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Das Bundesverwaltungsgericht hat ein wegweisendes Urteil gefällt. Die oberfränkische Stadt Wunsiedel hat mit Recht 2005 den Aufmarsch mehrerer Tausend Neonazis verboten, die dort Rudolf Hess ehren wollten. Der ehemalige Hitler-Stellvertreter liegt in Wunsiedel begraben. Die Richter bezeichneten die in Wunsiedel geplante "Glorifizierung der Person Rudolf Heß als Billigung des nationalsozialistischen Regimes in allen seinen Erscheinungsformen und damit auch als Gutheißen der von diesem Regime ausgeübten Gewalt- und Willkürherrschaft". Verlierer des Verfahrens ist der Hamburger NPD-Chef Jürgen Rieger, der die Heß-Aufmärsche auf Jahre im voraus in Wunsiedel angemeldet hat. Er kann allerdings noch das Bundesverfassungsgericht anrufen. MUT veröffentlicht die Kurzfassung des Urteilsspruchs.
Seit dem 18. August 1987 - an dem der Kriegsverbrecher und Hitler-Stellvertreter Heß im alliierten Gefängnis in Berlin-Spandau Selbstmord verübte - entwickelte sich die bayerische Stadt Wunsiedel unfreiwillig zum Mekka der rechtsextremen Szene. Heß wurde dort aus Gründen der christlichen Barmherzigkeit im Familiengrab seiner Vorfahren beigesetzt. Er selbst hatte in Wunsiedel aber nie gelebt. Sein Grab missbrauchen Neonazis und deren Sympathisanten um Wunsiedel als "Wallfahrtsort" zu etablieren und dort den Kriegsverbrecher Heß zum Märtyrer zu stilisieren. 2001 bis 2003 hatten Gerichte die "Heß - Demonstrationen" für zulässig zu erklären, 2004 strömten sogar 5000 Rechtssextreme aus ganz Europa in den Ort.
Seitdem machten jedoch eine hellwach gewordene Zivilgesellschaft vor Ort und ein juristisch pfiffiges Landratsamt diese Aufmärsche unmöglich. Angeführt von einer einfallsreichen Jugendinitiative (siehe Foto) blockieren die Bürger jeweils ihre Stadt mit einem Tag der Demokratie. Und die Verwaltungsjuristen setzten juistische Verbote der Neonaziaufmärsche durch. Damit haben Sie jetzt nachträglich Recht bekommen. Am Abend des 25. Juni 2008 veröffentlichte das Bundesverwaltungsgericht nachfolgende Entscheidung unter der Überschrift "Das Verbot der Versammlung "Gedenken an Rudolf Heß" war rechtmäßig".
Collage beim Demokratiefest in Wunsiedel (MUT-Foto: Kulick)
Die Begründung der Richter liest sich wie folgt:
"Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass das Verbot der Versammlung mit dem Thema "Gedenken an Rudolf Heß" an dessen Begräbnisort Wunsiedel/Fichtelgebirge im Jahr 2005 rechtmäßig war. Das Verbot war in erster Linie darauf gestützt worden, dass bei Durchführung der Versammlung mit Verstößen gegen § 130 Abs. 4 StGB (Volksverhetzung) zu rechnen sei. Die dagegen gerichtete Klage war vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof erfolglos. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.
§ 130 Abs. 4 StGB lautet:
"Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt."
Das Bundesverwaltungsgericht bejaht die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung. Sie greift zwar in den Schutzbereich der in Art. 5 Abs. 1 GG grundrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit ein. Der Eingriff ist jedoch gerechtfertigt, weil die Strafrechtsnorm die Meinungsfreiheit in zulässiger Weise, nämlich zum Schutz des öffentlichen Friedens und der Menschenwürde der Opfer und ihrer Nachkommen, einschränkt.
