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Es gibt in Deutschland eine quer durch die Gesellschaft getragene These zu Rechtsextremismus. Sie lautet: das kommt alles wegen der Arbeitslosigkeit und den krassen sozialen Unterschieden. Doch es ist kein soziales, sondern ein kulturelles Problem. Es liegt am Neid und dem noch immer so starken Hang zum Homogenen. Ein Kommentar von Anetta Kahane.
Es gibt in Deutschland eine quer durch die Gesellschaft getragene These zu Rechtsextremismus. Sie lautet: das kommt alles wegen der Arbeitslosigkeit und den krassen sozialen Unterschieden. Wenn es an etwas mangelt, wie etwa an Arbeitsplätzen oder etwas zu groß ist, wie etwa die Kluft zwischen arm und reich, dann ist es kein Wunder, dass es so viele Neonazis gibt. Weil die Menschen in einer solchen Lage natürlich den rechten Verführern oder Rattenfängern auf den Leim gehen. „Das beste Programm gegen Rechtsextremismus ist Vollbeschäftigung!“ So brachte es vor einiger Zeit sogar Guido Westerwelle auf den Punkt. Dieser Satz hätte auch gut von Vertretern aller anderen Parteien gesagt werden können. Er gehört einfach zu den unumstößlichen, deutschen Gewissheiten, die mir gerade gestern wieder in einer Diskussion über steigende rechtsextreme Gewaltstraftaten entgegen gehalten wurde. Es klingt wie eine Erklärung und ist doch nichts weiter als eine tief in der Geschichte verwurzelte Rechtfertigung vor der großen, deutschen Lebenslüge. Krise und Arbeitslosigkeit hätten 1933 die Machtübernahme ermöglicht heißt es nach wie vor in Deutschland – mit der Unterstützung des Finanzkapitals – wie in der DDR ergänzend hinzugefügt wurde.
Wenn die Leute in England arbeitslos werden, sagte mir neulich ein Brite, dann geht es den Forellen an den Kragen. Weil dann alle angeln gehen. Wenn Deutsche in die Krise geraten, dann werden sie böse, dann geht es Einwanderern oder Schwarzen an den Kragen, weil das immer so war. Deshalb ist die rasche Antwort auf das Problem Rechtsextremismus auch heute noch: Arbeit und Gemeinschaft. Die Gesellschaft darf auf keinen Fall zu viele Unterschiede produzieren. Also muss, so die weit verbreitete Haltung, der Staat für Arbeit sorgen und Differenzen zwischen sozialen, ethnischen oder kulturellen Gruppen möglichst ausgleichen. Denn alles andere ist eine Zumutung und könnte durch Menschenjagd geahndet werden. Gewalt, Antisemitismus und Rassismus sind demnach dann nur ein Schrei aufgrund eines Mangels? Den es zu beseitigen gilt? Damit unsere Nazis nicht wieder verrückt spielen? Also gleicher Lebensstandard für alle und weg mit allen provozierenden Unterschieden? Und wenn sie dann noch rassistisch sind, verbieten wir es ihnen einfach? Das ist ein totalitärer Gedanke. Das hat schon mal nicht funktioniert.
Und selbst wenn, weshalb kann gleiches nicht auch für Linksextreme und Migranten gelten? Würden sie weniger Autos demolieren, Steine schmeißen und die Hamas loben, wenn alle gleich wären? Oder gäbe es keinen Antisemitismus mehr unter muslimischen Einwanderern, weil es ihnen nun hier deutlich besser geht als vielleicht im Libanon? An diesen Beispielen funktioniert die These nicht, hier zeigt sich, dass sie nicht stimmen kann.
Nein. Das geht aus allen Studien hervor - es liegt nicht am sozialen Mangel. Dann würde es in deutlich ärmeren Ländern auch deutlich mehr Nazis geben. Es ist kein soziales, sondern ein kulturelles Problem. Es liegt am Neid und dem noch immer so starken Hang zum Homogenen. In Deutschland mangelt es an etwas anderem: an einer ganz bestimmten Art persönlicher Lebensfreude, an der Fähigkeit Unterschiede auszuhalten, sie als Herausforderung zu sehen und Zorn über Missstände dahin zu lenken, wo sie hingehören. Auf reale, auf politische Konflikte, wie auch immer die aussehen. Oder auf Regenbogenforellen. Meinetwegen auch das.
Von Anetta Kahane
Der Artikel erschien am 29. März 2010 in der Berliner Zeitung.
Foto: Joachim S. Müller via Flickr, cc