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Geithain ist nicht Bollywood

Nach einem Sprengstoff-Anschlag auf seine Pizzeria gibt Mohamed Abid Sayal auf. Aus Angst. Seit der Eröffnung zu Beginn des Jahres wird der junge Mann von Neonazis belästigt und bedroht.

Ein Kommentar von Kerstin Köditz

Bollywood, so weiß jeder, der auch nur einen Film aus der indischen Traumfabrik gesehen hat, steht für Lebensfreude, für Musik, Tanz, große Gefühle, Buntheit. Natürlich handelt es sich um Kitsch. Aber um Kitsch, der so kitschig ist, dass es schon wieder Kult wird. Jeder, der auch nur einmal in Geithain war, weiß, dass diese Kleinstadt nichts, aber auch gar nichts mit dem asiatischen Pendant von Hollywood zu tun hat. Statt fröhlichem Lärm bedrückende Stille. Statt lebensfroher Buntheit tristes Einerlei. Bollywood will die Welt erobern, Geithain lieber unter sich bleiben und nicht wahrgenommen werden. Es ist der eher Albtraum und nicht der Traum.

Wenn sich dann eine Pizzeria, ausgerechnet in Geithain, „Bollywood“ nennt, sorgt schon der Name für Aufmerksamkeit. Er verspricht etwas Besonderes, auch wenn es dort nur Döner vom Pakistani gibt. Diese Stadt, so mag sich der Inhaber, der inzwischen 30-jährige Mohamed Abid Sayal, gedacht haben, kann ein wenig Flair der großen weiten Welt gebrauchen. Er wollte ihn ihr bringen.

Heute steht Mohamed Abid Sayal vor den Trümmern seiner Existenz. Der Traum hat sich schnell, viel zu schnell verflüchtigt. Er ist zum andauernden Albtraum geworden. Nach dem Sprengstoffanschlag vom vergangenen Wochenende ist er am Ende. Er hat Angst, er will aufgeben. Wer wollte es ihm verdenken? Die „Initiative für ein weltoffenes Geithain“, ein Projekt von leider viel zu wenigen couragierten Bürgerinnen und Bürgern, fragt erschüttert: „Was ist los in unserer sonst so schönen und bis vor einigen Jahren lebenswerten Kleinstadt? Warum werden Menschen verletzt oder gar mit dem Tode bedroht, nur weil sie anders denken, anders aussehen, woanders herkommen?“

Für Mohamed Abid Sayal fing der Ärger bereits vor der Eröffnung am 1. Januar 2012 an. In der Nacht zuvor zerstörten Unbekannte die Fensterscheibe seines Ladens. Weitere Zerstörungen und Bedrohungen folgten. Vor einer Woche dann der Höhepunkt bis zu jenem Zeitpunkt. Eine Gruppe von ca. zehn Neonazis, zum Teil vermummt und mit Messern bewaffnet, drohte: „Wenn du den Laden morgen wieder aufmachst, bist du tot.“ Herr Abid Sayal öffnete trotzdem wieder. Und erlebte den bisher schwersten Anschlag, die Explosion eines mutmaßlich vom Täter selbst gebastelten Böllers mit enormer Sprengkraft. Juristisch ausgedrückt handelt es sich um das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion (§ 308 Strafgesetzbuch), somit um eine Tat, für die eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vorgesehen ist.

Nach Sprengstoffanschlag Zynismus vom LKA

Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Polizei nach einer Straftat in alle Richtungen ermittelt. Dafür bedarf es keiner Verlautbarung des Landeskriminalamtes. Erst recht keine, in der nicht mehr steht, als dass ein „rechtsradikaler Hintergrund“ nach aktuellem Stand nicht bestätigt werden könne. Für den Betreiber müssen solche Äußerungen, zusammen mit der polizeilichen Vermutung, es könne sich auch um einen Anschlag aus Konkurrenzneid handeln, wie blanker Zynismus klingen. Wurde nicht auch bei den Morden des NSU zunächst fast ausschließlich nach möglichen Urhebern im kriminellen Milieu, bei einer Art Mafia, gesucht? Wird das sächsische LKA zur Aufklärung jetzt nach bayerischem Vorbild in Geithain selbst einen Imbiss eröffnen?

Wohlgemerkt: ich will gar nicht ausschließen, dass es einen anderen als einen politischen Hintergrund geben könnte. Es ist zumindest beruhigend, dass mit der Soko Rex nunmehr Fachleute mit den Ermittlungen betraut sind. Aber ein LKA-Chef, der auch nur annähernd mit dem Ernst der Lage vertraut ist, hätte den Tatort nicht nur seinen Beamten überlassen, sondern wäre selbst am Wochenende in Geithain aufgetaucht, um zu zeigen, dass der Anschlag die angebrachte Aufmerksamkeit erfährt. Er hätte vor Ort darauf hingewiesen, dass sich sein Amt nunmehr verstärkt der überfälligen Bekämpfung der Neonazi-Szene des Ortes widmen werde. Er hätte den Inhaber ermutigt, weiter in der Stadt zu bleiben und ihm Schutz zugesichert.

Vor allem aber hätte ein verantwortungsbewusster LKA-Chef darauf hingewiesen, dass sich das akute Problem mit Neonazis in Kleinstädten wie Geithain, Colditz, Burgstädt oder Limbach-Oberfrohna auch wegen der Ausdünnung der Polizeipräsenz in der Fläche derart zuspitzen konnte. Er hätte bei dieser Gelegenheit gefordert, dass die Kürzungsvorhaben im Bereich der Polizei umgehend zurückgenommen werden. Er hätte davor gewarnt, dass sich die Lage weiter verschlechtern wird, wenn die Pläne des Innenministers umgesetzt werden. Das wäre eine richtige und notwendige Reaktion, egal wo die Täter in diesem Fall zu verorten sind.

LKA-Präsident Dr. Jörg Michaelis weiß dies alles selbstverständlich. Er handelt nur nicht entsprechend. Für die Betroffenen einer verfehlten Politik der Inneren Sicherheit, wie den Geithainer Imbissbetreiber, ist es dabei unerheblich, ob dies aus seiner Parteidisziplin für die CDU, deren Landesschiedsgericht er vorsteht, oder wegen seiner Karriereplanung erfolgt. Er mag sich zu Höherem als zum LKA-Präsidenten berufen fühlen. Dass er dazu nicht befähigt ist, hat er am Wochenende demonstriert.

Die örtlichen Nazis jubeln unterdessen. Am Montag meldete das „Freie Netz Geithain“ per Twitter: „Märchen mit gutem Ende? Pakistanischer "Bollywood"-Betreiber packt seine Koffer: ‚Niemand kann mir Sicherheit garantieren. Ich gebe auf.‘“ Ein gutes Ende? Ein gutes Ende wäre es, wenn dieser Anschlag endlich zum Anlass genommen, konsequent und nachhaltig gegen die Nazi-Szene in Geithain vorzugehen.

Kerstin Köditz, 45, ist Landtagsabgeordnete der Linken in Sachsen. Sie ist Sprecherin der Fraktion für antifaschistische Politik.

Spendenaufruf der RAA Sachsen

In der Nacht zum 06.05.2012 positionierten sich ungefähr zehn Leute vor dem Geschäft eines Gewerbetreibenden mit Migrationshintergrund und riefen rassistische Parolen wie z.B. „Du bist Ausländer, du musst hier weggehen“. Einige der Angreifer führten Messer bei sich. Die Pizzeria war schon geschlossen, jedoch war noch ein Angestellter anwesend, welcher der akuten Bedrohung durch die Neonazis ausgesetzt war.

Es wurde mit einer Flasche gegen die Scheibe geschlagen und ein Stein geworfen, welcher in der Kühltheke der Pizzeria landete. Dadurch entstand ein hoher Sachschaden. Bevor die Neonazis den Tatort verließen, sprachen sie noch eine Drohung aus: „Die Pizzeria musst Du zumachen, sonst machen wir Dich tot“. Eine Woche später detonierte vor der Pizzeria kurz nach Mitternacht ein Sprengsatz mit einer enormen Sprengkraft. Das Wohnhaus musste evakuiert werden, glücklicherweise wurde niemand verletzt. Das Geschäft ist dadurch erheblich beschädigt worden, die Inneneinrichtung wurde dabei zum Teil völlig zerstört.

Das Lokal kann derzeit nicht wieder in Betrieb genommen werden. Die Betroffenen fühlen sich in Geithain nicht mehr sicher und wollen das Lokal nicht wieder eröffnen.
Der damit einhergehende Verdienstausfall sowie der hohe Sachschaden, der momentan nicht genau beziffert werden kann,  bedeuten eine finanzielle Belastung für die Geschädigten.
Nicht zum ersten Mal wurde die Pizzeria das Ziel von Angriffen. Seit der Eröffnung im Januar 2012 gab es zwei Sachbeschädigungen und eine Bedrohung.
Die Opferberatung verurteilt diese Angriffe und solidarisiert sich mit den Betroffenen.

Wir hoffen, durch diesen Spendenaufruf zumindest die finanziellen Angriffsfolgen bei den Geschädigten zu minimieren. Helfen Sie dabei! Im Namen der Betroffenen danken wir für jede Spende.

Spendenkonto:
RAA Sachsen e.V.
Konto: 0643998600
BLZ: 850 802 00
Commerzbank AG, Filiale Hoyerswerda
Verwendungszweck:  Opferfond

 

Ruhig und beschaulich? Geithain in Sachsen, Foto: Gunnar Wrobel, via flickr, cc