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Die Neonaziszene reagiert auf Demoblockaden. Immer öfter werden Neonazi-Aufmärsche erfolgreich blockiert. Die Szene reagiert: Halbkonspirative Planung, Geheimhaltung von Routen, schein-spontane Ersatzevents sollen die Blockadewelle abschwächen und den Zusammenhalt nach Innen stärken.
Von Christoph Schulz, mit freundlicher Genehmigung des apabiz
Die Zeiten, in denen sich Neonazis darauf verlassen konnten, dass ihre Demonstrationen von der Polizei routinemäßig abgesichert und wo nötig durchgeboxt würden, die sind vorbei. Auf antifaschistischer Seite haben sich bekanntlich massenhafte Blockaden als Protestform etabliert. Immer wieder gelang es, rechte Aufzüge schon an ihren Startpunkten einzuzwängen und so die Routen drastisch abzukürzen oder ganz scheitern zu lassen. Das ist hocherfreulich. Natürlich reagieren die Neonazis auf die Herausforderung und suchen nach Konzepten, den für sie so wichtigen »Kampf um die Straße" auf neue Füße zu stellen.
Ausweichmanöver
Bisher sind folgende Reaktionsmuster erkennbar:
- Mittels Sternmärschen, also mehreren separaten Treffpunkten anstatt nur einem je Demo, sollen Blockaden ausgehebelt werden. Beim Großaufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden sollte dies (nach einer Idee des ParchimerKaders Christian Worch) umgesetzt werden, wurde jedoch gerichtlich untersagt.
- Rufe nach einer militanten Durchsetzung von Aufmärschen, also Ausbruchversuche gegen Polizeiketten und gegen Blockaden, werden an der Basis der "Kameradschafts"-Szene lauter. Bisher gab es jedoch eher zaghafte Versuche anstatt ernsthafter Angriffe – im Sinne der verantwortlichen OrganisatorInnen dürfte ein solches Vorgehen im seltensten Fall sein.
- Für den Fall, dass eine reguläre Demonstration blockiert wird, verabreden die Neonazis einen alternativen Plan B fernab des öffentlichen Treffpunkts. So geschehen am 1. Mai 2010 in Berlin. Im Prenzlauer Berg wurde blockiert, also versuchten etwa 300 Neonazis über den Kurfürstendamm zu laufen. Ergebnis: Fast alle Teilnehmenden wurden in Gewahrsam genommen, dafür fand umgehend eine Selbstmystifizierung des "Marsches der 300" statt.
- Teilweise wird versucht, Demoplanungen ganz geheimzuhalten. So reduziert sich zwar die Außenwirkung, doch die Organisation von Blockaden kann bei erfolgreicher Geheimhaltung verunmöglicht werden. Im Dezember 2010 marschierten etwa 30 Neonazis unter "Ausländer raus"-Rufen nachts und unangemeldet durch Berlin-Moabit, am Vorabend des 1. Mai 2011 fand ein gespenstischer Fackelmarsch von mehreren hundert Neonazis aus dem Spreelichter-Netzwerk im sächsischen Bautzen statt. Am 14. Mai 2011 sorgte ein Neonazi in Plauderlaune dafür, dass ein angemeldeter aber nicht beworbener Aufmarsch in Berlin im Vorfeld kurzfristig doch publik wurde. Die Rechten konnten am Sammelpunkt in Kreuzberg wüten und prügeln, wurden letztlich aber erfolgreich blockiert.
Die Bilanz der Ausweichmanöver ist durchwachsen. Die antifaschistische Blockadepolitik hat den Druck auf die Szene ansteigen lassen. 2009 und 2010 kamen jeweils rund 6.500 Neonazis zu den Februaraufmärschen nach Dresden. 2011 mit einer sich abzeichnenden neuerlichen Blockade im Hintergrund kamen noch 2.500, von denen es auch nur 800 den Weg zum Sammelpunkt schafften. Der Dresden-Termin, über Jahre der europaweit größte jährliche Naziaufmarsch, ist angeknackst.
