Sie sind hier

„Ein Stück Politik zurück ins Straßenbild“

Die Initiative „Aktives Gedenken“  setzt sich in Berlin- Friedrichshain seit Jahren für ein würdiges Erinnern an den 1992 von Neonazis ermordeten Silvio Meier ein. MUT sprach mit der Gruppe über ihr Engagement und ihre Beweggründe.

Was versteckt sich hinter „Aktives Gedenken“? Wie setzt sich die Initiative zusammen?

Die Initiative für ein aktives Gedenken entstand aus dem Wunsch, eine Straße in Berlin-Friedrichshain nach Silvio Meier zu benennen. Anlässlich des Todestages von Silvio findet jedes Jahr am 21. November eine Mahnwache an der Gedenktafel im U-Bahnhof Samariterstraße statt. Die alljährliche Silvio-Meier-Gedenkdemonstration, die immer aktuelle Probleme mit Neonazismus und Rassismus thematisiert, hat sich mit mehreren tausend Teilnehmern  zur größten regelmäßig stattfindenden antifaschistischen Demonstration in Berlin entwickelt. Auch diese Aktionen werden von unserer Initiative unterstützt.

Unsere Initiative besteht aus engagierten Antifaschisten  mit verschiedenen Hintergründen. Auch Vertretern  aus Vereinen, Parteien, linken Gruppen und Einzelpersonen  aus Friedrichshain leisten ihren Beitrag in der Initiative.

Wann und warum habt ihr euch gegründet? Was ist eure private Motivation?

Wir haben uns im Herbst 2010 im Rahmen bzw. nach einer Podiumsdiskussion gegründet, die im Kontext der 18. Silvio-Meier-Gedenkdemonstration stattfand. Unser Ziel bzw. unser Hauptforderung ist es, eine Straße nach Silvio Meier zu benennen. Wir wollten damit ein Stück Politik zurück ins Straßenbild bringen. Im Zuge dieses Wunsches wurde ein weiteres Anliegen von uns nie aus den Augen verloren: eine intensive Auseinandersetzung mit der Person und Geschichte Silvio Meiers.

Die Forderung nach einer Straße für Silvio Meier stand bereits viele Jahre im Raum, wurde im Kontext der Demonstrationen und Mahnwachen immer wieder geäußert – aber von offizieller Seite, also dem Bezirk, gab es keine Reaktion. Die meisten von uns hatten sich schon längere Zeit bei den Gedenkaktionen engagiert und wollten mit der Gründung der Initiative der Forderung Nachdruck verleihen.

Was steckt hinter dem Namen?

„Aktives Gedenken“ spiegelt unseren Anspruch an das Gedenken wieder: Es soll „lebendig“ sein, also von Unten – aus der Bewegung heraus – getragen werden. Dadurch zeichnet sich das Gedenken an Silvio Meier übrigens von Anfang an aus. Außerdem wollen wir mit unserer Arbeit einen Bezug zum Alltag der Menschen herstellen.

Mit welchen Aktionen habt ihr auf euer Anliegen aufmerksam gemacht?

Wir haben einen offenen Brief geschrieben und damit Gewerbetreibende, Einzelpersonen und Initiativen angesprochen, ob sie unser Anliegen unterstützen. Die Rückendeckung, die wir dadurch bekommen haben, war groß.

Weiterhin haben wir mehrere Infotische im Bezirk durchgeführt, um die Bewohner  aus dem Kiez anzusprechen. Danach bzw. während dessen erfolgten diverse Gespräche mit potenziellen Partnern  (BVG, Bezirksamt,  Politikern,  Journalisten, Kiezinitiativen, etc.).

"Nebenbei" haben wir die politischen Vertreter  in den zugehörigen Bezirksausschüssen begleitet, nachdem es ein Zugeständnis verschiedener Parteien der Bezirksverordnetenversammlung für ein würdiges Gedenken an Silvio Meier gab. Wir haben sozusagen Druck durch Öffentlichkeit aufgebaut und dies auch auf unserer Homepage dokumentiert.

Wie sind die Reaktionen? Bekommt ihr Unterstützung aus der Politik oder Bevölkerung?

Im Kiez ist das Gedenken an Silvio Meier seit vielen Jahren fest verankert, entsprechend wird auch die Forderung nach einer Straßenumbenennung breit unterstützt. Beispielsweise wurden wir bei unseren Infoständen sehr häufig von Bürgerinnen und Bürgern gefragt, wie sie sich beteiligen können. Neben Einzelpersonen wird »Aktives Gedenken« von vielen Friedrichshainer Initiativen, Gewerbetreibenden und Antifagruppen unterstützt.

Warum setzt ihr euch ausgerechnet für eine Straßenumbenennung ein? Findet ihr die anderen Gedenkformen nicht ausreichend?

