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Nach den letzten Landtagswahlen ist es klar: wir haben ein Problem mit parteigewordenem Rechtspopulismus. Der Umgang mit dem Rechtsextremismus vergangener Jahre hat schon gezeigt, wie wenig konfliktfähig die Gesellschaft in Deutschland ist.
Ein Kommentar von Anetta Kahane
Statt einer klaren inhaltlichen und auch ordnungspolitischen Auseinandersetzung mit den Feinden der Demokratie, wurde zu lange rumgedruckst, verdrängt, verleugnet, gleichzeitig beschönigt wie verharmlost. Rechtsextremismus galt als ein lästiger Spleen von Randgruppen - natürlich in Äquidistanz zum Linksextremismus - also eher die Pathologie einiger Ausgeflippter als ein gesellschaftspolitisches Symptom für ein weit größeres Problem.
Ein Problem? Hunderte! Die Zeiten sind schwierig, die Widersprüche gewaltig, die Aufgaben riesig. Früher war alles einfacher: es gab keine Globalisierung, keine Einwanderung, keine ausgefeilten Minderheitenrechte. Früher war Europa weiß, der Rest der Welt aufgeteilt in Kolonien und unterentwickelt abhängig. Frauen durften nicht wählen, die Eliten waren ein geschlossener Club und Homosexualität eine Sünde. Gleichwertigkeit war auf keiner Ebene eine denkbare oder gar praktische Kategorie. Entsprechend wenig komplex gestalteten sich die politischen und moralischen Aufgaben. Es dämmerte den Menschen auch innerhalb der demokratischen Gesellschaft erst langsam, wie wichtig Gleichwertigkeit für die Entwicklung ist. Stück für Stück, Gruppe für Gruppe erkämpften sich die Unsichtbaren ihre Sichtbarkeit und ihre Rechte: die Homosexuellen, die ethnischen Minderheiten, die Frauen, die Behinderten. Und heute? Heute ist Europa nicht mehr der wirtschaftliche und kulturelle Nabel der Welt und die Weißen haben ihren Anspruch auf das verloren, was sie stets als natürlich betrachtet haben: ihre Privilegien als Herrscher der Welt.
Das erfordert eine gewaltige Umstellung, die auch jedes sächsische Dorf irgendwann erreicht. Die Wut darüber, dass nun Schluss sein soll mit einer "naturgegebenen" Überwertigkeit, tobt sich gerade an den Angriffen auf Flüchtlinge aus. Reale und verbale Gewalt ist Teil unseres Alltags geworden. Und hat neuerdings auch einen Parteinamen: AfD. Wie geht eine Gesellschaft damit um? Was machen wir jetzt? Wieder verbieten wie die NPD? Oder schönreden oder verdrängen? Wie reagieren wir auf infame Hetze, auf Verachtung, Herablassung und Demagogie, wie sie uns durch die AfD und andere entgegenkommt? Vielleicht mit einem weiteren Heft unter dem Titel "100 Argumente gegen Rechts/Nazis/Rassismus"? Was sollen Menschen damit machen? Es auswendig lernen, für jedes Argument ein Gegenargument kennen? Wie kann das nützen gegen Demagogie, die ja auf Argumente jeder Art pfeift? Wie verhalten wir uns in einer Auseinandersetzung wenn sie heftig wird? Wenn sie persönlich wird, wenn sie uns in die Enge treibt, weil sie Grundsätzliches einfach infrage stellt?
Der große Liberale Ralf Dahrendorf bemängelte stets die Konfliktunfähigkeit der Deutschen. Er sah darin eine der großen Gefahren der Demokratie. Konflikte auszutragen ist ebenso essentiell für die Demokratie wie die Rechtsstaatlichkeit. Das eine ohne das andere funktioniert nicht. Ein Rechtssystem ohne Debatte ist so hohl, wie die Debatte ohne rechtliche Grundlagen. Dass die Konfliktfähigkeit so schwach entwickelt ist, hat viele Gründe. Die grundsätzliche Angst vor Emotionen gehört dazu. Zurecht fürchten sich nicht nur die Deutschen vor ihren eigenen Gefühlen und Vorstellungen, sondern auch jene, die deren emotionale Entfesselung im Nationalsozialismus erleben mussten.
Soll deshalb nicht gestritten werden? Müssen wir nun der Demagogie von Rassisten gegenüber die Klappe halten, ohnmächtig schweigen oder es ihnen mit gleicher Münze heimzahlen? Wenn die Vernunft und das Argument scheitern, scheitern wir dann auch? Nein. Demagogie hat eigene Regeln. Wie in einem Spiel. Die müssen wir kennen, um darauf reagieren zu können. Und wir brauchen all jene Eigenschaften um darin erfolgreich zu sein, an denen es leider noch mangelt: Überzeugende Argumente, einen kühlen Kopf, ein heißes Herz, Selbstbewusstsein, eine klare Haltung, das Wissen um die Tricks der Demagogen. Und den Rechtsstaat, dessen Handeln in Sinne der Demokratie wir Tag für Tag einfordern müssen. Daran werden wir jetzt arbeiten.