Das Portal
für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Einer Pressemitteilung der Opferberatung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt des RAA Sachsen e.V. zufolge kam es bereits am 26. Dezember letzten Jahres zu einem Brandanschlag auf das Haus einer Sinti-Familie im nordsächsischen Klingenhain.
„Dem Brandanschlag gingen jahrelange Anfeindungen und Bedrohungen voraus. Als die Familie 2003 nach Klingenhain zog, begegneten ihnen die Nachbarn mit Misstrauen. ‚Grund ist das Optische, das Äußere. Die ganze Familie bis zum kleinsten Kind ist dunkel. Wir fallen sozusagen aus der Reihe‘, ist sich Herr H., Vater der Familie, sicher“, so die Opferberatung Sachsen in ihrer Pressemitteilung.
Beschimpfungen als „Zigeuner“ und „Dreckpack“ gingen dem Brandanschlag voraus, genauso wie mehrere Akte von Vandalismus und zuletzt ein Stein, der durch die Fensterscheibe des Kinderzimmers geworfen wurde und um den ein Zettel mit der Aufschrift „Haut ab Ihr Kanaken“ gewickelt war. Bei der Polizei gestellte Anzeigen führten jedoch bisher zu keinerlei Ergebnissen, die Ermittlungen wurden alle eingestellt.
Anhaltspunkte?
Auch jetzt, wo das Haus abgebrannt ist, zeigt sich eine bei der Polizei offenbar übliche Reaktion. Freiepresse.de – eine örtlichen Zeitung – zufolge, sagte ein Polizeisprecher noch am Mittwoch, dass es „bisher keine Anhaltspunkte für einen fremdenfeindlichen Hintergrund gebe“.
Bereits dieser Satz hat es in sich. „Denn ob der Steinwurf, der ja augenscheinlich fremdenfeindlich gewesen ist, mit dem Brand in Zusammenhang steht, wisse man nicht“ zitiert der MDR den Polizeisprecher weiter. „Keine Anhaltspunkte“ hört sich anders an. Das ist so, als ob einer gegen den schattenwerfenden Kirschbaum eines Nachbarn klagt, den Prozess verliert, bald darauf der Kirschbaum heimlich gefällt wird und die Polizei dann erklärt, es gebe keine Anhaltspunkte.
Nebenbei gibt es genug andere Beispiele für ähnliche Vorkommnisse, in denen Angehörige der Mehrheitsgesellschaft versuchen, Menschen, die sie für ‚Zigeuner‘ halten, zu vertreiben: In Belfast wurde im Juni 2009 die Wohnung rumänischer Roma so lange attackiert und mit Steinen beworfen, bis die Betroffenen sich an die Polizei wandten und in einer Notunterkunft Schutz suchten. Dort wurde immerhin der rassistische Hintergrund der Tat nicht geleugnet. Und im türkischen Selendi wurden Anfang diesen Jahres ca. 70 Roma evakuiert, nachdem ein Mob von über Tausend Dorfbewohnerinnen und -bewohnern ihre Häuser, Hütten und Zelte angezündet und ihre Geschäfte und Fahrzeuge demoliert hatte. Auch hier wird allerdings ein antiziganistischer Hintergrund von offizieller Seite bestritten. Nebenbei ist anzumerken, dass dieses Pogrom, genau wie der Vorfall in Klingenhain und viele andere antiziganistische Übergriffe, bisher kaum Erwähnung in deutschen Medien gefunden hat. In Ungarn mussten erst acht Menschen innerhalb weniger Monate ermordet werden, bis sich die deutsche Presse bemühte, über die Vorkommnisse zu berichten.
„Zu unserer Verantwortung gehört es auch, dem wachsenden Hass auf Sinti und Roma in manchen Beitrittsländern der Europäischen Union entgegenzutreten“ sagte der Bundesratspräsident Jens Böhrnsen vor ca. einem Monat bei der jährlichen Gedenkveranstaltung für die im Nationalsozialismus als ‚Zigeuner‘ Ermordeten im deutschen Bundesrat.
Fremd?
Zurück nach Klingenhain: Auch die Wortwahl der Polizei, die vom MDR und anderen Medien übernommen wurde, lässt zumindest auf mangelnde Sensibilität für dieses spezifische Ressentiment, das zurecht mit einem eigenen Namen „Antiziganismus“ genannt wird, schließen. Während die Pressemitteilung der Opferberatung zurecht von „rassistischen“ und „antiziganistischen“ „Anfeindungen“ und „Diskriminierungen“ spricht verwenden der Pressesprecher der Polizei und der MDR die Worte „fremdenfeindlich“ und „Fremdenhass“. Dass für einen solchen Hintergrund nicht nur keinerlei Anhaltspunkte vorliegen, sondern, dass er sogar auszuschließen ist, ist strenggenommen ganz richtig, denn „fremd“ war offensichtlich niemand der Betroffenen: „Die deutschen Sinti sind eine alteingesessene nationale Minderheit in Deutschland. Sie ist seit dem 14. Jahrhundert in Deutschland ansässig“ stellt der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien auf einer Webseite, die über die verschiedenen „nationalen Minderheiten“ in der BRD berichtet, zurecht fest.
Verantwortung?
Dort steht auch geschrieben, dass von „den seinerzeit amtlich erfassten 40.000 deutschen und österreichischen Sinti und Roma [...] bis Mai 1945 über 25.000 ermordet [wurden]. Diese Verfolgung mit dem Ziel der planmäßigen und endgültigen Vernichtung hat die Überlebenden geprägt und wirkt sich auch auf die Angehörigen der nach 1945 geborenen Generationen aus.“ In der bereits zitierten Rede des Bundesratspräsidenten lässt sich weiters lesen: „Sinti und Roma gehören auch heute wieder zu den Menschen, die in ganz besonderer Weise von Fremdenhass [sic] und Rassismus bedroht sind. […] Ich glaube, auch wahre Demokratie ist da, wo Sinti und Roma gleiche Rechte haben und sie genießen können, sie ist da, wo ihnen mit Respekt und Neigung begegnet wird.“
Es wird Zeit, dass sich Politik, Medien und Öffentlichkeit in der BRD und europaweit nicht nur gelegentlich auf dem Papier, sondern auch in der Realität für das einsetzen, was sie in feierlichen Reden proklamieren: Dem Antiziganismus in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaften und den daraus resultierenden Diskriminierungen und Gewalttaten muss konsequent entgegengewirkt werden. So lange das nicht geschieht, wird es auch weiterhin Opfer antiziganistischer Gewalt geben, die auf Hilfe angewiesen sind. Die Opferberatung Sachsen hat ein Spendenkonto für die nun obdachlose Familie eingerichtet:
RAA Sachsen e.V.
Kto.-Nr.: 0643998600
BLZ: 85080200
Verwendungszweck: Spende Klingenhain (wichtig anzugeben!)
Von Markus End
Foto: "Dahle in Klingenhain" von Michael B., cc
Zum Weiterlesen:
Markus End, Kathrin Herold, Yvonne Robel (Hg.): Antiziganistische Zustände. Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments, Unrast-Verlag, Münster 2009