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"Eine Vielzahl einschlägiger Rechtsverstöße"

Am Donnerstag wurde vor dem Landgericht Halle der Prozess wegen eines Brandanschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft in Sangerhausen fortgesetzt. Führende Mitglieder der rechtsextremen Szene wurden als Zeugen geladen.

Von der www.mobilen-opferberatung.de


Die Staatsanwaltschaft Halle wirft dem 24jährigen Christian K., dem 26jährigen Glenn K. und dem 26jährigen Danny R. vor, an dem frühen Morgen des 6. Januars 2007 aus drei Flaschen sog. Molotow-Cocktails hergestellt, diese mit dem Ziel Menschen zu töten in die Flüchtlingsunterkunft in der Morunger Straße geworfen und dadurch das Gebäude in Brand gesetzt zu haben. Die 21jährige Franziska Z. ist als Gehilfin angeklagt. Die drei afrikanischen Flüchtlinge, die zur Tatzeit in dem Haus schliefen blieben glücklicherweise körperlich unversehrt, leiden aber auch heute noch unter den psychischen Folgen des Anschlags.

Bereits zum dritten Mal wird Enrico Marx, ein überregional bekannter und langjährig aktiver Neonazi aus Sotterhausen, vor Gericht als Zeuge gehört. Die vier Angeklagten kamen in der Tatnacht von einer Feier auf dem Grundstück von Marx und zählen zum Teil zu dessen engeren Bekanntenkreis. Unter dem Namen "Zum Thingplatz" dient das Gehöft als Szenetreffpunkt für Rechtsextreme und SympathisantInnen. Im März 2006 wurde dort der "Stützpunkt Sangerhausen" der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD, gegründet. Erst vor kurzem wurde Enrico Marx seine gewerbliche Tätigkeit, die u. a. im Musik-Versandhandel unter dem Label "Barbarossa-Records" und Veranstaltung von Rechtsrock-Konzerten bestand, vom Oberverwaltungsgericht Magdeburg vorläufig untersagt. Grund ist die mit der Tätigkeit verbundene "Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus und die Verbreitung neonazistischen Gedankenguts", heißt es im Beschluss vom 13.09.2007. Insbesondere bei Veranstaltungen auf seinem Grundstück sei es zu einer Vielzahl von einschlägigen Rechtsverstößen gekommen, die er zumindest geduldet hat.

Das Gericht sah des Weiteren die Angabe, es handele sich bei den Veranstaltungen um private Feiern, als Schutzbehauptung an. Auch bei der Feier vom 5. auf den 6. Januar 2006 soll es sich laut dem Zeugen Marx nur um eine private Nachsylvesterfeier gehandelt haben. Seine Lebensgefährtin, Judith Rothe, ist nicht nur Mitglied des NPD-Landesvorstand Sachsen-Anhalt und stellvertretende Vorsitzende des Rings Nationaler Frauen (RNF), sondern seit der Kommunalwahl im April auch Abgeordnete der NPD im Kreistag des Landkreises Mansfeld-Südharz. Mit den Zeugenvernehmungen sollen die Hintergründe der Tat näher beleuchtet werden.

Als weiterer Zeuge ist für den 20. Dezember ein Richter am Amtsgericht Sangerhausen, geladen. Dieser hatte die richterliche Vernehmung der Angeklagten Franziska Z. nach ihrer Verhaftung durchgeführt.Die Fortsetzung des Prozesses findet im nächsten Jahr an folgenden Terminen statt: Montag 07.01.2008, 08.00 -- 08.30 Uhr / Freitag 11.01.2008, 09.00 -- 14.00 Uhr / Freitag 18.01.2008, 09.00 -- 14.00 Uhr / Montag 21.01.2008, 09.00 -- 16.00 Uhr / Dienstag 29.01.2008, 09.00 -- 16.00 Uhr.


Am Vortag: Fortsetzung des Prozesses von Halberstadt

Im zehnten Prozesstag sagten am Mittwoch (19.12.2007) zwei weitere Tatzeugen zum Angriff auf das Theaterensemble in Halberstadt aus. Die vier im Prozess angeklagten mutmaßlichen Angreifer kamen bereits Anfang Dezember auf freien Fuß.

