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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Neonazis sind in allen sozialen Netzwerken aktiv, um dort ihre menschenverachtenden Botschaften zu verbreiten. Heute startete eine von Netz-gegen-Nazis.de initiierte Kampagne, mit der sich 20 Betreiber gegen Nazis positionieren wollen.
Von Robert Fähmel
Soziale Netzwerke sind ein digitales Abbild der Gesellschaft. Alle haben im Web 2.0 die Möglichkeit, sich mit wenigen Mausklicks ein Profil anzulegen und mit anderen Userinnen und Usern zu vernetzen. Ebenso wie im wahren Leben gibt es auch im Netz schwarze Schafe, die sich menschenverachtend äußern und die Plattformen für ihre Zwecke missbrauchen. Nun hat Netz-gegen-Nazis.de, das Informationsportal von DIE ZEIT und Amadeu Antonio Stiftung, die Kampagne „Soziale Netzwerke gegen Nazis“ gestartet, mit der sich 20 große und kleine Netzwerke gegen Nazis positionieren wollen.
„Soziale Netzwerke haben Recruiting-Potenzial“
Das Internet ist dank seiner schnellen und unmittelbaren Kommunikation, die sich noch dazu leicht anonymisieren lässt, zum Standardmedium von Neonazis geworden. So muss beispielsweise die Schulhof-CD der NPD nicht mehr umständlich produziert und aufwändig verteilt werden. Mit wenigen Klicks lassen sich menschenverachtende Inhalte per Musik oder Video online verbreiten. Von Video- oder Musikportalen werden die Links dann in sozialen Netzwerken verbreitet, um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen. Aber auch argumentativ treten Neonazis in sozialen Netzwerken in Erscheinung. „In der Regel handelt es sich um 'Rechtsextremisten auf den 2. Blick' - ein User nennt sich ‚heimattreu’, Mütter in Elterngruppen argumentieren plötzlich rassistisch. Und natürlich äußern sich Rechtsextreme in politischen Diskussionsgruppen - oft geschickt“, stellt Lucas Lehmann von den VZ-Netzwerken fest. „Soziale Netzwerke haben für Rechtsextreme ganz klar Recruiting-Potenzial“, so Lehmann weiter.
Um dieses Potential zu nutzen, rief die NPD in ihrem Parteiorgan „Deutsche Stimme“ dazu auf, sich in sozialen Netzwerken zu engagieren. So heißt es dort: „Das Profil sollte möglichst einen offenen Menschen beschreiben, einen Menschen mit Humor, Beruf, Hobbys, ernstzunehmenden Interessen, Literatur- und Musikgeschmack.“ Neonazis müssen also nicht zwangsläufig durch offene NS-Propaganda auffallen, sondern geben sich mitunter als unauffällige, nette Gesprächspartner. Wirkliche Bekanntschaften zu knüpfen, dürfte sich aber für Neonazis schwierig gestalten. Soziale Netzwerke sind gewachsene Strukturen, die vom Miteinander der verschiedenen Nutzerinnen und Nutzer leben. Ein solches Netzwerk einfach zu unterwandern, scheint daher schon im Ansatz unmöglich.
Repression kein Allheilmittel
„Es ist schwierig, rechtsextreme Inhalte zu identifizieren, weil sie inzwischen subtiler vorgehen“, stellt Karin Rothgänger von wer-kennt-wen fest. Ein Eindruck, den die anderenNetzwerke bestätigen können. Einmal in Diskussionsforen aktiv, fahren Neonazis eine Wortergreifungsstrategie und knüpfen an latenten Rassismus in Gesprächen an. So bieten beispielsweise Diskussionen über Integration oder soziale Missstände den idealen Nährboden, um sich als vermeintliche Alternative zu präsentieren. Auch die Masse der permanent veröffentlichten Inhalte macht eine Kontrolle durch die Betreiberinnen und Betreiber schwierig. So werden beispielsweise auf der Plattform youtube jede Minute ca. 24 Stunden Videomaterial hochgeladen – eine unüberschaubare Masse. Um diese Masse kontrollieren zu können, arbeiten alle Betreiberinnen und Betreiber an technischen Lösungen, um kritische Inhalte schon vor Veröffentlichung zu verhindern. Neben Wortfiltern, die die Anmeldung mit einschlägigen Nutzernamen verhindern, gibt es auch Ansätze für Filter, die Inhalte auf hochgeladenen Bildern erkennen können. Obwohl alle an der Kampagne beteiligten Betreiberinnen und Betreiber nach eigenen Angaben speziell geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsetzen und eine rigorose Löschpolitik betreiben, nimmt die Aktivität von Neonazis zu. Dass alleiniges Löschen von Inhalten nicht ausreicht, zeigt eine Statistik von jugendschutz.net, nach welcher die Zahl der Neonazi-Internetseiten gegenüber 2009 schon im August 2010 um 10 Prozent gestiegen war. Im gleichen Zeitraum verdreifachte sich die Zahl menschenverachtender Beiträge in sozialen Netzwerken.
