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Randi Crott glaubt die Liebesgeschichte ihrer Eltern zu kennen. 1942, während der deutschen Besatzung Norwegens, verlieben sich die junge Norwegerin und der deutsche Soldat. Erst kurz vor ihrem 18. Geburtstag erfährt sie, dass man ihr all die Jahre über etwas verschwiegen hat: Ihr Vater hatte eine jüdische Mutter und die Wehrmachtsuniform schützte ihn vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten.
von Elisabeth Gregull
Die Aufforderung, über die Wahrheit zu schweigen, ist Teil der Geschichte der Familie Crott. 1942 ist es Lillian Berthung, die schweigen soll. Die 19 Jahre alte Norwegerin ist seit kurzem mit Helmut Crott, dem deutschen Wehrmachtssoldaten, zusammen. Obwohl sie ihn liebt, ist Lillian Berthung doch von Zweifeln geplagt. Darf sie diesen Mann lieben, nach allem, was die Deutschen Norwegen angetan haben? Als eine jüdische Familie aus der Umgebung deportiert wird, stellt sie ihn zur Rede. Was sie dann erfährt, klärt zwar ihr Verhältnis zu Helmut Crott – aber von nun an liegt auch die Bürde des Schweigens auf ihr.
„Erzähl es niemandem!“
Helmut Crott eröffnet ihr, dass er eine jüdische Mutter hat und nach der Ideologie der Nazis „Mischling“ ist. Er hat das Formular, mit dem er sich 1941 hätte melden müssen, nicht ausgefüllt. Hätte er es getan, wäre er zur Zwangsarbeit in die „Organisation Todt“ oder ins Konzentrationslager gekommen. Die Wehrmachtsuniform bietet ihm, der als Büromitarbeiter der Wehrmacht in Norwegen tätig ist, Schutz. Um diesen Schutz zu wahren, bittet er seine norwegische Freundin, über dieses Geheimnis zu schweigen.
Lillian Berthung hält ihr Versprechen. Sie nimmt eine zunehmende Entfremdung nicht nur von ihrer Familie, sondern auch von Freunden und Bekannten in Kauf. Von außen wird sie als Norwegerin, die sich mit einem Deutschen eingelassen hat, kritisiert, verhöhnt, gegängelt. Gleichzeitig ist sie für Helmut Crott die Einzige, mit der er seine Sorgen teilen kann, auch die um seine jüdische Tante und Mutter.
Schweigen als Schutz
Als Randi Crott von ihrer Mutter die Wahrheit erfährt, ist sie fast 18 Jahre alt. Gegen den erklärten Willen ihres Vaters hat Lillian Crott Berthung entschieden, dass ihre Tochter nun von dieser dunklen Seite der Familiengeschichte erfahren soll. Davon, dass ihre Großmutter Carola Jüdin war und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Dass ihr Großvater seine Stelle bei der Reichsbahn verlor, weil er sich nicht von seiner jüdischen Frau trennen wollte. Dass ihr Vater Helmut Crott als „Halbjude“ erhebliche Probleme beim Studieren hatte. Dass ihre Großtante Henriette im Konzentrationslager umgebracht wurde.
Lillian Berthung bittet nun wiederum ihre Tochter: „Erzähl es niemandem!“ Daran hält sich Randi Crott. Und so lebt sie mit dem Schweigen über ihre Familiengeschichte. Ihr Vater wünscht sich vor allem Normalität, will wieder dazugehören und sich nicht mehr mit jener Zeit beschäftigen. Gleichzeitig mag, wie in anderen Familien in einer ähnlichen Situation, auch Angst eine Rolle gespielt haben, eine Angst, die nicht wie das NS-Regime 1945 endete.
Späte Nachforschungen
2009 stirbt Helmut Crott. Erst nach seinem Tod macht sich Randi Crott, inzwischen eine bekannte Journalistin, daran, nähere Nachforschungen über ihre Familiengeschichte anzustellen. Sie kontaktiert Archive, zieht Literatur zu Rate, trifft Zeitzeugen. Gemeinsam mit ihrer Mutter, die alle Briefe aus der Zeit und ihre Tagebuchaufzeichnungen noch hat, verfasst sie dann das Buch „Erzähl es niemandem! Die Liebesgeschichte meiner Eltern“.
Die Autorinnen: Lillian Crott Berthung und ihre Tochter Randi Crott © Tom Luther Photography
In einer Art Montage wechseln sich die Perspektiven und Zeitebenen ab: Randi Crotts Recherchen aus der Gegenwart, die Erinnerungen ihrer Mutter und ihres Vaters sowie Briefe von Helmut Crotts Eltern. Eingebettet werden diese persönlichen Lebenszeugnisse in Informationen über die deutsche Besatzung in Norwegen, ein Kapitel, das hierzulande kaum im Bewusstsein verankert ist.
Auf diese Weise ist ein sehr ergreifendes Buch entstanden. Ein Buch, das eine außergewöhnliche Liebesgeschichte erzählt. Ein Buch, das versucht, zu erzählen und gleichzeitig das Schweigen zu verstehen.
Randi Crott, Lillian Crott Berthung: Erzähl es niemandem! Die Liebesgeschichte meiner Eltern, DuMont Buchverlag, Köln (2012).
Elisabeth Gregull ist Fachjournalistin (DFJS), ihre Schwerpunktthemen sind Migration, Diversity und die Folgen der NS-Zeit. Sie arbeitet u.a. für die Online-Redaktion „Migration-Integration-Diversity“ der Heinrich-Böll-Stiftung.