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„Wichtig ist die aktuelle Lage“

Matthias Quent untersucht in seinem Buch „Mehrebenenanalyse rechtsextremer Einstellungen“ anhand einer Auswertung verschiedener Daten aus Thüringen und Hessen, was die tatsächlichen Ursachen für Rechtsextremismus in der Gesellschaft sind.

Von Anna Brausam

Wie kommt es, dass viele Menschen der Meinung sind, dass das Phänomen Rechtsextremismus ein überwiegend ostdeutsches Problem sei? Antworten auf diese Frage gibt es viele. Da wird zum einen angeführt, dass Menschen aus Ostdeutschland aufgrund ihrer autoritären Erfahrungen mit dem DDR-Regime eher dazu neigen rechtsextreme Einstellungen zu hegen als Westdeutsche, mit einer demokratischen Sozialisation. Aber auch die Tristesse der ländlichen Regionen in Ostdeutschland werden in diesem Zusammenhang als Grund für ein verstärktes Auftreten rechtsextremer Positionen angeführt.

Rechtsextremismus – ein rein ostdeutsches Problem?

Der Soziologe Matthias Quent hat nun ein Buch veröffentlicht, in dem er sich unter anderem mit der Frage auseinandersetzt, ob es sich beim Rechtsextremismus tatsächlich um ein rein ostdeutsches Phänomen handelt. Zu diesem Zweck hat er sich exemplarisch ein ostdeutsches und ein westdeutsches Bundesland (Thüringen und Hessen) herausgegriffen, um anhand von Studien zum Thema Rechtsextremismus beider Länder die tatsächlichen Ursachen rechtsextremer Einstellungen zu ergründen.

Mit Rechtsextremismus meint er jedoch nicht dessen organisierte Form mit gefestigter Ideologie am rechten Rand, er untersucht vielmehr dessen Erscheinungsform in der gesellschaftlichen Mitte. Rechtsextreme Einstellungen sind demnach kein bloßes Randphänomen, sondern Matthias Quent will verdeutlichen, dass Rechtsextremismus viele Gesichter hat. Es geht ihm folgerichtig darum, „den inhaltlichen Charakter der Ideologie sowie die Verbreitung dieser menschenfeindlichen Orientierung in allen Schichten, Klassen oder Milieus der Gesellschaft“ aufzuzeigen.

Bei der Analyse der Studien kommt Matthias Quent zu dem Ergebnis: „Es ist festzustellen, dass von der Herkunft aus dem ost- beziehungsweise westdeutschen Bundesland kein bedeutsamer Effekt auf die Rechtsextremismusaffinität der Wohnbevölkerung mehr ausgeht, wenn man die wirtschaftliche Situation der jeweiligen kreisfreien Städte und Landkreise berücksichtigt. Dies widerlegt die populäre Annahme, dass die autoritäre DDR-Sozialisation auch heute noch zentrale Ursache für die stärkere Ausbreitung rechter Gedanken in Ostdeutschland ist: Wichtig ist die aktuelle Lage.“

Demnach ist nicht die ostdeutsche Vergangenheit der ausschlaggebende Grund für Rechtsextremismus, sondern es müssen vielmehr sozioökonomische Faktoren bei der Erforschung von rechtsextremen Einstellungen herangezogen werden. So begünstigt eine desolate wirtschaftliche Lage in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und der Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte unabhängig davon, ob in Ost- oder Westdeutschland, oftmals eine rechtsextreme Gesinnung.

Eine „Mehrebenenanalyse“ zur Erforschung rechtsextremer Einstellungen

Bei der Erforschung von Rechtsextremismus in der Bundesrepublik können Länder also nicht einfach miteinander verglichen werden, ohne auch die spezifischen lokalen Herausforderungen und Problemkonzentrationen zu berücksichtigen. Matthias Quent plädiert aus diesem Grund für eine „Mehrebenenanalyse“, die bei der Untersuchung von rechtsextremen Einstellung in Deutschland eben jene Faktoren nicht aus dem Blick verliert. „Hinter dem etwas sperrigen Begriff Mehrebenenanalyse verbirgt sich eine Methode der empirischen Sozialforschung, die es möglich macht, neben individuellen Eigenschaften (zum Beispiel Bildung) auch Effekte der sozialen Umwelt (zum Beispiel Arbeitslosenquote im Landkreis) zu überprüfen. Durch rein zahlenmäßige Vergleiche politischer Einstellungen zwischen Regionen lassen sich keine sauberen Rückschlüsse auf die Ursachen der Ungleichverteilungen dieser Orientierungen gewinnen, da die – möglicherweise ausschlaggebenden – individuellen Faktoren nicht berücksichtigt werden“, so Matthias Quent.

