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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung betrachtet modernen Rechtsextremismus aus einer geschlechtsspezifischen Perspektive und setzt sich gegen die häufig verbreitete Annahme ein, Rechtsextremismus sei ein „männliches Problem“. Im Folgenden thematisiert sie den Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages und erklärt, warum die dort vorgeschlagenen Maßnahmen nicht geeignet sind, um dem Problem der mangelnden Wahrnehmung rechtsextremer Frauen durch die Sicherheitsbehörden entgegenzuwirken.
Die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus hatte sich im Vorfeld in einer Empfehlung geäußert und konkrete Vorschläge in Bezug auf das Thema „Frauen in der rechten Szene“ unterbreitet. Forschung und praktische Erfahrung belegen, dass Phänomene rechter Strukturen nicht ausreichend erfasst werden können, wenn eine geschlechtsspezifische Betrachtung fehlt. Dies wurde auch im Zusammenhang mit dem NSU besonders deutlich: Der Terrorgruppe, ihrem Umfeld und ihren Unterstützerinnen und Unterstützern war es auch deswegen möglich, so lange unerkannt schwerste Straftaten zu begehen, weil die Rolle von Frauen in der rechtsextremen Szene seitens der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden unterschätzt wurde. Nicht zuletzt diente das Stereotyp der „friedfertigen und unpolitischen“ Frau dem Trio als „bürgerliche Fassade“ zur Tarnung der rechtsterroristischen Aktivitäten. Die geringe Sensibilität der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden führt dazu, dass das Handeln rechtsextremer Frauen aus dem Blick gerät und kaum Beachtung findet. Da Frauen in der organisierten rechtsextremen Szene oft in zweiter Reihe agieren, ist hier jedoch eine besonders hohe Aufmerksamkeit notwendig.
Für die effektive Bekämpfung rechtsextremer Gewalt in allen Bereichen (Repression, Prävention, Intervention, Sensibilisierung der verantwortlichen Stellen) muss das Thema Rechtsextremismus und Gender als Handlungsfeld für die Sicherheitsbehörden anerkannt und verankert werden, d.h. es müssen ganz konkret rechtsextreme Frauen und rechtsextreme Familienstrukturen auf unterschiedlichen Ebenen in den Blick genommen werden. Dies findet sich leider in dem Bericht an keiner Stelle.
Fundstücke
Im Bericht enthalten sind einzelne „Fundstücke“ zum Thema, die jedoch nicht im Rahmen des Kapitels „Gemeinsame Schlussfolgerungen“ Eingang in die zentralen 47 Empfehlungen des Ausschusses gefunden haben.
An erster Stelle ist hier das kurze Kapitel zu „Frauen in der Szene“ (S. 147) zu nennen, in dem die Rechtsextremismusexpertin und Sachverständige Andrea Röpke zitiert wird, die auf die wichtige Rolle von Frauen in der organisierten rechten Szene hinweist. Sie hebt hierbei exemplarisch insbesondere das Wirken von Frauen in der „Wiking-Jugend“ (rechtsextreme Kinder- und Jugendarbeit), der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG) und der rechtsterroristischen „Kameradschaft Süd“ aus München hervor. Zudem seien gerade auch im Umfeld des NSU auffällig viele Frauen als Unterstützerinnen tätig gewesen.
Im Rahmen der „Ergänzenden Stellungnahmen der Fraktionen“ hebt die FDP-Fraktion auch die Bedeutung von Fragen nach der „Rollenverteilung des Trios“ und der Rolle von Beate Zschäpe im NSU hervor. Diesbezügliche Erkenntnisse seien von besonderem Interesse, „um das Problemfeld Frauen im Rechtsextremismus zu erschließen“ (S. 914f). Der Frauenanteil in der rechten Szene nehme nach Angabe der Bundeszentrale für politische Bildung immer mehr zu. Aus Gründen der Rechtsextremismusprävention müsse dem Ansatz nachgegangen werden.
Die Fraktion Die Linke beschreibt es als eine Leistung zivilgesellschaftlicher Initiativen und Einzelpersonen, auf die wichtige Rolle von Frauen in Neonazinetzwerken hinzuweisen (S. 1025).
Im von allen Fraktionen im Konsens mitgetragenen Abschnitt „Gemeinsame Bewertungen“ findet sich im Kapitel „Kontinuierliche Unterstützung für Demokratieförderung“ schließlich die folgende Passage:
„Im präventiven Bereich sollten strategische und positiv evaluierte Ansätze und Strukturen beispielsweise aus dem Bereich […] der geschlechtersensiblen Auseinandersetzung mit der Neonaziszene […] identifiziert und zu ganzheitlichen Ansätzen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene weiter entwickelt werden.“ (S. 867)
Gemeint ist hier die vom Bund geförderte Demokratiearbeit zivilgesellschaftlicher Initiativen und Beratungsstellen – eine Verknüpfung mit der Arbeit der Sicherheitsbehörden ist nicht angesprochen.
Ausblick
Die von allen Fraktionen getragenen 47 Empfehlungen zu den Aus- und Fortbildungen der Polizeien (Empfehlung Nr. 21, S. 865), der Richter, der Staatsanwälte und der Justizvollzugsbediensteten (Empfehlung Nr. 30, S. 866) sehen immerhin vor, dass die Wissenschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen hierbei – in nicht näher beschriebener Art – einbezogen werden. Allerdings ist es auch Aufgabe staatlicher Stellen selbst, ihren Leerstellen entgegenzuwirken, die etwa aus rassistischen Denk- und Wahrnehmungsschemata oder auch aus der Nichtbeachtung der Genderperspektive entstehen. Es reicht nicht, lediglich allgemein auf die Zivilgesellschaft zu verweisen.
Einen wirklich scharfen Blick auf die angesprochenen Problematiken und den Willen, tiefgreifende Konsequenzen zu ziehen, lässt der Bericht vermissen. Somit besteht weiterhin die Gefahr, dass Sicherheitsbehörden den tatsächlichen Beitrag rechtsextremer Frauen im organisierten Rechtsextremismus verkennen und im schlimmsten Fall begünstigen. Als „unpolitisch“ angesehene (familiäre) Rückzugsräume für Rechtsextreme können entstehen und bleiben „unsichtbar“. Um dem entgegenzuwirken müsste unserer Ansicht nach in Aus- und Fortbildungen von Polizei, Justiz und Geheimdiensten eine geschlechterreflektierende Perspektive auf die Wahrnehmung und Analyse von Rechtsextremismus vermittelt werden. Die Schulung von PolizeibeamtInnen zu Verläufen von gewaltförmigen Situationen sollte sie dazu befähigen, die Tatbeteiligung von Frauen wahrzunehmen und zu dokumentieren. Auch das Monitoring von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten und von Strukturen der extremen Rechten sollte geschlechtsspezifisch erfolgen. Diese einfach und schnell umsetzbaren Maßnahmen wären ein wirksamer Schritt, um das Thema Rechtsextremismus und Gender als Handlungsfeld für die Sicherheitsbehörden zu verankern.
Stellungnahme der Genderfachstelle zum NSU-Untersuchungsausschuss
Abschlussbericht des NSU Untersuchungsausschuss zum Download