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"Freibrief für Neonazis Gegner einzuschüchtern"

Das Amtsgericht Halle sprach am Mittwoch zwei Neonazis vom Vorwurf der Nötigung einer Prozessbeobachterin frei. Die Mobile Opferberatung kritisiert den Freispruch als „Freibrief für Neonazis politische GegnerInnen einzuschüchtern“. Das Verfahren war ein Lehrstück für Prozessstrategien der rechtsextremen Szene.

Zum Hintergrund: Am 22. Juni 2006 fand vor dem Verwaltungsgericht Halle eine Hauptverhandlung wegen der Beschwerde des u.a. als Veranstalter von Neonazi-Konzerten überregional bekannten Enrico M. gegen polizeiliche Maßnahmen auf seinem Grundstück in Sotterhausen statt. Zu der Verhandlung waren rund 30 bis 40 Neonazis aus ganz Sachsen-Anhalt und Thüringen angereist, darunter auch die beiden Neonaziaktivisten Matthias B.und Marcus G.

Kurz vor Beginn der Verhandlung wandte sich der damals 23-jährige B. an einen Polizeibeamten im Gerichtssaal mit der Behauptung, eine Prozessbeobachterin des Vereins Miteinander e.V. – der seit Jahren für sein unabhängiges Monitoring rechtsextremer Aktivitäten in Sachsen-Anhalt bekannt ist – habe angeblich in Halberstadt eine Körperverletzung begangen: ein mittlerweile klassisches Manöver von Neonazis, um persönliche Daten von ihnen missliebigen Personen zu erhalten und sie einzuschüchtern. B. verlangte dann auch von dem Polizisten die Personalienfeststellung der jungen Frau. Der Beamte weigerte sich, für die Neonazis tätig zu werden. Allerdings stand er nach Verhandlungsbeginn auf und erklärte, im Saal befände sich eine Person, die einer Straftat bezichtigt werde. Deshalb sei die Polizei unterwegs.

Die Prozessbeobachterin verließ daraufhin den Gerichtssaal. Im Flur des Amtsgerichts wurde die Betroffene dann von den Angeklagten B. und G. bedrängt, festgehalten und geschubst. Der jungen Frau gelang es schließlich, in ein offenstehendes Gerichtsbüro zu flüchten. Kurz darauf trafen Polizeibeamte ein, nahmen ihre Personalien auf und fuhren sie schließlich zu ihrer eigenen Sicherheit bis zum Halleschen Steintor.

Der Prozess am Amtsgericht Halle

Obwohl die Staatsanwaltschaft Halle bereits Mitte Oktober 2006 Anklage wegen Nötigung gegen Matthias B. und Marcus G. erhob, begann erst mehr als zwei Jahre nach der Tat - am 22. Oktober 2008 – die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Halle. Vor Gericht behaupteten die Angeklagten am ersten Prozesstag, sie hätten die Prozessbeobachterin ohne Anwendung von Gewalt lediglich mit Worten und indem sie ihr „den Weg versperrten“ am Flüchten hindern wollen, um der Polizei eine Personalienfeststellung zu ermöglichen.

Die Staatsanwaltschaft Halle hingegen wies in ihrem heutigen Plädoyer darauf hin, dass die beiden überregional bekannten Neonazis die Strategie umgesetzt hätten, die u.a. auch auf der neonazistischen Website „Nationaler Beobachter Halle“ propagiert wurde: sich durch Anzeigen persönliche Daten von politischen GegnerInnen zu beschaffen, um diese einzuschüchtern und zu bedrohen. Dass den Neonazis dabei jede Lüge Recht ist, zeigt sich auch in diesem Fall: Die Ermittlungen wegen Körperverletzung am Rande eines Neonaziaufmarsches in Halberstadt gegen die Prozessbeobachterin auf der Grundlage der Behauptungen von Matthias B. wurden mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

Die Folgen jedoch sind gravierend: Seit dem Angriff im Amtsgericht sind Name, Wohnort und Foto der Prozessbeobachterin wiederholt auf einschlägigen rechten Websites veröffentlicht worden. Zudem ist die Betroffene, die seit Mitte 2007 als Journalistin auch Neonaziaufmarsche begleitet, immer wieder Ziel beleidigender Sprechchöre durch Neonazis. Erstmalig wurden diese durch Matthias B. Mitte September 2007 bei einem Neonaziaufmarsch in Quedlinburg angestimmt.

„Das Gericht hat bewusst ausgeblendet, dass hier gezielt und mit Gewaltanwendung politische GegnerInnen eingeschüchtert werden“, kritisiert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Der vorsitzende Richter ignorierte den neonazistischen Kontext des Vorfalls und stellte mit dem Freispruch organisierten Neonazis einen Freibrief für Hilfs-Sheriff-Tätigkeiten aus“, so die Sprecherin weiter. Denn in seiner Urteilsbegründung führte er aus, es müsse gestattet sein dafür Sorge zu tragen, dass Personalien von der Polizei auch tatsächlich festgestellt werden können.

Quelle: www.mobile-opferberatung.de

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk

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