Gleichwohl sind die damit einher gehenden Effekte auf die NeonaziDemopolitik zu beachten. Wenn Datum und Treffpunkt öffentlich beworben werden, können auch lose szeneverbundene SympathisantInnen mobilisiert werden. Doch die bleiben zunehmend aus, wenn sie sich vermehrt nur die Beine in den Bauch stehen können und mit reichlich Protest konfrontiert werden. Die NPD hat ein strategisches Anliegen im so genannten "Kampf um die Straße", sie will den öf fentl ichen Raum erobern. Wenn dieser verstellt ist, verliert die Partei den selbst proklamierten Kampf. Chaotische Demos mit Bildern halb weinerlicher, halb wütender Neonazis helfen ihr nicht. "Den Bürger" kann man so noch weniger erreichen, als es durch die mehr oder minder geordneten Aufmärsche der Vergangenheit der Fall war. Wenn frustrierte Neonazis gegen Polizeiketten anrennen, wird das Ziel der Sympathiewerbung noch weiter verfehlt. Die Rechten bleiben in der Schmuddelecke.
Macht-Demonstrationen
Die Ausweichkonzepte der Neonazis erreichen das Umfeld nur in schwachem Ausmaß. In einen Plan B wird nicht jede und jeder eingeweiht, von geheim organisierten Aufmärschen erfahren sie naturgemäß gar nicht. Die Szene wird also stärker auf sich selbst, ihren harten Kern zurückgeworfen. Das funktioniert durchaus. Das Netzwerk ist stabil genug, so dass immer noch ausreichend große Teilnahmezahlen zustande kommen. Einen Coup wie der unangemeldete Aufzug in Bautzen vor dem 1. Mai diesen Jahres kann die Szene durchaus stemmen – geheime Vorbereitung, keine Proteste, eine hilflose Polizei vor Ort, ein Hochgefühl durch das Gefühl der Überlegenheit, eine mediale Aufbereitung durch eine Nachberichterstattung per Internetvideo. Die Szene hat ohnehin ein Talent jeden Auftritt zu einem Erfolg umzudeuten. Auch wenn ein Plan scheitert, funktioniert bei vielen SzenegängerInnen eine Rhetorik, die nach Außen skurril wirkt. Beispielsweise bilanzierte das Veranstaltungsteam vom 14. Mai in Berlin im Nazi-Forum thiazi: "Wir sollten das gestern, auch ohne gelaufen zu sein, nicht als Niederlage ansehen. (..) Wir haben im Herzen von Kreuzberg (..) unseren Mann gestanden." Darauf gab es nur wenige skeptische Reaktionen, andere User sekundierten sogar: "Es war zwar noch nicht die ‚Division nach Kreuzberg‘, aber immerhin schon mal ein kleiner Anfang." Oder auch: "Demonstrationen sind Machtspiele. Wem gehört die Straße? Darum geht es! Und sich da mit 180 Mann unter dem Motto ‚Ausländer raus‘ nach Kreuzberg zu wagen ist schon ein starkes Stück! Das zeigt Eier und wird der Antifa und auch den Kanacken gewaltig stinken." Der harte Kern begnügt sich bei Bedarf eben damit, der harte Kern zu sein und selbstvergewissert sich, bei gefährlichen oder gewalttätigen Aktionen seinen "Mann gestanden" zu haben.