Seit dem 9. Oktober 2007 wird am Amtsgericht Halberstadt, in den Räumen des Landgerichts Magdeburg, gegen die vier rechten Schläger verhandelt, denen vorgeworfen wird maßgeblich am brutalen Angriff auf ein 14-köpfiges Theaterensemble in Halberstadt am  9. Juni diesen Jahres beteiligt gewesen zu sein. Das Theaterensemble wurde nach der Premiere ihres in Thale aufgeführten Stückes „Rocky Horror Show“ in Halberstadt angegriffen. Dabei wurden fünf männliche Mitglieder des Ensembles durch Faustschläge und Fußtritte so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten.

Das zuständige Gericht hatte in der letzten Verhandlung am 5.12.2007, auf Antrag der Verteidigung, die Haftbefehle gegen David O., Tobias L. und Stefan L. aufgehoben und die Untersuchungshaft von Christian W. außer Vollzug gesetzt. Der Tatverdacht hätte sich im Laufe der Hauptverhandlung nicht weiter erhärtet. „Die Aufhebung der Haftbefehle kann nicht als Wende im Prozess um den Angriff auf das Theaterensemble in Halberstadt verstanden werden“, so ein Sprecher der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt. „Es ist keine Überraschung, sondern die Konsequenz einer dünnen Beweislage, die u.a. auf Ermittlungspannen der Polizei am Tatort und den blinden Aktionismus der Staatsanwaltschaft zurückgeht.“ Die VertreterInnen der Nebenklage, die im Prozess die Betroffenen des brutalen und rechtsmotivierten Angriffs vertreten, haben daher der Aufhebung der Haftbefehle bei drei der Angeklagten zugestimmt. Sie widersprachen allerdings entschieden, auch Christian W. aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Mutmaßlicher Haupttäter wiedererkannt

“Wie das Gericht zu der Einschätzung kommt, dass im Falle von Christian W. kein dringender Tatverdacht mehr besteht ist äußerst zweifelhaft.“, so ein Sprecher der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt. „Christian W. wird eine Einlassung zu Gute gehalten, die nach dem bisherigen Prozessverlauf längst widerlegt ist.“ Im Verlauf des Prozesses erkannten mehrere Opfer und Zeugen den 22-jährigen als mutmaßlichen Haupttäter wieder. Sie schilderten, dass er den ersten Schlag gegen die Theatergruppe ausgeführt habe und erst im Anschluss die umstehenden Mittäter wie auf Kommando auf das Theaterensemble losgegangen sind. In seiner Einlassung behauptet Christian W. u.a. provoziert worden zu sein und macht Angaben, die sich im bisherigen Prozessverlauf nicht bestätigt haben.

"Erhebliche Gewalteinwirkung"

Zu Beginn des zurückliegenden Prozesstages hatte die Gerichtsmedizinerin ausgesagt, die die Betroffenen und die vier Angeklagten nach dem brutalen Angriff untersuchte. Sie sprach bei den Betroffenen von teilweise verheerende Verletzungen, die auf eine erhebliche Gewalteinwirkung zurückzuführen sind und bei zwei der Betroffenen lebensgefährlich waren. Es sei durchaus möglich, dass mit Springerstiefeln auf einige der Betroffenen eingetreten wurde.

Bei den Angeklagten Christian W., David O. und Tobias L.
habe sie Verletzungen festgestellt, die auf das Austeilen von Faustschlägen seitens der mutmaßlichen Täter hindeuten könnten. Befragt nach Auffälligkeiten bei der Untersuchung der mutmaßlichen Angreifer gab sie an, dass sie bei Christian W., David O. und Tobias L. rechtsextreme Tätowierungen festgestellt und protokolliert habe. Bei Christian W. habe sie u.a. zwei tätowierte Hakenkreuze festgestellt, beim mutmaßlichen Angreifer David O. u.a. die Tätowierungen „Blut und Ehre“ sowie ein Hakenkreuz. Beim Angeklagte Tobias L. habe ebenfalls ein tätowiertes Hakenkreuz festgestellt und im Untersuchungsprotokoll vermerkt.

“Die Staatsanwaltschaft ist in der Pflicht, Konsequenzen aus dem bisherigen Prozessverlauf zu ziehen“, so ein Sprecher der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt. „Die Staatsanwaltschaft muss Nachermittlungen anordnen und weitere namentlich bekannte Tatzeugen vorladen. Ohne weitere Ermittlungen droht ein Debakel für den Prozess und der Freispruch von einigen der mutmaßlichen Angreifer.“


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Mehr über die bisherigen Prozesstage im Fall Halberstadt: >klick
 

 


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Gewalt in der Straßenbahn. Ein lehrreicher Prozess aus Dresden (redok, 19.12.):
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