Die Versammlungsbehörde hat beim Erlass der angefochtenen Verfügung zutreffend mit Verstößen der Versammlungsteilnehmer gegen § 130 Abs. 4 StGB gerechnet, die sie durch das Versammlungsverbot rechtmäßig verhindert hat.
Mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit wären die die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft kennzeichnenden schweren Menschenrechtsverletzungen gebilligt worden. Im Rahmen der Veranstaltung wäre die Person Rudolf Heß in einer besonderen Weise positiv bewertet worden. Dies ergibt sich aus Äußerungen im Zusammenhang mit der streitigen Veranstaltung und mit entsprechenden Versammlungen, die in den Vorjahren jeweils anlässlich des Todestags von Rudolf Heß in Wunsiedel stattgefunden hatten.
Eine positive Bewertung kommt bereits in dem Motto der Veranstaltung zum Ausdruck ("Rudolf Heß: Seine Ehre galt ihm mehr als die Freiheit"). Rudolf Heß wird u.a. als "Märtyrer" bezeichnet, der "uns und der Welt ein Beispiel unbeugsamer Treue bis in den Tod" gab. Er wird als integre Person mit Vorbildfunktion dargestellt. Damit beschränkt sich die Glorifizierung nicht auf Teilaspekte seiner Person oder seines Handelns. Als "Stellvertreter des Führers" war Rudolf Heß ein exponierter Repräsentant und Akteur des nationalsozialistischen Regimes. Indem dargelegt wird, Rudolf Heß sei als Stellvertreter Adolf Hitlers in dessen Auftrag im Mai 1941 nach Großbritannien geflogen, um dort Friedensverhandlungen zu führen, wird er als ein treuer Gefolgsmann Hitlers vorgestellt und darüber hinaus das nationalsozialistische System insgesamt als friedenswillig verharmlost.
Bei der gebotenen Würdigung aller einschlägigen Äußerungen in ihrer Gesamtheit drängt es sich auf, dass die Glorifizierung der Person Rudolf Heß als Billigung des nationalsozialistischen Regimes in allen seinen Erscheinungsformen und damit auch als Gutheißen der von diesem Regime ausgeübten Gewalt- und Willkürherrschaft wahrgenommen worden wäre. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Menschenrechtsverletzungen ausdrücklich gebilligt worden wären; vielmehr reicht nach § 130 Abs. 4 StGB eine zwar verdeckte, aber gleichwohl – wie hier – für einen mit den Gesamtumständen vertrauten Beobachter klar erkennbare, einschränkungslose Billigung des nationalsozialistischen Regimes aus.
Mit der Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft wäre zudem eine Verletzung der Würde der Opfer dieser Herrschaft verbunden gewesen. Denn in der Billigung der verbrecherischen Untaten des Regimes, insbesondere der menschenverachtenden Verfolgung und Ermordung von Millionen Juden aus rassischen Gründen, liegt zugleich ein Angriff gegen die Menschenwürde sowohl der getöteten als auch der überlebenden Opfer.
Schließlich wäre bei Durchführung der Versammlung auch eine Störung des öffentlichen Friedens eingetreten, weil sie voraussichtlich weit über Wunsiedel hinaus Beachtung gefunden und insbesondere bei den überlebenden Opfern und bei den Nachkommen der getöteten Opfer die verständliche Furcht vor künftigen Angriffen auf ihre Menschenwürde und vor der gefährlichen Ausbreitung des zugrunde liegenden Gedankenguts ausgelöst hätte." (BVerwG 6 C 21.07 – Urteil vom 25. Juni 2008)
Am 16.8. wieder Tag der Demokratie in Wunsiedel
Auch in diesem Jahr findet am 16. August in Wunsiedel wieder ein Tag der Demokratie statt. Es sieht so aus, als haben die Wunsiedler diesmal einen besonderen Erfolg zu feiern - nicht nur das anhaltende Engagement der städtischen Zivilgesellschaft, sondern auch ein Urteil, das der Gemeinde beträchtlich weiterhilft.