Angstszenarien
Der mystifizierte "Kampf um die Straße" basiert darauf, ein Szenario von Einschüchterung und Angst zu erzeugen. Wenn 300 Neonazis eingekesselt von der Polizei auf einem Parkplatz am Stadtrand verharren, dann gewinnen Außenstehende schnell den Eindruck, einem "lächerlichen Haufen" gegenüberzustehen. Wie bedrohlich hingegen nächtliche "Ausländer raus"-Sprechchöre von 30 fackeltragenden Neonazis der Minidemo in Moabit auf die AnwohnerInnen gewesen sein müssen, kann man sich ausmalen. Am 14. Mai in Berlin reagierten die TeilnehmerInnen eines migrantisch geprägten Straßenfestes verstört, als sich einige Neonazis kurzzeitig am Neuköllner Hermannplatz sammelten. Die Gewalt am Mehringdamm wirkte, im Nachgang auch vermittelt durch die Medien, noch einmal stärker. Ein Gefühl latenter Bedrohung kann so unter jenen verbleiben, bei denen die Neonazis dieses Gefühl ohnehin auslösen möchten. Möglicherweise verstärkt sich dieser kommunikative Effekt, wenn die Gewalt nun öfter im Kontext von öffentlich beachteten Demonstrationen und manchmal unter den Augen von Kameralinsen stattfindet.
Den Neonazis geht es in diesem Sinn nicht nur um die öffentliche Wahrnehmung ihrer Aktionen, vielmehr haben Aufmärsche eine übergeordnete identitäre Binnenfunktion. "Ein Aufmarsch ist ein Erfolg, wenn er stattfinden kann", betonen Ausgestiegene immer wieder. Da das Konzept der Massenaufmärsche durch die Blockadepolitik in Frage steht, dann eben "im Kleinen" und dafür mit viel Symbolgehalt: Der Fackelmarsch, der Marsch im roten Kreuzberg. Hauptsache, man marschiert, irgendwie. Die Hooliganisierung der Szene schreitet so tendenziell voran. Bei Demonstrationen beziehungsweise bei den Versuchen, solche durchzuführen, gewinnt der Faktor Abenteuer an Bedeutung. Für bereits szeneintegrierte Jugendliche und junge Erwachsene hat das seinen Reiz: Bewährt man sich "vor dem Feind" im Beisein der "Kameraden"? Schafft man es zum Treffpunkt? Erfährt man das Privileg, über eine Geheimdemo unterrichtet zu werden? Teilen der Szene – natürlich sind die "Autonomen Nationalisten" zu nennen – kommt die neue Schnitzeljagd entgegen. Oft sind die An- und Abreisewege schon Teil des Events und werden für Übergriffe genutzt.
SA-Tradition
Hooliganisierung heißt keinesfalls Entpolitisierung. Nächtliche Fackelmärsche oder die Etablierung eines "Plan B" sind bewusst gewählte Wege im Kontext neonazistischer Demonstrationspolitik. Und die TeilnehmerInnen fühlen sich dieser Politik verbunden, sie operieren in vollem Bewusstsein in einem explizit politischen Feld. Die Verbreitung von Angst ist – ebenfalls ein politischer Akt – einkalkuliert und gewollt. Die Konfrontationslogik bei Demonstrationen kann ebenfalls nur so verstanden werden. Nicht zur Einschätzung von Ausmaß und Wirkungsbreite, wohl aber für die Einschätzung des Selbstverständnisses der neonazistischen DemonstrantInnen, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Bilder von der als glorios wahrgenommen "Kampfzeit" der nationalsozialistischen Bewegung können verstärkt abgerufen werden. Die eigene Militanz fügt sich nahtlos ein in eine Tradition von politischem "Soldatentum" und von der Straßenpolitik, sprich: dem Terror, der SA. Das Ticket zur Sinngebung ist der Mythos. Wie einst die SA den "roten Wedding" zum Ziel ihrer Demonstrationen machte, wird nun das "rote" und "undeutsche" Kreuzberg in den Fokus genommen. Dort gewesen zu sein verheißt noch keinen direkten politischen Raumgewinn. Doch es wird eine Selbsteinordnung gewährleistet, die den Verweis auf das Damals rechtfertigt: Was bei der SA als Straßenkampf begann, endete wenige Jahre später in der erfolgreichen "Machtergreifung". Dies ermöglicht Halluzinationen vom eigenen Sieg in der Zukunft.