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"Verfassungsfeind NPD"

Sie preist sich gerne als Partei "aus der Mitte des Volkes". Dabei ist sie hinter ihrer bürgerlichen Fassade eine verfassungsfeindliche Partei, die verboten werden müsste. Das sehen zumindest die SPD-Innenminister und Senatoren der Bundesländer Sachsen-Anhalt, Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz und  Schleswig-Holstein so. Sie veröffentlichen heute gemeinsam einen Bericht, der auf 92 Seiten reichlich Belege für eine Verfassungsfeindlichkeit der NPD enthält. MUT veröffentlicht das Papier zum Download.

Von Holger Kulick

"Verfassungsfeind NPD" ist die Materialsammlung überschrieben, die von den fünf SPD-Innenministern heute in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt vorgestellt wurde. Sie enthält zahlreiche Zitate aus NPD-Quellen, die allesamt öffentlich zugänglich sind. Die fünf Minister resümieren:

"Die NPD ist unstreitig eine Bedrohung für unsere Demokratie. Wo sie auftritt – ob in Parlamenten, in Wahlkämpfen oder im selbst ausgerufenen „Kampf um die Straße“ –, stellt sie die Werte einer offenen Gesellschaft in Frage, hetzt gegen Andersdenkende und Ausländer, verleugnet die Verbrechen der NS-Diktatur und schürt antisemitisches Gedankengut"
.


Die Verfassungsfeindlichkeit ist ein zentrales Kriterium, das nach Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz zum Verbot einer politischen Partei erforderlich ist. Die rechtsextreme NPD hat diese Grenze längst überschritten, sagen die SPD-Innenminister und Senatoren. Ein neues Verbotsverfahren sehen sie allerdings derzeit nicht - da die unionsgeführten Länder einen solchen Schritt verweigern. Daher soll das nun vorgelegte Material vor allem breite Öffentlichkeit aufklären und "Bildungszwecken" dienen, hoben die Innenminister von Sachsen-Anhalt, (Hövelmann), Mäurer (Bremen) und Körting (Berlin) bei der Präsentation hervor.

Bericht "Verfassungsfeind NPD", im Hintergrund das Podium
Bericht "Verfassungsfeind NPD", im Hintergrund das Podium

Kurzfristig luden sie am Montag zur Vorstellung ihres Berichts in die Berliner Landesvertretung von Sachsen-Anhalt ein - nachdem vor genau einem Jahr  schon einmal eine solche Ankündigung durch den sachsen-anhaltinischen Innenminister Holger Hövelmann für Wirbel sorgte. Doch sein Plan, eine dereinst 47-seitige Expertise über die NPD öffentlich zu machen, scheiterte am damals starken Protest seiner CDU-Amtskollegen. Daraufhin fiel unter den SPD-Amtskollegen die Entscheidung, ihre Zitatsammlung eigenständig auszubauen.

"Wer nach Gründen sucht, die NPD zu verbieten, wird hier fündig", erklärte Holger Hövelmann. Die Materialsammlung belege klar "die verfassungsfeindliche Ausrichtung der NPD, ihre ideologische Kontinuität zum Nationalsozialismus und ihre aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber dem demokratischen Staat und dem Grundgesetz". Die Partei strebe nachweislich eine eigene totalitäre Herrschaft an und verfechte einen offenen Rassismus.

Die unionsregierten Länder halten dagegen weiter an einem Nichtverbot der NPD fest. Zum einen hält die Unions die Demokratie mittlerweile für wehrhaft genug, um die NPD mit Sachargumenten "zu entzaubern". Und sie Sie baut lieber auf die zahlreichen V-Männer der Verfassungsschutzämter, die bereits in NPD-Gremien sitzen, um die Kontrolle über die Rechtsextremen zu behalten - ein zwielichtiges Vorgehen, denn wie politisch aktiv sind diese V-Leute selber?

Das Podium mit Innenpolitikern
Das Podium mit Innenpolitikern

Vier der fünf SPD-Innenminister hatten schon im Umfeld der letzten Innenministerkonferenz kundgetan, keine V-Leute mehr in Bundes- und Landesvorständen oder vergleichbaren NPD-Gremien einzusetzen, dies relativierten sie heute. V-Männer würden erst abgezogen, sowie ein Verbotsverfahren beantragt würde, versprach Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann.  Die SPD-Innenminister hoben in diesem Zusammenhang hervor, dass kein Zitat in der 92-seitigen Publikation aus V-Mann-Federn stamme. Damit solle dann den Auflagen des Bundesverfassungsgerichts für ein Verbotsverfahren Rechnung getragen werden. Dieses Verbotsverfahren war im März 2003 gescheitert, weil sich das Bundesverfassungsgericht außerstande sah zu beurteilen, ob die zahlreichen staatlichen V-Leute in der NPD nicht mitverantwortlich am verfassungsfeindlichen Auftreten der rechtsextremen Partei sind. 2003 galt rund ein Siebtel aller NPD-Funktionäre zugleich als Verfassungsschützer. Über den aktuellen Anteil wollte sich keiner der anwesenden Innenpolitiker äußern.

Holger Hölvelmann
Holger Hölvelmann

Die fünf SPD-Minister begründen den Vorstoß,  ihre Materialsammlung über die NPD heute zu veröffentlichen, im Vorwort der Dokumentation folgendermaßen:

"Unsere Verantwortung als Innenminister und -senatoren ist es darüber hinaus aber auch zu beobachten, ob die Umtriebe der NPD gegen die Demokratie eine kritische Schwelle überschreiten. Wir zeigen mit dem hier präsentierten Material, das ausschließlich aus öffentlich zugänglichen Quellen stammt: Bei der NPD kommen ein systematisches Vorgehen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, ein ungebrochenes Verhältnis zur Gewalt- und Willkürherrschaft des Nationalsozialismus und eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung zusammen".


