebenswelten junger Muslime in Deutschland" durch Innenminister Hans-Peter Friedrich in Kooperation mit der BILD, eine Negativwahrnehmung des Islam noch verstärkt.
 
Von Anna Brausam
 
Im letzten Jahr musste die Sehitlik Moschee in Neukölln viel aushalten: Vier Brandanschläge, volksverhetzende Emails und aktuell ein achtseitiger Drohbrief. Für drei der vier Brandanschläge wurde im Juli 2011 ein Mann vom Berliner Landgericht zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt und sitzt seitdem in einer psychiatrischen Anstalt, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.
 
Drohbrief an die Sehitlik-Moschee
 
Die Absender des Drohbriefes sind nach Polizeiangaben noch nicht bekannt. Man weiß lediglich, dass das Schreiben von einer Gruppierung namens „Reichsbewegung“ unterzeichnet wurde. Diese Gruppierung ist bis dato in Berlin noch nicht in Erscheinung getreten, weshalb noch unklar ist, welche Personen sich dahinter verstecken.
 
Die Internetseite der „Reichsbewegung“ legt offen, dass es sich nach eigener Agitation um eine „Neue Gemeinschaft von Philosophen“ handelt, die in einem Gemisch aus völkischen und esoterischen Theorien rechtsextremistische Positionen, wie zum Beispiel die Holocaustleugnung, propagieren.
 
Mit der Anrede „an alle Türken, Muslime und Neger in Deutschland“ fordern sie in ihrem Drohbrief eine Ausreise aller Muslime binnen sechs Monaten. Sollten die Adressaten dieser Forderung innerhalb der angegebenen Frist nicht nachgehen, seien sie bereit die Ausreise mit Gewalt bis hin zum Mord zu erzwingen.
 
Islamfeindliche Stereotype nicht nur am rechten Rand
 
Der achtseitige Brief macht deutlich, welch starke Negativwahrnehmung der Islam in Deutschland erfährt. Auch wenn dieses Schreiben eventuell „nur“ von einer kleinen Gruppierung am rechten Rand verfasst wurde, darf nicht unterschätzt werden, dass sich die im Brief genannten Stereotype über den Islam auch in der Mitte der Gesellschaft wiederfinden. Im Brief werden unter anderem „einschlägige“ Koranverse zitiert, die beweisen sollen, wie rückwärtsgewandt und patriarchalisch der Islam sei.
 
Die Rückständigkeit des Islam mit dem Koran zu beweisen, ist nicht nur ein Mittel der extremen Rechten. Nein, auch in der Mitte der Gesellschaft dient der Koran oftmals zur Beweisführung für die „Aufklärungsresistenz“ des Islams. Eine eindimensionale und negative Wahrnehmung spiegelt sich auch in unterschiedlichen Studien (z.B. Allensbach-Studie "Eine fremde bedrohliche Welt" aus dem Jahre 2006) wider. Überspitzt formuliert wird „der Islam“ in der Öffentlichkeit auf drei „wesentliche“ Merkmale reduziert: das Kopftuch als signifikantes Zeichen für die Unterdrückung der Frau; Ehrenmord und Zwangsheirat als Ausdruck einer aufklärungsresistenten muslimischen Gesellschaft mit patriarchischen Familienstrukturen; und die Moschee als konspirativer Ort, um eine „schleichende Islamisierung Europas“ voranzutreiben.
 
Stärkung der  muslimischen Zivilgesellschaft
 
Zu Recht wird von muslimischer Seite darauf hingewiesen, dass Themen wie diese, nicht spezifisch islamisch sind. Derartige Fälle gibt es auch außerhalb des Islam. Dass es gewisse Vorbehalte bis hin zu Ängsten in der Bevölkerung gegenüber diesen Phänomenen gibt, ist jedoch nicht vollkommen unbegründet. Niemanden wird es überzeugen, dass solche Probleme überhaupt nichts mit dem Islam zu tun hätten, wie manchmal verlautet wird. Hier ist die demokratische muslimische Zivilgesellschaft gefragt, einen mutigen und energischen innerislamischen Diskurs anzustoßen. Diskriminierung und Abwertung von Menschen darf niemals tabuisiert werden. Probleme, wie Fundamentalismus und Zwangsheirat, müssen offen thematisiert werden.
 
