Für viele gilt Berlin als Beispiel für eine sehr viel rassismusfreiere Stadt als andere in Deutschland. Was auch stimmt. Multikultur wird hier großgeschrieben. Allerdings nicht mehr in Berlins öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Der liefert diese Tage ein Paradebeispiel für eine unglaubliche Peinlichkeit: Rassismus in der Direktion.Von Holger Kulick
Zu Pfingsten war die bunte Welt Berlins noch in Ordnung. Millionen säumten Kreuzbergs Straßen zum Karneval der Kulturen, einem bunten Straßenfest, das sichtbar macht, wie vielfältig und international geprägt die deutsche Hauptstadt schon seit Jahren ist. Nur wenige Tage später erlebte dieses Bewusstsein einen herben Rückschlag. Berlins öffentlich-rechtlicher Hauptstadtsender RBB verkündete (wohlweislich erst dann, der Karneval der Kulturen wäre sonst sicherlich zu einer Art Volksaufstand geworden), also er verkündete eine Pressemeldung, die geballte Provinzialität in sich hat – und noch schlimmeres.
„Der Rundfunk Berlin-Brandenburg steht unter massiven Sparzwängen. Zum Jahresende muss er deshalb sein Integrationsprogramm Radiomultikulti aufgeben.“ Nicht nur Provinzialität ist das, sondern auch ein Armutszeugnis dafür, zu erkennen, was in Berlin vorbildlich entwickelt und aufgebaut worden ist - ein weltweit beispielhaftes Integrationsprogramm. Der Presse gegenüber versuchte der RBB jedoch zu trösten: „Die Hörerinnen und Hörer von Radio Multikulti verlieren allerdings nicht ihr vielsprachiges Angebot: Vom 1. Januar 2009 an wird auf derselben Frequenz das multikulturelle Programm „Funkhaus Europa“ des WDR ausgestrahlt.“. Richtig gehört, richtig gelesen. Die Hauptstadt an der Spree, die auf diesem Spartenkanal längst Weltmusik sendet, wird in Zukunft mit rheinischer Sicht, was Multikultur ausmacht, abgespeist, nämlich dem „Funkhaus Europa“. Die eigene, haupstädtische Vorreiterfunktion wird aufgegeben. Metropolenbewusstsein adé.
1994, auch in Reaktion auf die brutalen fremdenfeindlichen Überfälle von Rostock, Mölln und Solingen gegründet, hat sich Radio Multikulti zu einem extrem horizonterweiterndem Vollprogramm gemausert, in dem sich alle Hörer wohlfühlen, die Denkanstöße mögen und Blicke über den Tellerrand, die sich in Berlin zu Hause fühlen, ob urdeutsch, familiär binational geprägt oder aus nahen und fernen Ländern stammend. Es ist eins der ganz gewiss inhaltlich niveauvollsten Programme des RBB, das Integration mutmachend umsetzt und kritisch hinterfragt, wo und warum sie nicht klappt. Kein anderes der Rundfunkprogramme des RBB ist so engagiert wie dieses. Und so preiswert obendrein.
Die inhaltlichen Vorzüge des Programms hat kürzlich Multikulti-Moderatorin Pia Castro in einem Interview mit der
taz zusammengefasst: „
Radio Multikulti macht das Leben vieler Menschen in dieser Stadt einfacher, weil es sie dabei unterstützt, sich mit Deutschland zu identifizieren. Radio Multikulti ist ein Bekenntnis zur Vielfalt, ohne dass in den Programmen romantische oder kitschige Vorstellungen vom Fremden, vom Anderen bedient werden. Und wir geben Menschen in Berlin, die sonst weniger Chancen haben, weil sie nicht perfekt Deutsch sprechen, eine Plattform. Das hat vielen Leuten viel Mut gemacht. Man fühlt sich doch verbunden mit diesem Land, wenn man etwas schafft und es zeigen darf. Wer Radio Multikulti hört, identifiziert sich mit diesen Facetten Berlins. Auch unsere deutschen Zuhörer. Das ist Integration….“ Das w a r Integration. Was jetzt aber folgt, ist Ausgrenzung. Ist Beleg, für wie beliebig und austauschbar Rundfunkverantwortliche wie die zuständige RBB-Intendantin halten, was auf dieser Frequenz gesendet wird. Dagmar Reim und ihre Berater haben eine typische Stammtischentscheidung getroffen: Ausländer raus! Das Winken mit dem WDR-Ersatzprogramm belegt nur um so deutlicher, wie wenig verteidigenswert sie hält, was hier als Vorzeigeprojekt lebendiger Kultur entstanden ist
Der einsame Beschluss, zum Jahresende Radio Multikulti zu beerdigen, zeugt von zweierlei. Zum einen – menschlich ganz normal – ist die RBB-Intendanz den Weg des geringsten Widerstands gegangen. Statt senderintern zu überlegen, wie die sechs anderen Hörfunkkanäle kosteneffizienter kombiniert werden könnten, ist simpel das kleinste von allen sieben geopfert worden. Nach dem Motto: Den Kanal mit den Ausländern zu streichen, stört doch keinen. Doch genau das belegt eine typisch deutsche Vorurteilshaltung: Bei den Randgruppen kann man zuerst sparen – bei den Ausländern erstrecht. Vor der Presse weinte die Intendantin natürlich Krokodilstränen: „Das Ende von Radio Multikulti ist ein schmerzlicher Einschnitt in unsere Programmvielfalt. Die finanzielle Situation des RBB lässt es leider nicht zu, alle sieben Radioprogramme zu erhalten“. Doch warum wird gerade dieses so leichtfertig gekappt?
Gespielt wird mit dem Feuer der Fremdenfeindlichkeit
Die Intendantin schützend, könnte man meinen, vielleicht ist alles nur ein taktisches Spiel, um der ARD unterstützt von vielen aufgebrachten Hörern deutlich zu machen, dass sich hier eigentlich wirklich nichts einsparen lässt. Doch auch eine solche Taktik wäre fatal. Denn gespielt wird mit dem Feuer der Fremdenfeindlichkeit. Denn was in der Öffentlichkeit haften bleibt, ist: Multikultur brauchen wir eigentlich nicht. Kurz gesagt: Ausländer raus. Der RBB hat auf diese Weise Rechtsextremen ein fantastisches Geschenk gemacht. Es widersprechen der Intendantin zwar viele Berliner. Aber auf einige wartet man und wartet man in dieser Situation vergebens. Berlins Regierenden Bürgermeister Wowereit zum Beispiel. Er bedauere es zwar, dass sich die Anstalt genötigt fühle, das Integrationsprogramm Radio multikulti (und auch sein avntgardistisch-freches Fernsehmagazin "Polylux") einstellen zu müssen, sagte Wowereit im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Senat könne die Entscheidung aber nur zur Kenntnis nehmen. Zur Kenntnis nehmen! Halbherziger geht es nicht. Es wäre noch fataler, hätte der SPD-Mann hinter den Kulissen abgesegnet, was die RBB-Spitze beschlossen hat. Sein lauter Widerspruch fehlt. Ein echtes Armutszeugnis für Berlin.
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Lesen sie auch: "Warum Radio Multikulti nicht verstummen darf", ein Kommentar von Barbara John
aus dem tagesspiegel vom 25.5.2008. Und: Wie sich Neonazis über das Ende von Radio Multikulti freuen (Neues Deutschland, 15.6.2008)
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk