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Demokratieschutz betreiben

Warum ein NPD-Verbot angebracht ist. Ein Gastkommentar von Michael Helmbrecht, Sprecher des Bürgerforum Gräfenberg in Franken. Dort marschieren monatlich Neonazis auf - nur um zu provozieren. Am kommenden Freitag erneut. Die Gemeinde wehrt sich jedes Mal sehr einfallsreich. Nachfolgende Rede wurde am 18. Mai 2008 im Rahmen des Lorenzer Kommentar-Gottesdienst vorgetragen.

1. Die NPD lässt in Gräfenberg ihre pseudodemokratische Maske fallen

Seit 1999 wird die oberfränkische 4.000-Einwohnergemeinde Gräfenberg regelmäßig von aufmarschierenden rechtsextremistischen Gruppen aus der Region und den angrenzenden Bundesländern heimgesucht. Zunächst betrieben die Neonazis einmal im Jahr in zeitlicher Nähe zum Volkstrauertag ihre Verehrung der zu Helden ernannten Soldaten des 1. und 2. Weltkriegs. Seit November 2006 hat sich die Situation erheblich verschärft: Mindestens einmal im Monat, bisweilen auch vierzehntägig, in den letzten 18 Monaten insgesamt 24mal, legen 50, manchmal auch bis zu 150 Mitglieder der NPD, der Jungen Nationaldemokraten und "Freie Kameradschaften" den städtischen Alltag lahm. Bewehrt mit Fackeln, Fahnen und Trommeln zitieren sie ungeniert die Zeichensprache der SA und verbreiten in dem kleinen, mittelalterlichen Stadtkern eine gespenstische, an die Nazi-Aufmärsche der Weimarer Zeit erinnernde, Atmosphäre. Vordergründiges Ziel der rechtsextremistischen Umtriebe ist es, sich den Zugang zu einem martialischen Kriegerdenkmal des Ortes zu erzwingen, nachdem die Stadt den Zugang zum Denkmal für die Selbstinszenierungen der Neonazis verbietet. Der von der NPD angezettelte „Kampf um das Denkmal“ stellt indessen nur die Vorderbühne des Geschehens dar. Im Hintergrund versuchen die rechtsextremistischen Akteure wie in vielen anderen Städten auch den öffentlichen Raum für ihre Positionen zu reklamieren, mit einer beständigen Präsenz die Normalisierung rechtsextremistischen Gedankenguts zu betreiben, einen Kampf um die Köpfe insbesondere jüngerer Menschen – etwa mittels der Verteilung von Propaganda-CDs - und um die Wählerstimmen der Gräfenberger zu führen und schließlich das Aktions-Bündnis mit den militanten Freien Kameradschaften zu kultivieren.
Gewiss: Der bundesweit beobachtbare Versuch der NPD, die Provinz zu faschisieren, hat in Gräfenberg noch nicht gefruchtet. In Gräfenberg gehören Nazisymboliken auf T-Shirts nicht zum allgemeinen Erscheinungsbild, es werden noch keine farbigen Jugendlichen durch die Straßen gejagt, es werden noch keine Wohnungslosen misshandelt und noch keine Migranten erschlagen. Der Charakter der NPD und ihrer Kooperationspartner lässt sich in Gräfenberg dennoch studieren: Die Partei versucht mit ihren Aufmärschen und Kundgebungen ein Klima des Hasses zu bereiten und Angst zu verbreiten, sie missachtet die Entscheidungen des Stadtrats und macht die demokratischen Bürger verächtlich; mit aggressiven Anwerbestrategien versucht sie Jugendliche zu ködern, sie betreibt eine geschichtsfälschende „Heldenverehrung“ und verhöhnt die Opfer des Faschismus; sie instrumentalisiert, terrorisiert und stigmatisiert mit ihren Aufmärschen unbeirrbar eine ganze Stadt.

2. Warum die Partei verboten werden sollte

2.1 Die Partei nimmt an Wirkungsmächtigkeit zu

All das ist unter anderem möglich, weil der Staat und wir diese Partei gewähren lassen, nein, noch viel mehr: weil wir sie alimentieren – in Gestalt von finanziellen Transferleistungen wie der Wahlkampfkostenerstattung und der Parteienfinanzierung, die zwischenzeitlich den größten Posten der Finanzierung der NPD ausmachen. Und in Gestalt von vom Verfassungsschutz subventionierten Neonazis in den Steuerungszentralen der NPD von deren Mitwirkung man sich, ja was eigentlich, den tausendsten Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit der Partei verspricht. Wir finanzieren die an Unanständigkeit kaum zu übertreffende Propaganda der NPD fleißig mit.

Entgegen den Prognosen vieler NPD-Verbotsgegner im Vorfeld der Vorbereitung des Verbotsverfahrens Anfang dieses Jahrzehnts hat die NPD sich nicht selbst dezimiert, sondern sich zur stärksten völkisch-nationalistischen Sammlungsbewegung für die rechte Szene entwickelt. Ihre Mitgliederzahl hat sich in den letzten 10 Jahren mehr als verdreifacht (ggw. 7.200 Mitglieder) – sie gilt als „Gravitationsfeld“ der rechtsextremistischen Szene. Sie zog ein Jahr nach dem schon im Vorfeld gescheiterten Verbotsverfahren 2004 mit 9,2% der Wählerstimmen in den sächsischen Landtag ein und zwei Jahre später mit 7,3% in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Dort, wo Partei und Kameradschaft sich regelmäßig vor Ort engagieren, erfahren sie auf kommunaler Ebene einen beachtlichen Zuspruch.

2.2 Die NPD ist verfassungsfeindlich

Unter den Verfassungsschutzbehörden, Rechtsextremismus-Experten und aufmerksamen politischen Zeitgenossen gibt es in diesen Fragen keinen Dissens: Die NPD wird 1. zunehmend wirkungsmächtiger und 2. ist sie ohne Zweifel verfassungsfeindlich.
Sie verfolgt verfassungsfeindliche Ziele, weil sich zentrale Akteure immer wieder dazu bekennen, das politische System der Bundesrepublik Deutschland abschaffen zu wollen. Sie ist dem Nationalsozialismus wesensverwandt, zumal sie ein völkisches, rassistisches Weltbild kultiviert und exponierte Kräfte nationalsozialistischen Verbrechern die Ehre erweisen (Rudolf Hess, Adolf Hitler). Und sie nimmt eine aktiv-kämpferische aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung ein. Dafür gibt es zahllose Belege, die ich hier auch nicht ausschnittweise im Einzelnen referieren kann.
Der entsprechende Grundgesetz-Artikel lautet:

„Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“ (Art. 21, 2 Grundgesetz)

Der Streit beginnt an dem Punkt, ob man unserer Demokratie aus demokratietheoretischen Gründen nicht zumuten müsste, mit ihren erklärten Gegnern zu leben.
Mir ist indessen überhaupt nicht nachvollziehbar, warum eine entschieden antifaschistische Haltung Deutschlands ein Ausdruck einer repressiven, freiheitsfeindlichen Haltung sein soll; warum also ein Verbot einer Partei, die die Grundsätze der Demokratie nur aus instrumentellen Gründen – nämlich um diese Demokratie abzuschaffen – abnickt, ein freiheitsfeindlicher Akt sein sollte. Wenn eine Partei die Ungleichwertigkeit von Menschen zur moralischen Maxime erhebt und Menschen etwa aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit den in einer Demokratie gebotenen Achtungsanspruch versagt, dann verlässt sie den Rahmen der Demokratie. „Eine solche Anmaßung und Missachtung hat in der Demokratie keinen demokratietheoretisch ausweisbaren Platz und kann nicht unter Berufung auf eben das demokratische Prinzip legitimiert werden. Viel weniger noch muss sie im Namen der Demokratie oder der demokratischen Freiheiten toleriert werden.“, so der Staatsrechtler Günter Frankenberg 2001. Wenn die konstitutiven Geltungsprinzipien der Demokratie – wechselseitige Achtung als gleichwertige Gesprächspartner, Respekt der Differenz etc. – bestritten werden, dann muss man repressiv eine Grenze setzen, weil sonst die Prinzipien der Demokratie preisgegeben werden.
Die NPD ist kein schützenswerter Bestandteil der Demokratie Deutschlands und es kann nicht Interesse einer demokratischen Öffentlichkeit sein, dass diese Partei an der Willensbildung des Volkes mitwirkt, wie das Art. 21, 1 GG als konstitutives Merkmal von Parteien definiert. Vielmehr: „Ein demokratischer Staat, der seine undemokratischen Feinde ungeniert auftreten lässt und sie auch noch alimentiert, ist nicht tolerant, sondern feige“ (Lölhoffel 2007).

2.3 Mit einem NPD-Verbot können freilich nicht rechtsextremistische Einstellungen, aber immerhin die gegenwärtig wirkungsmächtigste Speerspitze des Rechtsextremismus bekämpft werden

Es ist richtig, dass mit einem NPD-Verbot alleine rechtsextremistischem Denken nicht beizukommen ist. Doch man sollte die Partei nicht als bloße „Hülle“ abtun und damit banalisieren, wie dies etwa der Rechtsextremismusexperte Pfahl-Traugher noch Anfang dieses Jahrzehnts tat . Eine Organisation, das liegt in ihrem Wesen, stellt eine auf Dauer gestellte Ressourcen- und Interaktionsstruktur dar. Und eine Organisation stellt ein spezifisches Macht-Potential zur Verfügung. Im Falle der NPD sind das unter anderem:
• das Ressourcenpotential : Mit den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln können u.a. professionelle Mitarbeiter bezahlt, Schulungsabende organisiert, Propaganda-Musik-CDs verbreitet, volksverhetzende Fußballkalender gedruckt, Kinderfeste bezuschusst und einschüchternde Klageverfahren gegen demokratische Bürger finanziert werden.
• das Koordinationspotential: Mithilfe professioneller Stäbe und mittels finanzieller Ressourcen kann die Koordination und Kooperation im rechtsextremistischen Lager vorangetrieben werden.
• das Legitimierungs- bzw. Maskierungs-Potential: Die NPD kann eine legale Bühne zur Verfügung stellen, auf der in Parlamenten wie in Bierzelten volksverhetzende Parolen gedroschen werden können oder auf der im Rahmen von als politischen Kundgebungen getarnten Veranstaltungen rechtsextremistische Musikgruppen Jugendliche zu gewinnen versuchen.

Wenn man die Organisation zerschlägt, dann entzieht man der rechtsextremistischen Szene diese wirkungsmächtigen Potentiale – zumindest für eine gewisse Dauer.
Das Argument, dass man die NPD zur Zähmung des gewaltbereiten Rechtsextremismus bräuchte, halte ich für empirisch nicht belegbar.
Das Argument, dass man mit einem NPD-Verbot doch nur Märtyrer im rechtsextremistischen Lager generieren würde, ist nicht überzeugend. Denn die NPD wird sich – so oder so - ihre Legitimationsgrundlagen konstruieren: Lassen wir sie gewähren, sieht sie ihre Ideologie als akzeptierten Bestandteil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit; wird sie verboten, wird sie das Verbot als Grund dafür angeben, dass das „System“ bekämpft oder abgeschafft werden muss.

2.4 Mit einem Parteienverbotsverfahren stellen Staat und Gesellschaft klar: Nie wieder Faschismus!

Mit der Einleitung eines Verbotsverfahrens stellen Staat und Gesellschaft unmissverständlich klar: Wir werden in Deutschland alles dafür tun, dass Menschen von rechtsextremistischen Gruppen nie wieder zu Bürgern zweiter Klasse degradiert oder aus der Menschheitsfamilie ausgeschlossen werden können. Mit dem Verbotsverfahren gegen eine rechtsextremistische Partei beschädigen wir nicht die Freiheit, sondern bekennen uns aktiv zur Geltung der Menschenrechte in diesem Land. Ein Verbot sind wir den Opfern und Verfolgten des Nazi-Regimes schuldig!

2.5 Dem punktgenauen, hochschwelligen Parteienverbotsverfahren ist der Vorzug zu geben gegenüber der Bestrebung, die Freiheitsrechte insgesamt einzuschränken

Ein Parteienverbot stellt einen Eingriff dar, dem unsere Verfassung und die Verfassungsgerichtsbarkeit zu Recht eine hohe Schwelle gesetzt haben. Es muss von langer Hand vorbereitet und sehr gut begründet werden können. Von niedrigschwelligeren Verfahren der Bekämpfung des Rechtsextremismus, etwa über die Verschärfung des Versammlungsrechts (wie das gegenwärtig in Bayern geschieht) oder der Veränderung der Grundlagen der Parteienfinanzierung halte ich dagegen nichts, weil über diese Hintertüren einem autoritären Umgang mit Abweichung sehr viel unkontrollierbarere Spielräume eingeräumt werden.

3.0 Repressiver und diskursiver Demokratieschutz sind gleichermaßen notwendig

Es geht nicht um ein „entweder – oder“ in der Bekämpfung des Rechtsextremismus, sondern um ein „und“: Wir sollten ein NPD-Verbotsverfahren vorbereiten und einen diskursiven Demokratieschutz betreiben. Wir müssen die Anstrengungen erhöhen, in der schulischen und außerschulischen politischen Bildung eine aktive Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu führen und junge Menschen stark zu machen für den Umgang mit Differenz und Pluralität. Wir müssen „Demokratie als Lebensform“ wirklich und erlebbar machen - im täglichen Umgang miteinander und bei der Eröffnung von Mitgestaltungs- und Partizipationsstrukturen in der Schule und Arbeitswelt.

Eine wirksame Bekämpfung des Rechtsextremismus können und sollen staatliche Organe alleine nicht betreiben. Es bedarf eines nicht nachlassenden „Aufstands der Anständigen“ (Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder) gegen die Zunahme „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (Heitmeyer) in unserer Gesellschaft. Wir müssen es kritisch kommentieren, wenn Rechtsextremisten aufmarschieren und wir dürfen ihnen an den Tatorten nicht „die kalte Schulter“ zeigen. Wir müssen im Alltag intervenieren, wenn ausländerfeindliche Witze gerissen werden. Wir müssen „Gesicht zeigen“ für Demokratie und Menschenrechte.
Der „Aufstand der Anständigen“ indes muss – mit einem Wort Heribert Prantls – flankiert werden vom „Anstand der Zuständigen“. Die „Zuständigen“ sollten aus den erläuterten Gründen das NPD-Verbotsverfahren mit der gebotenen moralischen Entschiedenheit und einer von langer Hand vorbereiteten, gut abgesicherten Strategie auf den Weg bringen.

Literatur:

Borstel, Dirk (2006): Falsche Hoffnung NPD-Verbot. www.bpb.de/themen/woimxn.html.
Frankenberg, Günter/Wolfgang Löwer (2001): NPD-Verbotsantrag des Bundestags, 29. März 2001. www.extremismus.com.
Heitmeyer, Wilhelm (Hg.) (2007): Deutsche Zustände. Folge 5. Frankfurt am Main.
Held, Josef (2008): Rechtsextremismus und sein Umfeld. Eine Regionalstudie. Hamburg.
Molthagen, Dietmar et. al. (Hg.) (2008): Gegen Rechtsextremismus – Handeln für Demokratie. Bonn.
Röbke, Andrea/Andreas Speit (Hg.) (2008): Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft. Berlin.
Schroeder, Klaus (2003): Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Bay. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. München.
Staud, Toralf (2006): Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD. Bonn.
VVN-BdA (2008): Warum ein Verbot der NPD nötig und möglich ist. www.npd-verbot-jetzt.de/argumente.


Mehr zum Thema: www.graefenberg-ist-bunt.de und bpb.de/rechtsextremismus
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www.mut-gegen-rechte-gewalt.de. Foto: Übermaltes Hakenkreuz an einem ev. Kindergarten in Berlin (Kulick)

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entfremdetes hakenkreuz