Aktive Nutzerinnen und Nutzer gefragt
Da noch kein technisches Hilfsmittel kritische Tendenzen oder Zwischentöne in Diskussionen erkennen kann, sind in erster Linie aktive Nutzerinnen und Nutzer gefragt, diese zu melden, damit die Netzwerke entsprechende Schritte einleiten können. Wichtiger als das Melden ist jedoch das aktive Einschreiten, meint auch Simone Rafael von Netz-gegen-Nazis. „Es wird nicht reichen, dass Inhalte gelöscht werden. Wichtiger ist die Botschaft, dass den Inhalten widersprochen werden muss. Sonst bleiben Zweifel, ob nicht vielleicht doch etwas dran ist.“ Dass es aber vor allem im Freundeskreis schwer ist, direkt zu widersprechen, wenn ein Freund rassistisch agiert, betont Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Es gebe eine Angst vor Isolation und Ausschluss aus dem Freundeskreis, weshalb das Ziel sei „auch im Internet eine kompetente Zivilgesellschaft fit zu machen.“ Schülerinnen und Schülern müsse daher eine stärkere Kompetenz für das Internet vermittelt werden. In ihrem Selbstverständnis sehen viele der Netzwerkbetreibenden diese Verantwortung bei sich selbst. Deswegen sei die Teilnahme an der Kampagne „Soziale Netzwerke gegen Nazis“ für sie auch selbstverständlich. Da in den Netzwerken grundsätzlich Meinungsfreiheit herrsche, sei es nicht immer leicht, kritische Situationen in Diskussionen zu unterbinden, ohne die Meinungsfreiheit anzutasten. „Aus diesem Grund haben wir unsere moralische Wertvorstellung im Verhaltenskodex verankert, die nicht nur an das Gesetz gebunden ist“, sagt Sven Markschläger von den VZ-Netzwerken. Auch Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner betont: „Die Unternehmen haben im doppelten Sinne das Hausrecht auf ihrer Seite.“
Aktionswoche gegen Nazis
Um die Nutzerinnen und Nutzer für das Problem zu sensibilisieren, haben sich die teilnehmenden Netzwerke auf eine Aktionswoche vom 11. bis zum 17. Oktober 2010 geeinigt, in der sie die Kampagne prominent bewerben wollen. In Gruppen und Aktions-Profilen bekommen die Mitglieder die Möglichkeit, sich zum Thema auszutauschen. Simone Rafael: „Auch bei Netz-gegen-Nazis melden sich immer wieder Mitglieder sozialer Netzwerke, die unsicher sind wie sie mit rechtsextremen Inhalten umgehen sollen. Teilweise bleiben auch Inhalte stehen, obwohl sie gemeldet wurden.“ Mit der Kampagne „Soziale Netzwerke gegen Nazis“ erhalten engagierte Nutzerinnen und Nutzer endlich die lange gewünschte Rückendeckung durch die Netzwerke. Diese wiederum verpflichten sich mit der öffentlichen Wahrnehmung durch die Kampagne zu einem langfristigen Engagement gegen Neonazis, denn wenn es nur bei Lippenbekenntnissen bleibt, werden die Userinnen und User das Vertrauen in ihre Netzwerke verlieren. Dass mit der Kampagne neonazistisches Gedankengut komplett aus den Netzwerken verdrängt wird, ist wohl eine Illusion.
Anetta Kahane betont aber: „Die Zusammenarbeit mit den sozialen Netzwerken ist nur ein erster Schritt. Die Kampagne ist ein Anfang und nicht die Lösung für alle Probleme.“