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Im Real-Life schlimmer

Die steigende Anzahl von Internetauftritten der deutschen Neonaziszene sorgte im August für ein breites Presseecho. Im Blickpunkt auch der "Missbrauch" von sozialen Onlinenetzwerken. Dabei handelt es sich doch eher um den "Gebrauch" eines Kommunikationsmittels. Alle nutzen dies - auch Nazis. Außerdem ist unklar, ob die gemeldeten Zahlen in diesem schnell expandierenden Medium tatsächlich eine neue Dimension rechter Propaganda darstellen. Auch qualitativ fehlt es meist an Analysen, ob und wie die rechte Internetpräsenz über die Szene hinaus Wirkung entfaltet.
 
Internetleichen und Kommerz
Aus der hiesigen Neonazi-Szene befinden sich derzeit an die 50 Webauftritte von Gruppen, Versänden, Bands und Informationsangeboten online. Bei etwa der Hälfte handelt es sich allerdings um Internetleichen. Christian Deichen, NPD Abgeordneter in Wolgast, betreibt beispielsweise allein vier Websites mit rechten Inhalten, die samt und sonders weder aktualisiert werden, noch sich bemerkenswertem Zuspruch erfreuen. Kaum jemand verirrt sich auf die Verschwörungsseite Anos, die mit dem Reichadler verzierte Seite des Nationalen Presswerks oder auf BraSei, was wohl "braune Seiten" heißen soll und das rechte Pendant zum Gelben Branchenbuchmarktführer simuliert. Was die 20 Präsenzen von Neonazi-Organisationen betrifft, täuscht auch hier die reine Zahl, werden doch nur 10 von ihnen aktualisiert. Zum Teil entfalten Gruppen wie die Kameradschaft Neubrandenburg, Avanti Stralsund oder die Autonomen Nationalisten Schwerin auch im wirklichen Leben keine Aktivitäten mehr. Aber auch der noch existierende Kulturkreis Pommern hat seinen Internetauftritt seit über einem Jahr nicht mehr gepflegt. Das Soziale und Nationale Bündnis Pommern (SNBP) und die Initiative für Volksaufklärung (IfV) präsentieren schon ab Juni keine eigenen Inhalte mehr. Ein Grund dafür, zumindest beim SNBP, könnte das Verbot der der Mecklenburgischen Aktionsfront sein. Möglichweise werden die Internetseiten von Fotos und Beiträgen der Organisation bereinigt. Solange wird auf die Seiten der NPD verwiesen, allerdings wurden schon in den Vormonaten meist Parteimeldungen veröffentlicht. Kommerzielle Interessen scheinen die rechten "Netzmeister" da mehr zu motivieren. Von 11 Internetversänden werden wohl noch 8 aktiv betrieben.
 
Leicht verfügbare Zitate-Fabrik
In der Qualität der Internetangebote treten deutliche Unterschiede zu Tage. Am professionellsten stellen sich erwartungsgemäß die Seiten der Landtagsfraktion und des Landesverbandes der NPD dar. Das Layout entspricht dem Corporate-Design der Bundespartei und dürfte zumindest auf den ersten Blick auch szeneexterne User nicht abschrecken. Regelmäßige Aktualisierung mit Meldungen zu bundesweiten, regionalen und lokalen Themen zeigen, dass in der Partei die Internetpropaganda ernst genommen wird. Auch den Kurznachrichtendienst Twitter hat der Landesverband für sich entdeckt. Hinzu kommt, dass die NPD auf Transparenten, Flugblättern und den eigenen Zeitungen versucht, neue Leser und Leserinnen für ihr Onlineangebot zu akquirieren. Während die NPD ihre Seiten mit Landschaftsbildern gestaltet, wird das Kameradschaftsspektrum deutlicher. Die Nationalen Sozialisten Rostock illustrieren ihre Website mit einer vermummten Kameradin, die Aktionsgruppe Boizenburg mit einem trommelnden Hitlerjungen und dem Spruch "Nationaler Sozialismus bis in den Tod". Die chaotische Internetseite vom Widerstand Wittenburg Waschow wird mit Rechtsrock untermalt. Die gestalterische Ausrichtung, Beiträge und Kommentare von Nutzern machen den Eindruck, dass es sich bei diesen Kameradschaftsseiten um szeneinterne Informationsangebote handelt, die eher der Selbstvergewisserung als der Werbung neuer AnhängerInnen dient. Zweifellos die höchsten Zugriffszahlen dürfte die deutsche Präsenz des internationalen Neonaziportals Altermedia für sich verbuchen. Hinter dem Projekt wird u.a. der Stralsunder Axel Möller vermutet, der sich bislang aber rechtlich nicht für die Seite verantwortlichen machen ließ. Der bzw. die Betreiber betonen regelmäßig einen journalistischen Anspruch der Internetseite. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um eine Online-Zeitung, die eigene Inhalte produziert, sondern eher um einen Blog. Zeitungsberichte, Meldungen von Neonazigruppen, Bilder und Videos werden anderswo kopiert und mit persönlichen Einschätzungen versehen veröffentlicht. Da die "Schriftleitung" mehrmals täglich neue Meldungen einstellt, fungiert Altermedia dennoch als Infoportal der rechten Szene. Die große Leserschaft beruht aber auch auf dem polarisierende Attitüde der Betreiber Die eigenen Bemerkungen enthalten meist ätzende Kritik an Aktionen von Neonazi-Parteien und Kameradschaften. Das hatte Sabotage-Vorwürfe und die fast vollständige Isolation in Mecklenburg-Vorpommerns rechter Szene zur Folge. Dennoch werden Altermedia-Beiträge mit zum Teil hunderten Kommentaren versehen. Die anonymen Wortmeldungen von Machern und Nutzern der Seite sind durch ihre unverhohlenen und aggressiven antisemitischen, rassistischen, homophoben und sexistischen Inhalte gekennzeichnet. Das führt dazu, dass offenbar auch für Polizei, Verfassungsschutz, Medien, Wissenschaft, Antifas und Bürgerinitiativen Altermedia zur alltäglichen Lektüre gehört und somit als leicht verfügbare Zitate-Fabrik und Recherche-Quelle genutzt wird. Dies wird dann kritikwürdig, wenn Informationen nicht mehr mit realen Vorgängen abgeglichen werden und letztendlich nur Werbung für die Hetzseite betrieben wird.
 
