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"Wir brauchen endlich eine Kultur der Anerkennung"

Volker Beck ist Bundestagsabgeordneter und menschenrechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Wir sprachen mit ihm über die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und über die Konsequenzen aus der rechtsterroristischen Mordserie.
 
Das Interview führten Jan Rathje und Linda Polónyi
 
Angesichts der rassistischen Mordserie und den Erkenntnissen über den „Nationalsozialistischen Untergrund“ werden verschiedenste Handlungsmöglichkeiten diskutiert, u.a. ein NPD-Verbot. Welche sind Ihrer Meinung nach die sinnvollsten Mittel zur Bekämpfung des Rechtsextremismus?
 
Wenn man die NPD verbietet, prügeln und hetzen die Neonazis trotzdem weiter. Es spricht aber einiges dafür, der NPD das Parteienprivileg und damit die staatliche Parteienfinanzierung zu entziehen. Da einige Innenminister an ihren V-Leuten festhalten wollen und die Hürden des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sehr hoch sind, sehe ich juristisch keine großen Erfolgschancen. Deshalb halte ich auch vom Aktionismus in der aktuellen NPD-Verbotsdebatte wenig.  Letztlich lenkt die Verbotsdebatte von den zentralen Fragen ab: Ist die Zivilgesellschaft für den Kampf gegen Menschenfeindlichkeit gerüstet? Warum entsteht zu oft der Eindruck, die Sicherheitsbehörden stehen auf der falschen Seite? Das sind eigentlich die Fragen dieser Tage.

Auch werden aus den Reihen der Bundesregierung Überlegungen laut, die betroffenen Bundesbehörden zu reformieren. Reicht eine Umstrukturierung aus, oder spielt das Menschenbild eine größere Rolle, das sich etwa in Begriffen wie "Dönermorde" oder der Sonderkommission "Bosporus" ausdrückt?

Sowohl als auch. Die Sprache von Medien, Politik und den Ermittlungsbehörden lässt einen tief verwurzelten Rassismus erkennen, der bei Behörden mit einer rechten Sehschwäche einher geht. Ob und wo es sich nun um Ermittlungspannen und wo um bewusste Vertuschung gehandelt hat, müssen wir nun öffentlich und lückenlos aufklären und die Konsequenzen ziehen. Leider weiß in diesem Chaos von 19 unterschiedlich agierenden Geheimdiensten der eine nicht, was der andere macht. Eine Grundlegende Reform ist überfällig. Außerdem muss die Kontrolle der Geheimdienste deutlich verbessert werden.
 
Sie haben im Haushaltsverfahren ein mit 50 Millionen Euro ausgestattetes Programm zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit beantragt. Wie ist nun, da der Antrag leider abgelehnt wurde, ihr weiteres Vorgehen?
 
Wir werden den Druck noch weiter erhöhen. Dass Handlungsbedarf besteht, leugnen inzwischen nicht einmal mehr die rechten Hardliner in der Union. Letztlich werden wir aber erst nach der nächsten Bundestagswahl, gemeinsam mit der SPD, unsere Pläne für ein Programm gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit umsetzen können, mit dem wir uns auch von dieser lästigen Extremismusdebatte verabschieden. Homophobie, Rassismus oder auch Antisemitismus gibt es nicht nur bei Nazis. Wir finden sie überall und müssen deshalb die Möglichkeiten schaffen, sie auch überall zu bekämpfen.
 
Sie fordern die Abschaffung der Extremismusklausel. Worin sehen Sie das größte Problem dieses Bekenntnis-Zwangs?
Wir brauchen endlich eine Kultur der Anerkennung für die aufrechten Initiativen und Einzelkämpfer, die in Räumen rechtsextremer Hegemonie die demokratische Fahne hochhalten. Schluss mit unbegründetem Misstrauen. Die Familienministerin muss nun die Extremismusklausel zurücknehmen und ihre Programme gegen Rechts auf weitere Hemmnisse überprüfen. Ihr ideologischer Kampf gegen die Zivilgesellschaft schadet der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Zumal der Bund bei anderen Zuwendungsempfängern, beispielsweise den Vertriebenenverbänden, auf eine solche Klausel verzichtet. Obwohl sie dort angemessen wäre. Die Klausel ist deshalb eine einseitige Diskriminierung.
 
Verhindern Arbeitsbegriffe der Behörden, wie der Extremismus-Begriff, eine effektive Bekämpfung von rechtsradikalen Tendenzen in der Gesellschaft?
 
Auf der einen Seite brennen Autos, auf der anderen sterben Menschen. Beides verurteile ich. Die Gleichsetzung von beidem zeugt aber von einem Mangel an Menschlichkeit. In Deutschland sind seit der Wende nach Zählung der Amadeu Antonio Stiftung 182 Menschen Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt zu beklagen.  Viele Menschen können sich zudem in Deutschland nicht frei bewegen, weil es Orte und Regionen gibt, in denen sie um ihre körperliche Unversehrtheit bangen müssen. Die breite gesellschaftliche Zustimmung zu rassistischen, antisemitischen und homophoben Einstellungen ist alarmierend. Da gibt es nichts zu beschönigen. Die Extremismusdebatte lenkt den Blick auf gefährliche Ränder und bagatellisiert dabei den alltäglichen Rassismus.
 
Im Moment ist das Problem Rechtsextremismus im Zentrum des öffentlichen Bewusstseins und der politischen Diskussion. Wie kann erreicht werden, dass die Thematik nicht wieder in Vergessenheit gerät, sondern dauerhaft auf der Agenda der deutschen Politik steht?

 
Alle Themen unterliegen Konjunkturschwankungen. Bei Neonazis, Rassismus und Antisemitismus ist das aber besonders ausgeprägt. Das Schema ist immer gleich: Es muss erst einen rechtsextremen Übergriff geben oder die NPD wird in einen ostdeutschen Landtag gewählt. Am nächsten Tag sind alle entsetzt und man kann die Zeit stoppen, bis der Erste das NPD-Verbot fordert. Darüber diskutieren wir dann ein paar Tage bevor wir wieder zum Alltag übergehen. Die Politik ist da aber nicht besser als der Rest der Gesellschaft. Deshalb braucht es Projekte wie Mut gegen rechte Gewalt, die hier immer den Finger in die Wunde halten, aufklären und Tipps geben.
 
Mit unserem Internetportal „Mut gegen rechte Gewalt“ unterstützen wir auch kleine Initiativen, die sich direkt vor Ort gegen Neonazis und Rassismus einsetzen. Was denken Sie: Kann in kleinen Schritten ein so großes Problem angegangen werden?
 
Die Bekämpfung von menschenfeindlichen Einstellungen und Neonazistrukturen ist nur lokal zu gewinnen. Deshalb ist der Ansatz von Mut gegen rechte Gewalt und der Amadeu Antonio Stiftung ja auch der richtige. Die Auseinandersetzung findet auf Straßen und den Stammtischen statt. Im Freundeskreis und der Familie. Wer nicht widerspricht, macht mit.
 
Wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen der Bundestagsdebatte vom 22. November 2011?
 
Die Debatte fand erst auf unsere Initiative hin statt. Sie war ein wichtiges Signal an die Angehörigen und Opfer des Naziterrors. Das war uns wichtig. Zu beschämend hat sich der Staat über zehn Jahre lang verhalten. Im unserem gemeinsamen Entschließungsantrag der aller Fraktionen einigten wir uns zudem auf darauf, prüfen zu wollen, wo den Projekten in der Förderung Hindernisse entgegenstehen. Dieser Punkt war für uns Bedingung für einen gemeinsamen Antrag. Nun erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie dem Prüfauftrag nachkommt, an dessen Ende logischer Weise die Abschaffung der Extremismusklausel stehen muss. Deshalb bin ich mit der Debatte zufrieden.
 
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!
 
 

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Foto: Volker Beck, von Grüne Bundestagsfraktion, via Flickr, cc