Wie schon erwähnt, unterstützen wir die jährliche stattfindende Gedenkdemonstration an Silvio Meier und beteiligen uns auch aktiv an der Mahnwache zu seinem Todestag. Die verschiedenen Gedenkformen stehen für uns nicht gegeneinander, sondern ergänzen sich vielmehr. Mit der Forderung nach einer Straßenumbenennung wollen wir einen öffentlichen Ort durchsetzen, der die jüngste Geschichte des Bezirks sichtbar macht. Wir wollen erreichen, dass sich über den Todestag hinaus mit der Person Silvio Meier, mit linker - auch oppositioneller - Jugendkultur in der DDR, Neofaschismus in den 1990er Jahren, Antifaschismus und auch Hausbesetzungen beschäftigt wird. Wir finden die Zeit für eine „offizielle“ Würdigung Silvio Meiers durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist reif.

Was glaubt ihr ändert die Straßenumbenennung im Bezirk?

Wir denken, dass durch die Umbenennung ein weiterer Gegenpol zu einer voranschreitenden Entpolitisierung des Straßenbildes im Bezirk erzeugt wird. Es geht um eine Auseinandersetzung mit dem Mord an Silvio abseits vom Todestag. Und es geht uns darum, dass als „Randgruppenphänomen“ behandelte Themen wie Antifaschismus eine Wertschätzung auf parlamentarischer Ebene erhalten. Denn Gewalt von Neonazis im Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg ist leider nicht Geschichte, sondern immer noch aktuell.

Wie stehen die Angehörigen zu der Idee einer Umbenennung?

Seit Bestehen der Initiative stehen wir im Kontakt mit den Angehörigen und Freunden von Silvio. Er starb, weil er sich politisch gegen Neonazis engagierte. Dieses Engagement wurde von der Politik damals nicht ernst genommen, die Gefahr durch faschistisches Gedankengut wurde nach der Tat verharmlost oder sogar totgeschwiegen. Die Ermordung eines vermeidlich „Linken“ durch rechte Jugendliche wurde von einigen Politikern so hingestellt, als sei Silvio Opfer einer Art „Bandenkrieg“ geworden und gar selbst an seinem Tod schuld. Die Straßenumbenennung empfinden die meisten Freunde und Angehörigen als anerkennenswertes Zeichen des Umdenkens seitens der Berzirksverordnetenversammlung und unterstützen uns hier in unserer Forderung.

Sie und wir finden, dass eine tiefer gehende Auseinandersetzung, mit dem Thema rechter Gewalt und Rassismus stattfinden muss, als "nur" eine Straße umzubenennen.

Natürlich fällt es ihnen schwer Silvio Meier, den Freund, Lebensgefährten oder Vater an einem Ort zu „verewigen“, akzeptieren aber die geschichtliche Komponente seiner Person.

Was sagt ihr zu den Vorwürfen, dass Silvio Meier als Symbolfigur missbraucht wird?

Wir können die Kritik Silvio als Symbolfigur oder noch schlimmer als Märtyrer darzustellen nicht nachvollziehen. Für uns steht Silvio für all diejenigen, die gerade Anfang der 90ziger Jahre von Neonazis ermordet wurden. Hier sei nur daran zu erinnern, dass die Pogrome vom Rostock -Lichtenhagen gerade vorbei waren und am selben Wochenende die Morde in Mölln stattfanden. Verweisen möchten wir in diesem Zusammenhang auch auf das Interview mit Ekkehard Spiegel, einem Freund von Silvio, der sich zu dieser Frage ziemlich klar äußert. Es ist auf unserer Homepage nachzulesen.

Was kommt nach der Straßenumbenennung?

Hauptziel unserer Initiative war und ist die Benennung einer Straße nach Silvio Meier bis zu seinem 20. Todestag. Dafür haben wir uns seit November 2010 eingesetzt. Nach langem Hin und Her sowie dem klaren Votum einer Bürgerveranstaltung im Frühling 2012 hat auch der Bezirk dieses Anliegen vorangetrieben. Künftig soll nun die „Gabelsbergerstraße“  nach Silvio Meier benannt werden. Durch eine Klage von Gewerbetreibenden ist die Umbenennung nun leider aufgeschoben.

Wir bedauern dies sehr und werden uns weiterhin für eine schnelle Umsetzung stark machen. Was nach der Straßenumbenennung kommt, können wir noch nicht genau sagen. Aber Ihr werdet weiterhin von uns hören.

 

Das Interview führte Diana Buhe

 

Mehr Informationen gibt es unter: aktivesgedenken.de

 

 

Verwandte Artikel: 
name; } ?>
name; } ?>
name; } ?>
name; } ?>
Seit 1990 sind 182 Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen - Silvio Meier wurde im November 1992 ermordet, Foto: c, PM Cheung