Die zentrale Frage in seinem Buch lautet deshalb nicht, ob Ostdeutschland eine höhere Rechtsextremismusaffinität aufweist, Matthias Quent fragt sich vielmehr: „Ist bei Personen aus einem wirtschaftlich abdriftenden Landkreis auf Grund der Wirtschaftslage ihrer Region der Rechtsextremismus weiter verbreitet?“ Und die Befunde der Studien bejahen diese Frage.

Verdichtung von Problemlagen im ländlichen Raum

„Oftmals kommt es in ländlichen Regionen zu einer Verdichtung von Problemlagen, die den Rechtsextremismus begünstigen: wirtschaftliche Strukturschwäche und verhärtete Konkurrenz zwischen den Regionen und den Menschen, Abwanderung der besser (aus)gebildeten Menschen, kulturelle Monotonie, ein politisches Klima, das sehr auf den eigenen Ruf bedacht ist und Rechtsextremismus nicht problematisiert. Die Menschen fühlen sich zudem zum Teil zu Recht im Stich gelassen und abgehängt, weil die soziale und kulturelle Struktur immer stärker ausdünnt. Mit der Besinnung auf Volk, Nation oder ‚Rasse‘ kann unter Umständen die wahrgenommene Abgehängtheit kompensiert werden,“ sagt Matthias Quent.

Vor allem Jugendliche im ländlichen Raum sind aufgrund von Perspektivlosigkeit und sehr geringen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung anfälliger für rechtsextreme Einstellungen. Denn in Zeiten sozialer Unsicherheit ist es der Rechtsextremismus der vordergründig auf komplexe Problemlagen einfache Lösungen bietet. Genau hier müssen Programme gegen Rechts ansetzen. Es muss auf die spezifischen Bedürfnisse vor Ort eingegangen werden, nur so fühlen sich die dort lebenden Menschen ernst und vor allem wahrgenommen, wenn ihre Probleme gehört werden.

Das Projekt der Amadeu Antonio Stiftung „Region in Aktion – Kommunikation im ländlichen Raum“ hat sich genau dieses Vorhaben zum Ziel gesetzt: Angepasst an die spezifischen lokalen Herausforderungen sollen im Projekt innovative Medien-, Kommunikations- und Interaktionsstrategien entwickelt werden, um die demokratische Kultur in der Region zu stärken.

Eine Stärkung der demokratischen Kultur vor Ort

Matthias Quents Buch „Mehrebenenanalyse rechtsextremer Einstellungen – Ursachen und Verbreitung in sozioökonomischen Regionen Hessens und Thüringens“ ist der Versuch den Fokus der Untersuchung von rechtsextremen Einstellungen in der Gesellschaft zu verlagern: Es sollte nicht stets zwischen Ost und West unterschieden werden, vielmehr müssen in Zukunft spezifische sozioökonomische Faktoren in der jeweiligen Region noch stärker berücksichtigt werden – spielen sie doch eine wichtige Rolle bei der Ausbildung von rechtsextremen Einstellungen in der Gesellschaft.

Auch wenn das Buch in manchen Teilen aufgrund seiner sehr wissenschaftlichen Formulierungen etwas sperrig daherkommt, bringt es doch einen diskussionswürdigen Aspekt zum Ausdruck: Abdriftende Regionen müssen zukünftig stärker in den Blick genommen werden und Unterstützung bei ihren lokalen Problemen erfahren, damit ihre Bürgerinnen und Bürger aufgrund mangelnder sozialer und kultureller Strukturen sich nicht länger im Stich gelassen fühlen. Das Phänomen wegbrechender Strukturen im ländlichen Raum darf nicht stillschweigend hingenommen werden, sondern es muss versucht werden, mit konkreten Aktionen diese Entwicklung aufzuhalten. Das Projekt „Region in Aktion“ ist ein erster Ansatz in diese Richtung. Menschen brauchen Orte der Kommunikation – nur so kann auch die demokratische Kultur vor Ort wieder gestärkt werden, damit Bewohnerinnen und Bewohner abdriftender Regionen egal ob in Ost- oder Westdeutschland weniger leicht anfällig werden für scheinbar einfache Lösungen, die der Rechtsextremismus ihnen vorgaukelt.

Matthias Quent (2012). Mehrebenenanalyse rechtsextremer Einstellungen – Ursachen und Verbreitung in unterschiedlichen sozioökonomischen Regionen Hessens und Thüringens. Magdeburg: MEINE VERLAG.

Zudem findet morgen am 19. April 2012 ein Workshop zum Thema „Rechtsextremismus im lokalen Kontext. Theoretische Zugänge und Messbarkeit“ mit Matthias Quent statt. Mehr: http://www.soziologie.uni-jena.de
 

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Rechtsextremismus ist kein rein ostdeutsches Problem, sondern überschreitet die "Grenze" in den Westen Foto: Ehemalige Grenze zwischen Hessen und Thüringen pilot_micha via Flickr, cc