Schwarze Sonne und Babyfoto

Die Anzahl von aktuellen Neonazi-Websites aus Mecklenburg-Vorpommern ist überschaubar. Weit weniger offensichtlich stellen sich die Aktivitäten der rechten Szene im Dschungel des sogenannten Web 2.0 dar. Darunter fallen Communities, Blogs, Kontaktbörsen oder Videoplattformen. Im Gegensatz zu den meist statischen Websites geht es hier nicht um die Einbahnstraße zwischen Seitenbetreibern und SeitennutzerInnen, sondern um Vernetzung und Austausch der Internetuser untereinander. Ohne große Vorkenntnisse können hier Menschen am Online-Leben teilhaben und eigene Inhalte veröffentlichen. Im Bereich der sozialen Netzwerke ist in Mecklenburg-Vorpommern die Plattform NB-TOWN mit fast 120.000 persönlichen Profilen einer der größeren Anbieter. Bei NB-TOWN haben sich auch hunderte offensichtlich rechtsradikal orientierte Mitglieder aus dem ganzen Bundesland angemeldet. Diese tun zunächst einmal nur das, was auch andere tun: sich und ihre Hobbys vorstellen, Bilder von sich veröffentlichen, sich gegenseitig auf ihre Freundeslisten setzen, Einträge in Gästebüchern hinterlassen und anderen Mitgliedern Nachrichten schreiben. Dabei ist es vielen augenscheinlich sehr wichtig, ihrer Gesinnung unmissverständlich Ausdruck zu verleihen. Dies beginnt bei der Namenswahl, wie etwa bei "WeiSSer HaSS" oder durch in der Szene übliche Zahlenkryptographie alá "14WOTAN88". In der Rubrik "Kotzen könnte ich bei:" tauchen regelmäßig Punks, Ausländer, Antifa und das "Scheiss System" auf. Die eigene Profil-Seite wird in vielen Fällen mit eindeutiger Symbolik dekoriert und in den Galerien finden sich zwischen Bildern vom Haustier und dem Auto auch rechte Propaganda und Kameradschaftsbilder. "88_Basti_88" wählte beispielsweise als Profilfoto ein Babybild seines Sohnes - den Hintergrund gestaltet er mit gekreuzten Pistolen und dem Spruch "Hasta la vista Antifascista". Aber auch viele Mädchen und Frauen beziehen Stellung, wie die 19jährige "DeUtScHeStImMe" aus Bad Sülze, die ihre Userpage mit der so genannten Schwarzen Sonne2 schmückt. Die NB-TOWN User haben zudem die Möglichkeit Lobbys zu erstellen bzw. diesen beizutreten. Und so finden sich auch von rechter Seite diese Interessengemeinschaften, beispielsweise mit Titeln wie "Punks not dead aber wir arbeiten daran", "Gedenken an Michael Müller"* oder "Freundschafskreis"** von den Neustrelitzer Patrioten. Die Offenheit mit der das eigene "Nazi sein" nach außen dargestellt wird, mag dabei verwundern. Doch wird hier letztendlich nur online illustriert, was an vielen Orten im Land zum Alltag gehört.
 
