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Zero Tolerance für Roma


Im August begann Frankreich mit der Massenabschiebung dutzender Roma. Staatspräsident Nicolas Sarkozy steht mit seiner Law&Order-Politik nicht alleine da: In ganz Europa wächst die antiziganistische Stimmungsmache.


Von Vina Yun

Der Pariser Elysée-Palast Ende Juli: Nach einer Krisensitzung mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy kündigt Innenminister Brice Hortefeux an, binnen drei Monaten die Hälfte der informellen Roma-Wohnsiedlungen im Land, also rund 300, abreißen zu lassen. Darüber hinaus verkündet Hortefeux: „Wir werden quasi umgehend damit beginnen, Roma, die die öffentliche Ordnung stören oder straffällig werden, nach Bulgarien oder Rumänien rückzuführen.” Bis Ende August sollen insgesamt rund 700 Roma „in ihre Heimat” geflogen werden. Doch das ist nicht alles. Zusätzlich will Hortefeux unter anderem zehn Steuerfahnderinnen und -fahnder die Siedlungen der „fahrenden Leute” („gens de voyage”) und Roma durchkämmen lassen, „denn viele unserer Landsleute sind zu Recht verwundert über die Größe mancher Autos und Wohnwägen”.
Grund für die Krisensitzung, an der auch Justizministerin Michèle Alliot-Marie, Einwanderungsminister Eric Besson und hohe Funktionäre der Exekutive teilnahmen, war der Angriff einer Gruppe von Roma auf die örtliche Gendarmerie-Station im zentralfranzösischen Örtchen Saint-Aignan. Zwei Wochen zuvor war dort Luigi Duquenet, ein 22 Jahre junger Rom, von einem Gendarmen bei einer Verkehrskontrolle unter zweifelhaften Umständen erschossen worden.

Law & Order à la française.

Sarkozy, der schon Mitte der 2000er Jahre als Innenminister den rechten Hardliner gegeben hatte, nahm diesen und weitere Vorfälle zum Anlass, um abermals die „innere Sicherheit” an die Spitze der Tagesordnung zu setzen. Die Krawalle verdeutlichten „die Probleme, die das Verhalten von manchen fahrenden Leuten und Roma verursachen”, so der Staatschef, der den „Schiebern” und „Gaunern” den „nationalen Krieg” erklärt hat. Einmal mehr verlinkt Sarkozy die Einwanderungsdebatte mit dem Kriminalitätsdiskurs und droht: „Die französische Staatsangehörigkeit muss jeder Person ausländischer Herkunft entzogen werden können, die einen Angriff auf das Leben eines Polizisten, eines Gendarmen oder eines anderen Vertreters der Staatsgewalt unternommen hat” – die Zugehörigkeit zur Nation müsse „man sich verdienen und sich dieser würdig erweisen”.
Trotz anhaltender Kritik inner- und außerhalb Frankreichs wurden am 19. August die ersten Roma aus Frankreich nach Rumänien abgeschoben. Sie sind nicht die ersten: Im vergangenen Jahr waren bereits ein Drittel aller Deportierten Roma – insgesamt fast 10.000 Menschen.
Die jüngst ausgewiesenen 93 Personen sollen sich jedoch zu einer „freiwilligen Rückkehr” bereit erklärt haben, betont Hortefeux. Als besonderer „Anreiz” wird eine Geldprämie geboten: Pro Erwachsenem werden dreihundert Euro, für jedes Kind einhundert Euro bezahlt. Weil rumänische und bulgarische Roma aber auch EU-Bürgerinnen und Bürger sind und daher das Recht auf Freizügigkeit in der europäischen Union genießen, sich also innerhalb der EU frei bewegen können, hat Einwanderungsminister Besson vorgesorgt: Mit der Einführung des neuen biometrischen Systems „Oscar” werde verhindert, dass Ausgewiesene erneut finanzielle Unterstützung bekommen und immer wieder nach Frankreich zurückkehren. Auch sein UMP-Parteikollege und Parlamentsabgeordneter Jacques Myard stellte in einem Interview mit dem Nachrichtensender „Al Jazeera” das Freizügigkeitsrecht für Roma innerhalb der EU als solches in Frage.

Erzwungene Nicht-Sesshaftigkeit.


In Frankreich, wo verwaltungsrechtlich zwischen (aus Bulgarien und Rumänien migrierten) „Roma” und „gens de voyage” – zu 95 Prozent französische Staatsbürgerinnen und -bürger – unterschieden wird, sind Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner dazu verpflichtet, den „fahrenden Leuten” geeignetes Gelände zur Verfügung zu stellen. Meist wird diese Vorschrift aber nicht umgesetzt. Die Diskriminierungen, mit denen sich die Mehrheit der Roma in Frankreich (und nicht nur dort) konfrontiert sieht, sind vor allem der Ausschluss aus dem formellen Arbeitsmarkt und dem Bildungsbereich sowie der fehlende Zugang zu Wohnungen. Roma und „gens de voyage” werden also immer wieder zur Nicht-Sesshaftigkeit gezwungen.
Angesichts der Polizeirazzien, des Abrisses der selbst gebauten Unterkünfte und des unverhohlenen Rassismus kann von einer „freien Entscheidung” zur Rückkehr ohnehin keine Rede sein. Medienberichten zufolge begrüßen rund achtzig Prozent der französischen Bevölkerung die Räumungen der informellen Roma-Wohnsiedlungen. Die Auflösung der „camps illicites” ist bereits im vollen Gange.

