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Zwischen Finanzkrise und Wahlniederlagen - Warum das Jahr 2009 für die rechtsextreme Szene trotzdem erfolgreich war


2009 - ein erfolgreiches Jahr für die Rechtsextremen? In Sachsen ist die NPD mit 5,6% bei den Landtagswahlen Ende August knapp über die Fünfprozent Hürde gekommen. Zum ersten Mal gelingt ihr damit ein Wiedereinzug in einen Landtag. In Thüringen ist die Partei knapp an der Fünfprozent Hürde gescheitert, in Schleswig-Holstein erreichte die Partei nur 0.9%. Der sogenannte Deutschlandpakt zwischen den beiden rechtsextremen Parteien DVU und NPD ist zerbrochen und in Folges dieses Bruches ist die DVU in keinem einzigen Landtag mehr vertreten. Die Finanzkrisen und Betrügereien der NPD sind schon kaum noch zu zählen. Ende Oktober ist mit dem Hamburger Neonazi Jürgen Rieger, der auch stellvertretender NPD-Bundesvorsitzender war, der zentrale Fundraiser und Finanziers der rechtsextremen Szene in Deutschland gestorben. Wer diese Einzelmeldungen punktuell in den Zeitungen verfolgt, gewinnt den Eindruck, Rechtsextremismus sei in Deutschland eigentlich kein Problem mehr. Sicher, man kann nicht davon sprechen, dass die rechtsextremen Parteien im Aufwind sind, aber ein differenzierter Blick lohnt sich allemal.

Rekordjahr für rechte Straftaten

Seit 2001 ist ein fast kontinuierlicher Anstieg von rechten Straftaten zu beobachten, auch die Zahl der Gewaltstraftaten befindet sich seitdem beständig auf einem sehr hohen Niveau. Nach vorläufigen Zahlen des Bundesinnenministeriums für die Monate Januar bis Ende September wurde 2009 von den Landeskriminalämtern 11.025 rechtsextremistisch motivierte Delikte registriert. Wie das Bundeskriminalamt (BKA) Mitte Dezember mitteilte, werden jeden Tag zwei bis drei rechtsextreme Gewaltaten verübt. So liegt die vorläufige Zahl der Gewalttaten 2009 bei 517, 528 Personen wurden dabei durch Neonazis verletzt. Und die Ägypterin Marwa el-Sherbini ist nach der Zählung des Opferfonds CURA das 149 Todesopfer rechter Gewalt im wiedervereinigten Deutschland. Die endgültige Statistik für 2009 wird erst im Frühjahr 2010 erwartet. Es ist aus der Erfahrung der letzten Jahre von zahlreichen Nachmeldungen und einer Korrektur der Gesamtzahl nach oben auszugehen. Das BKA hat bereits angekündigt, dass die Summe der rechtsextremistischen Straftaten die Rekordzahl von mehr als 20.000 Delikten im Jahr 2008 übersteigen wird.

Über 1 Million Euro Steuergelder für die NPD

Die Wahlerfolgsbilanz der NPD und der DVU ist auf den ersten Blick mager. Die rechtsextremen Parteien konnten nicht von der Finanz- und Wirtschaftskrise profitieren. Aber die NPD hat gegenüber den Wahlen 2005 nur 0,1% verloren. Sie konnte ihr Stammwählerpublikum weiter an sich binden. Bei den Bundestagswahlen 2009 hat sie 1,5% der Stimmen geholt, das sind 635.437 Wählerstimmen. Zusammen mit den Stimmengewinnen aus den Landtagswahlen erhält die NPD damit mehr als eine Million Euro aus Steuergeldern. Sie kann also weiter Schulhof-CDs herstellen und verteilen, sie kann Fußballturniere unterstützen und Kinderfeste veranstalten. Sie kann weiterhin politische Gegner durch Hetzkampagnen diffamieren, beleidigen und bedrohen.