"bevor diese N!§§ER mich wieder kicken"
Den Anbietern solcher Communities bleibt dieser Teil ihrer Kundschaft nicht verborgen. NB-TOWN beispielsweise untersagt rechte Propaganda und entfernt entsprechende Userpages. Die Plattform bietet seinen Mitgliedern außerdem eine "Verpfeifen"-Funktion an, um problematische Profile zu melden. So sind die Seite von "88anja88" und viele andere gesperrt. Mit mäßigem Erfolg - die Betroffenen nehmen dies entweder sportlich und geben als Hobby an: "Mich zum zehnten Mal bei NB-Town anmelden" oder verzichten auf allzu aggressive Inhalte "bevor diese N!§§ER mich wieder kicken". Auf das Entfernen ihrer Profile reagiert die Szene auch mit Versuchen eigene Communities einzurichten. Unter dem Namen "VEREINT - Wir Kämpfen gemeinsam für das Land das wir Lieben"** haben sich ein paar dutzend Rechte aus Mecklenburg-Vorpommern beim Anbieter Yooco zu einer Online-Kameradschaft zusammengeschlossen. Allerdings ist auf dieser Plattform kaum noch jemand online. Mehr als 1000 Mitglieder hat hingegen, die nach eigenen Angaben " verhassteste Online-Community", der NS-Treff. Werbebanner für den Rostocker Naziladen Dickkoepp, das Geschäft Nordlicht in Gnoien oder den Pommerschen Buchdienst in Anklam begrüßen die Besucherinnen und Besucher der Seite. Hier muß weniger Zurückhaltung geübt werden und man kann sicher sein, nur auf Gleichgesinnte zu treffen. Diese quasi "national befreite" Internetzone dürfte weit mehr Möglichkeiten als beispielsweise NB-TOWN für eine identitätsstiftende und vernetzende Wirkung innerhalb der rechten Szene bieten.
 
Nebenan statt World Wide
Dennoch bewegt sich ein Großteil der Szene weiter in den bekannteren Social Networks, weil er nicht nur mit GesinnungsgenossInnen, sondern auch mit unpolitischen FreundInnen in Verbindung bleiben will. Insgesamt scheint es den rechten NutzerInnen also hauptsächlich um die Pflege sozialer Kontakte zu gehen. Diese sozialen Netzwerke hätten zwar theoretisch das Potential von der rechten Szene für die Unterstützung eigener Strukturen, Mobilisierung und Agitierung anderer User genutzt zu werden. Gemessen an der hohen Anzahl rechter Mitglieder, gibt es dafür aber (noch) wenige Anzeichen. Obwohl im World Wide Web unterwegs, scheinen sich die meisten User online nur mit Menschen zu "treffen", die sie schon aus dem lokalen Freundeskreis kennen. Sicher werden linke Communitymitglieder angepöbelt, in Lobbys agitiert und es sind Einzelfälle bekannt, bei denen Neonazis den Kontakt zu anderen Mitgliedern von NB-TOWN suchen, um ins Gespräch zu kommen und für rechtsradikale Positionen zu werben. Ob dies in größerem Ausmaß geschieht, ist fraglich und der Erfolg ungewiss. Inhaltlich finden die Neonazis mit der Parole "Todesstrafe für Kinderschänder" noch am ehesten Zuspruch, weil auch andere Teile der Community bei diesem Thema ihren Lynchphantasien Ausdruck verleihen. Bei einer kurzen Demonstration am 15. August, die die Todesstrafe für einen in Malchow wohnenden Sexualstraftäter forderte, blieben die anwesenden 25 Neonazis dann aber wieder unter sich.
 
Nicht einfach wegzuklicken
Unbestritten darf die Bedeutung des Internet gerade für die rechte Subkultur nicht unterschätzt werden. Jüngere Menschen können in Netzwerken ohne große Hürden in die Szene "eintreten". Zwar überwiegt bei den hiesigen Führungsstrukturen meist die Zurückhaltung vor allzu großer Öffentlichkeit, aber auch sie nutzen die Möglichkeiten der Communities in gewissem Maße. Vor Rechtsrockkonzerten oder Aktionen wird auch über das Internet mobilisiert. Die Seite Nationale Strassenkunst bietet Layoutmaterial für Desktophintergründe oder Profilgestaltung an. Und bei You Tube läd das aus Mecklenburg stammende Projekt Der Nationale Gedanke wiederholt propagandistisch gestaltete Videobeiträge von Aufmärschen hoch. Aber zum einen gibt es auch im Netz Gegenwehr, bei NB-TOWN beispielsweise mehrere Dutzend Anti-Nazi-Lobbys. Zum anderen handelt es sich um virtuelle Aktivitäten der rechten Szene. Im Real-Life hingegen stellt sich die Situation für Menschen, die zu den erklärten Feindbildern dieser rechten User gehören, häufig schlimmer dar. Ausgrenzung, Bedrohung und Gewalt lässt sich hier nicht so einfach wegklicken.
 
* rechter Liedermacher
** Fehler im Original

 

 

Foto: Screenshot des NPD-Twitterprofils; Text: Perspektiven - Rundbrief der LOBBI / Herbst 2009 (als PDF), mit freundlicher Genehmigung von LOBBI übernommen. Der Text findet sich auch auf deren Website.

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