Allgegenwärtiger Rassismus.

Der aktuelle Anti-Roma-Populismus à la Sarkozy greift auf tief verwurzelte Vorurteile und Stereotype zurück, die „fester Bestandteil der europäischen Kultur” geworden sind, wie Rudko Kawczynski, Präsident des European Roma and Travellers Forum, im Vorwort der Sammelbandes „Antiziganistische Zustände” schreibt. „Anders als der Antisemitismus wurde der Antiziganismus jedoch nie grundsätzlich in Frage gestellt, geschweige denn in irgendeiner Form bekämpft. (…) Der Holocaust an den europäischen Roma stellt nach wie vor nur eine Fußnote in der Geschichtsschreibung dar.” (8)
Auch die wissenschaftliche Forschung zum Antiziganismus entfaltet sich eher zögerlich. Als „allgegenwärtiges Ressentiment”, das in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen gleichzeitig zu finden ist – sei es in der Politik, Wissenschaft, Kunst oder in den Medien –, wiederholen sich die rassistischen Zuschreibungen an Roma beharrlich. „Wild, frei, musikalisch” bilden dabei nur die Kehrseite von „dreckig, stehlend, vaterlandslos”.
Mit geschätzten zehn bis zwölf Millionen Menschen stellen Roma die größte, wenn auch sehr heterogene Minderheit in Europa dar. Doch erst in den letzten Jahren sind sie auch im medialen Diskurs sichtbarer geworden. Diese verstärkte Aufmerksamkeit ist auf mehrere Dinge zurückzuführen – etwa dem Fokus auf die antiziganistische Hetze in Osteuropa wie beispielsweise in Ungarn, wo die rechtsextreme Jobbik-Partei im Frühjahr mit Anti-Roma-Parolen als drittstärkste Kraft ins Parlament gezogen ist und wo ihr paramilitärischer Flügel, die Ungarische Garde, immer wieder mit Drohgebärden durch Roma-Siedlungen marschiert.
Die aktuellen Ereignisse in Frankreich beweisen hingegen, dass die Konjunktur des Antiziganismus kein Phänomen der ehemaligen realsozialistischen Staaten ist. Exemplarisch lässt sich der Rassismus gegen Roma auch in Italien beobachten: Dort erlebte die Roma-Bevölkerung während der letzten Jahre wiederholt Wellen gewalttätiger, rechtsextremer Ausschreitungen ebenso wie Gesetzgebungen, die unmittelbar gegen sie gerichtet sind.

Klage gegen Dänemark.


Ähnliches trifft auch für die als „tolerant” geltenden skandinavischen Länder zu: Im Juli wies Dänemark 23 rumänische Roma aus und belegte sie mit einem mehrjährigen Einreiseverbot. Begründung: „Bedrohung der öffentlichen Ordnung.” Dieses Vorgehen widerspreche aber der Aufenthaltsdirektive der EU, intervenierten Kritikerinnen und Kritiker – demnach ist die Ausweisung von EU-Bürgerinnen und Bürger nur dann und auch nur im geprüften Einzelfall erlaubt, wenn eine „reale, unmittelbare und ernsthafte Bedrohung grundlegender öffentlicher Interessen” vorliegt (weshalb auch Frankreich mit seinen Abschiebungen im großen Stil europäisches Recht verletzt). Illegales Campen auf einem unverschlossenen Fabriksgelände, wie es die abgeschobenen Rumäninnen und Rumänen taten, dürfte nicht dazu gehören. Mit Unterstützung des European Roma Rights Centre in Budapest wollen die Betroffenen nun den dänischen Staat wegen Verletzung ihrer Rechte als EU-Bürgerinnen und Bürger verklagen – ein Präzedenzfall, der für andere Länder beispielgebend werden könnte.
Auch durch die Auseinandersetzungen rund um das Verbot des „organisierten Bettelns” in unterschiedlichen Ländern (darunter Österreich, Dänemark oder Finnland) sind Roma in den Medien – wenngleich in negativer Art und Weise – präsenter geworden. Schweden rechtfertigte übrigens die kürzliche Abschiebung von Roma mit dem Hinweis, Betteln sei eine „unehrliche Weise, Geld zu verdienen”.
Geht es nach dem französischen Magazin „Marianne” heißt der wahre Gauner Nicolas Sarkozy. Mit der Stimmungsmache gegen die Roma-Bevölkerung kann der französische Staatschef nicht nur vom jüngsten Spendenskandal rund um die undeklarierten Spendenzahlungen der L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt für seinen Präsidentschaftswahlkampf 2007 ablenken. Ohne politische Sanktionen fürchten zu müssen, mobilisiert Sarkozy schon jetzt die rechte Wählerinnen- und Wählerschaft für die nächsten Präsidentenwahlen 2012.

Erschienen in
Anschläge 09/2010.
Foto: Nicolas Sarkozy bei der Amtseinführung, von
Remi Jouan, cc

Anmerkung:
[1] Markus End, Kathrin Herold, Yvonne Robel (Hg.Innen): Antiziganistische Zustände. Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments. Unrast 2009
 

Brandanschlag mit antiziganistischem Hintergrund in Sachsen

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Sarkozy - Zero tolerance für Roma