So stark wie nie kommunal verankert

Nie war die NPD besser aufgestellt. Entgegen dem Eindruck, den die öffentliche Diskussion vermittelt, gab es noch nie so einen starken Unterbau mit regionalen Gliederungen und kommunalen Mandaten der rechtsextremen Partei. Laut den Statistischen Landesämtern hat die NPD bundesweit 331 Verordnete in kommunalen Gremien, davon 252 Verordnete in Ostdeutschland. Bundesweit gibt es über 600 rechte Verordnete. Neben der NPD werden dazu auch die REP, DVU und die PRO-Parteien gezählt, die vor allem in NRW und in Süddeutschland stark sind. Für die rechtsextreme Szene sind die Kommunen, vor allem aber die kommunale Verankerung in Stadt- und Gemeinderäten sowie Kreistagen weiter von entscheidender machtstrategischer Bedeutung. Die Rechtsextremen nutzen in den Kommunalparlamenten geschickt die Möglichkeiten, die ihnen die Arbeit, die Infrastruktur und die Gelder dieser bieten. Besonders die beiden letzten Jahre haben gezeigt, dass die rechtsextremen Mandatsträger sehr lernfähig sind und sich nur noch dort engagieren, wo es für sie unmittelbare Erfolge zu erzielen gibt und sie sich in der Öffentlichkeit als „Kümmerer“ für die Belange der einfachen Leute inszenieren können. Umfragen des Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung bestätigen, dass es der NPD zunehmend gelingt, sich als wählbare Alternative zu den demokratischen Parteien darzustellen und den Bürgerinnen und Bürger zu vermitteln, sie könnten Antworten auf lokale Problem geben.

Kein Thema: Rechte Dominanzkultur

Bei der Konzentration auf rechtsextreme Parteien und reine Gewalt, fallen vor allem die nicht direkt messbaren Probleme des Rechtsextremismus weg. Zuletzt wurde bei der Fußballweltmeisterschaft öffentlich darüber diskutiert, ob es No-Go-Areas für Menschen gibt, die nicht in das rechtsextreme Weltbild passen. Daran hat sich nichts geändert. Nach wie vor gibt es in vielen kleinen oder größeren Städten, Orten und Dörfern eine dominante rechte Jugendszene, die teilweise in rechtsextreme Strukturen eingebunden ist oder einfach bei Übergriffen einem rassistischen und menschenverachtenden Weltbild folgt. Dass es nicht weniger, sondern mehr und sich verändernde Angstzonen gibt, macht auch die Anzahl der verschiedenen Hilfsanfragen deutlich, die die Amadeu Antonio Stiftung aus ganz Deutschland erhält.

Professionalisierung und Modernisierung

Unabhängig von der tagesaktuellen Entwicklung ist von einer weiteren Professionalisierung der rechtsextremen Szene auszugehen. Dies beweist beispielsweise die Zusammensetzung der neuen Landtagsfraktion der NPD in Sachsen. Die Abgeordneten sind ideologisch geschulter, professioneller in ihrer Arbeit und in der Außendarstellung. Auch die Streitereien innerhalb der rechtsextremen Szene lassen sich eher als eine Ausdifferenzierung und Modernisierung deuten, denn als ihr immer wieder prognostizierter Zerfall. Unabhängig von der Entwicklung des parteiförmigen Rechtsextremismus ist in jedem Fall die ständig steigende Zahl der rechtsextremen Gewalt Anlass zu großer Sorge. Eine Trendumkehr ist nach den aktuellen Entwicklungen nicht zu erwarten. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder gehen eher davon aus, dass die Zahl der Konflikte zwischen rechtsextremer und alternativer Szene zunehmen wird. Auch verliert das Flagschiff des deutschen Rechtsextremismus, die NPD, aufgrund der relativ schwachen Erfolgsbilanz der letzten Jahre zunehmend an Bindewirkung. In der Folge gewinnen die äußerst gewaltbereiten Freien Kräfte, insbesondere die sogenannten Autonomen Nationalisten an Bedeutung und bekommen wieder mehr Zulauf.

Kein Ort für Neonazis

Für die Amadeu Antonio Stiftung stellt sich deshalb weiter die Aufgabe, auf die Raumgreifungsstrategie und der kommunalen Verankerung der rechtsextremen Szene zu antworten. Ein sehr erfolgreiches Modell war dafür die Kampagne „Kein Ort für Neonazis in Thüringen“ im Vorfeld der Landtagswahl. Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus schnell und unbürokratisch zu unterstützten, um auf die Gefahr rechtsextremer Parteien in den Kommunalparlamenten aufmerksam zu machen und über rechtsextreme Strukturen vor Ort aufzuklären. Mehrere hundert Jugendliche und Erwachsene haben an den Projekten teilgenommen. Beispielweise förderte die Kampagne zivilgesellschaftliche Aktivitäten gegen das „Fest der Völker“ oder den Thüringen-Tag der nationalen Jugend, Schulworkshops zu Symbolen und Ideologie der rechtsextremen Szene, ein kirchliches Projekt „Radeln gegen Rechts“ oder ein Rock gegen Rechts – Konzert. Mit Hilfe der Kampagne konnte erfolgreich dazu beigetragen werden, den Einzug der NPD in den Landtag des Freistaates zu verhindern. Das war im Vorfeld der Wahlen keinesfalls absehbar. In den letzten Umfragen vor der Wahl kam die NPD sogar auf über 5% der Stimmen.

Timo Reinfrank

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Kein Ort für Neonazis