Wichtig in Momenten wie diesen ist es, Ängste in der Bevölkerung hinsichtlich dieser Phänomene ernst zu nehmen und gleichzeitig darauf zu achten, dass Kritik am Islam differenziert und konstruktiv geäußert wird, damit sie nicht als Plattform für populistisches und rechtsextremes Gedankengut missbraucht wird.

Innenminister Friedrichs Stammtischparolen
 
Die aktuelle Studie "Lebenswelten junger Muslime in Deutschland", die vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegeben wurde, verdeutlicht, wie Studienergebnisse medienwirksam, populistisch uminterpretiert werden können. Nachdem die BILD noch vor Veröffentlichung von einer „Schock-Studie“ sprach, folgte die Antwort von Hans-Peter Friedrich auf dem Fuße: Deutschland, so sagte er, werde „den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten nicht akzeptieren. Wer Freiheit und Demokratie bekämpft, wird hier keine Zukunft haben – dies klarzumachen, ist die Aufgabe eines jeden.“ Von einem „Unwillen zur Integration“ beziehungsweise „Integrationsverweigerern“ insbesondere bei muslimischen Jugendlichen ohne deutschen Pass ist in der BILD die Rede, auch wenn dies in dieser Form in der Studie nicht zu finden ist. Unter den Tisch fällt dabei zusätzlich, dass sich 78 Prozent der Muslime explizit für eine Integration in Deutschland aussprechen.
 
Dass populistische Debatten wie diese oder die Sarrazin-Debatte nachhaltig das Bild über den Islam in einer Gesellschaft prägen, ist augenscheinlich. Menschen, die tatsächlich Muslime sind oder als solche wahrgenommen werden, sind mehr und mehr einem Rechtfertigungsdruck gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt. In diesem Kontext müssen sie sich nicht nur zu barbarischen Strafpraktiken in Saudi- Arabien äußern, da derartiges im Namen „ihrer“ Religion geschehe, sondern ihnen werden auch stets Bekenntnisse zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung abverlangt. Wenn Muslime in Deutschland jedoch stets in Verbindung mit fundamentalen und reaktionären Strömungen gebracht werden, transportiert dies ein Verständnis, dass Muslime nicht als gleichwertige Mitglieder der deutschen Gesellschaft wahrgenommen werden.
 
Auch der Gemeindevorsitzende der Sehitlik-Moschee, Ender Cetin, spricht in einem Interview, anlässlich des erhaltenen Drohbriefs, in der taz auch von diesem Rechtfertigungsdruck: „Die Lehrer oder auch Eltern von Mitschülern fragten andauernd nach der Religion, ständig wurde ich auf den Islam angesprochen und musste mich als Muslim rechtfertigen, auch in Verbindung mit politischen Themen. Da muss man sich dann irgendwann positionieren.“
 
Sensibilisierung der deutschen Mehrheitsgesellschaft
 
Dieser stete Rechtfertigungsdruck schafft ein Ungleichheitsverhältnis, das Deutschland als ein Land, das sich auf die Menschenrechte beruft, nicht akzeptieren darf. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft muss dahingehend sensibilisiert werden, dass „der Islam“ eine interne Pluralität aufweist. „Der Islam“ darf nicht pauschal mit fundamentalen, restriktiven und politischen islamischen Strömungen gleichgesetzt werden. Politik und Gesellschaft stehen in der Pflicht, sowohl darauf zu achten, wenn gesellschaftliche Gruppen versuchen konstruktive Kritik zu tabuisieren, aber gleichzeitig müssen sie auch Maßnahmen ergreifen, wenn Gruppen in der Gesellschaft Ausgrenzung und Diskriminierung aufgrund populistischer Parolen erfahren.

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In der Sehitlik Moschee in Neukölln, Foto: welu-berlin, via flickr, cc