Das bedrohliche Potential der NPD werde mit der Dokumentation auf aktuellem Sachstand aufgezeigt. Ziel sei es,  "einen erneuten Anstoß für die politische Debatte geben". Mehr sei gegenwärtig nicht zu leisten. "Wir führen hier mit dieser Veröffentlichung ein Teil des politischen Kampfes gegen die NPD, nicht den juristischen", sagte Berlins Innensenator Körting.  Bei der Dokumentation handle es sich "nicht um einen Vorentwurf für ein neues Verbotsverfahren, sondern um einen Beitrag zur Aufklärung. "Insofern bedauere ich, dass die anderen Bundesländer sich schon verweigert haben, Quellenmaterial zusammenzustellen", beklagte Körting.  Auch die DVU sehe er in der Tradition der NPD, sagte Körting. In vielen Punkten passe "kein Aktendeckel" zwischen beide Rechtsaußen-Parteien.

Kritik kam zunächst nicht etwa von Seiten der NPD, sondern aus der Fraktion der Linken. Die Bundestagsabgeordnete
der Linken, Ulla Jelpke, kritisierte die Halbherzigkeit, mit der von der SPD ein Verbotsverfahren gefordert würde, ohne aber mit dem Abzug von V-Leuten in Vorleistung zu gehen. Auch die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Monika Lazar kritisierte, wie dem V-Mann-Problem ausgewichen worden sei und appellierte:  "In diesem Jahr besteht die Chance, die NPD aus dem sächsischen Landtag zurückzudrängen und ihr deutschlandweit durch schlechte Wahlergebnisse eine Abfuhr zu erteilen. Diese Chance sollten alle demokratischen Parteien nutzen und aktiv dafür werben, demokratisch zu wählen. Wir müssen den Kampf gegen die NPD an den Wahlurnen gewinnen und nicht vor dem Bundesverfassungsgericht."

Eher peinliches kam indessen aus dem Innenministerium Bundesinnenminister Schäuble (CDU) lehnte den neuen SPD-Vorstoß  postwendend als „unseriös“ ab. Jede Präsentation solchen Materials sei letztlich „eine verkappte Werbeveranstaltung für die NPD“, sagte sein Sprecher. Auch die jetzt vorgelegte Dokumentation könne außerdem teilweise auf V-Leute zurückgehen. Damit bestätigte das Innenministerium indirekt, was Beobachtern seit langem schwant: Die NPD ist zum Teil ein Konstrukt der deutschen Innenpolitik. NPD-Parteichef Udo Voigt sei allerdings kein V-Mann", schloss die sozialdemokratische Innenministerrunde bei ihrer Pressekonferenz aus. Zumindest nicht aus SPD-regierten Bundesländern. 


Die Dokumentation "Verfassungsfeind NPD" gliedert sich in folgende Unterkapitel:

1 Angriffe auf die freiheitliche demokratische Grundordnung 4
1.1 Äußerungen gegen die Menschenrechte 5
1.1.1 Völkischer Kollektivismus, aggressiver Nationalismus 7
1.1.2 Fremdenfeindlichkeit, Rassismus 12
1.1.3 Antisemitismus 21
1.2 Äußerungen gegen demokratische Institutionen und Akteure 25
1.2.1 Revolutionäre Überwindung des „Systems“,
Anstreben eines „anderen Staates“
1.2.2 Ablehnung von Parteien und Parlamentarismus 32
1.2.3 Diffamierung des Rechtsstaats 36
1.2.4 Delegitimierung der Bundesrepublik Deutschland und des Grundgesetzes 42
2 Verhältnis zur Gewalt- und Willkürherrschaft des Nationalsozialismus 45
2.1 Revisionismus 45
2.1.1 Grenzrevisionismus 47
2.1.2 Leugnung bzw. Relativierung deutscher Kriegsschuld 49
2.1.3 Leugnung bzw. Relativierung des Holocaust 51
2.2 Wesensverwandschaft mit dem Nationalsozialismus 56
2.2.1 Nationalsozialistische Diktion 56
2.2.2 Verherrlichung von historischem Nationalsozialismus und Faschismus 61
2.2.3 Glorifizierung von Repräsentanten des Dritten Reichs 62
3 Aktiv kämpferische, aggressive Haltung 67
3.1 Strategische Fragmente und ihre operative Umsetzung 68
3.1.1 „Völkische Graswurzelrevolution“ 69
3.1.2 Drei- bzw. Vier-Säulen-Strategie 70
3.2 Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Organisationen und
Milieus 73
3.2.1 „Volksfront von rechts“ 73
3.2.2 „Deutschlandpakt“ 81
3.2.3 Internationale Kontakte 81
3.3 Verhältnis zur Gewalt und Straftaten von Mitgliedern 82
3.3.1 Sprachliche Militanz, Befürwortung von Gewalt 83
3.3.2 Politisch motivierte Kriminalität von Mitgliedern

Hier der Link zum Download des kompletten Papiers auf der Website des Innenministeriums Sachsen-Anhalt:

Mehr zur Debatte über ein NPD-Verbot: bpb.de
Ohne Pressefreiheit -  Eindrücke vom NPD-Bundesparteitag 2009: MUT, 30.3.2009

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Titelfoto: Hinter bürgerlicher Fassade - Hoffest der NPD am 1. Mai in Berlin-Köpenick / hk

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Im Hof der NPD am 1. Mai